Licht in die Blackbox
Freiburg, 10.11.2017
Das Gehirn ist eine Blackbox. Deckel anheben und reinschauen reicht nicht, um es zu verstehen. Zu komplex. Die Neurophysiologie versucht schon lange, mehr zu erfahren – zum Beispiel mit Hilfe von Elektroden, die Zellaktivität messen. Herausfinden will man so, was im Gehirn bei speziellen Bewegungen passiert. Ilka Diester, Professorin für Biologie und Mitglied des Exzellenzclusters BrainLinks-BrainTools, nähert sich dem Gehirn ganz anders: „Wir aktivieren Zellen, und das räumlich und zeitlich selektiv, und schauen, was passiert.“ Nur so lasse sich herausfinden, ob diese Zellen für ein konkretes Verhalten relevant seien. Für ihre Forschung bekam die 39-Jährige einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC). Das zehnte Jubiläum der ERC-Grants und ihre 50 Preisträgerinnen und Preisträger feiert die Albert-Ludwigs-Universität mit einem Einblick in ausgewählte Projekte: Eine Serie stellt zehn Köpfe im Porträt vor.
Hightech in der Hirnforschung: Das Team arbeitet unter anderem mit Photonenmikroskopen, um zu ergründen, welche Zellen für welches Verhalten verantwortlich sind.
Foto: Thomas Kunz
Ilka Diesters Forschungsgegenstand ist der Motorcortex, das für Motorik zuständige Hirnareal. „Wir wollen wissen, wie er mit den angrenzenden Arealen kommuniziert und was für ein Verhaltens-Output diese Kommunikation hat.“ Der mit 1,5 Millionen Euro dotierte ERC Grant sei eine enorme Unterstützung, sagt Diester: Mit dem Geld habe sie teure Geräte anschaffen sowie Doktorandinnen und Doktoranden anstellen können. Die Technik, die das Team einsetzt, nennt sich Optogenetik. Sie soll etwas Licht in die Blackbox Gehirn bringen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Technik basiert auf lichtsensitiven Membranproteinen, wie sie etwa in der Grünalge vorkommen. Kennengelernt hat Diester die Technik in Stanford/USA, wo sie nach ihrem Biologiestudium und ihrer Promotion drei Jahre lang als Postdoc gearbeitet hat – unter anderem für Karl Deisseroth, den sie den „Godfather“ der Optogenetik nennt.
Ilka Diester will herausfinden, was im Gehirn bei speziellen Bewegungen passiert.
Foto: Thomas Kunz
Aber zurück zur Grünalge: Zur Fotosynthese benötigt sie nicht nur Licht, sondern auch Opsine. Das sind lichtsensitive Moleküle, die in den Membranproteinen der Zellhülle vorkommen. Sie funktionieren wie ein Wegweiser und zeigen der Alge, wo genau die Lichtquelle ist. Genauer: „Wenn Licht in Form eines Photons auf das Opsin trifft, öffnet sich dieses und lässt über die Membran hinweg Ionen fließen – zum Beispiel positive. Diese lassen das Membranpotenzial ansteigen, was weitere spannungsabhängige Kanäle öffnet.“ Und schon setzt sich die Grünalge in Bewegung. „Sie wird aktiv, schaltet von einem eher faulen Paddelrhythmus in einen kräftigen Brustschwimmrhythmus um und bewegt sich in Richtung Licht.“
Genetische Tricks
Eigentlich kommen Opsine nur in Mikroorganismen vor, nicht jedoch in Säugetieren. Mit ein paar genetischen Tricks lassen sie sich aber in Neuronen von Säugetieren einführen, sodass auch diese Zellen lichtsensitiv werden. Was eingeschleust wird, ist ein DNA-Konstrukt, das aus drei Teilen besteht – dem Opsin-Gen, dem Promotor und dem Fluoreszenzprotein-Gen. „Man kann sich das wie einen Shuttle-Service vorstellen“, erklärt Diester. „Die DNA wird in abgeschwächte Viren, den Shuttle, gepackt und ins Gehirn einer Maus injiziert.“ Dort lagert sich das Opsin in der Neuronenmembran ab. Während der Promotor bestimmt, in welchen Zellen das eingeschleuste Opsin-Gen in ein Opsin-Protein umgewandelt wird, markiert das Fluoreszenzprotein diese.
„So können wir die Neuronen zeitlich und räumlich kontrollieren“, erklärt Diester. Oder besser: stören. Die Stimulation der Zellen des Versuchstiers erfolgt lokal. Oben im Kopf hat es ein kleines Implantat, an das ein Lichtfaser-Kabel angeschlossen wird. Direkt daneben sitzt eine winzige Elektrodenspitze, die misst, was genau passiert. Sobald Licht auf die Opsine trifft, werden die Nervenzellen aktiviert oder deaktiviert.
Manipulieren und beobachten
Trotz des eingeschleusten Opsins macht die Zelle ihren normalen Job. Unter Lichtzufuhr allerdings wird manipuliert, was geht. Und beobachtet: Was macht die Maus, wenn die Forscherinnen und Forscher diese Zelle inhibieren, also hemmen? Findet sie dann noch den Weg zum Futter? Oder läuft sie immer weiter im Kreis? Aktionspotenziale wandern von Neuron zu Neuron und vernetzen so Hirnareale. Indem ausgewählte Kommunikationspfade zwischen verschiedenen Hirnarealen gezielt angeregt oder lahmgelegt werden, wird das neuronale Zusammenspiel gestört. So lässt sich nachvollziehen, wie relevant die einzelnen Pfade für das Verhalten sind. Eben darum geht es beim ERC-Projekt.
Zu verstehen, wie der Motorcortex in andere Hirnareale hineinkommuniziert, könnte helfen Impulskontrollstörungen beim Menschen zu behandeln. Das sei ein Langzeitziel, so Diester. „So abgefahren die Optogenetik auch daherkommt, undenkbar ist es nicht.“
Stephanie Streif
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