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Unfassbar, aber überall

Marc Schumann sucht nach der Dunklen Materie – nichts zu finden, wäre für ihn auch relevant

Freiburg, 29.08.2017

Unfassbar, aber überall

Foto: McCarthys_PhotoWorks/Fotolia

Sie ist überall und dennoch nicht zu fassen: die Dunkle Materie. Forscherinnen und Forscher sind überzeugt, dass sie das Universum zusammenhält. Doch bisher ist es niemandem gelungen, ihre Existenz nachzuweisen. Marc Schumann, Freiburger Professor für Astroteilchenphysik, will den bislang unentdeckten Teilchen gemeinsam mit einem 130-köpfigen internationalen Team auf die Spur kommen. Für seine Arbeit hat er 2017 einen Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten. Mit den zwei Millionen Euro will Schumann in den nächsten fünf Jahren die Grundlage für einen neuartigen Detektor schaffen – und die Suche nach der Dunklen Materie damit an die Grenze des Machbaren bringen. Das zehnte Jubiläum der ERC-Grants und ihre 50 Preisträgerinnen und Preisträger feiert die Albert-Ludwigs-Universität mit einem Einblick in ausgewählte Projekte: Eine Serie stellt zehn Köpfe im Porträt vor.

Offenes Geheimnis: Sie hält die Galaxien wie eine Art Klebstoff zusammen, doch bisher ist es niemandem gelungen, die Existenz der Dunklen Materie nachzuweisen.
Foto: McCarthys PhotoWorks/Fotolia

Marc Schumann ist mit Leib und Seele Grundlagenforscher. „Der praktische Nutzen wäre im Falle des Nachweises von Dunkler Materie gleich Null", sagt er und lacht. Dennoch würde dieser Erfolg weltweit hohe Wellen schlagen. Endlich hätte die Forschung neue Ansatzpunkte, um zu verstehen, wie die Teilchen und Kräfte des Universums zusammenspielen. Sich den großen Fragen des Universums mit präziser Messtechnik anzunähern, findet Schumann spannend. „Es wird auch vernachlässigt, dass die Grundlagenforschung für ihre Problemlösungen neue Technologien entwickelt, die sich dann breit durchsetzen", betont er. Das heute unverzichtbare Internet ist nur ein Beispiel. Es wurde entwickelt, weil die Teilchenphysiker große Datenmengen transferieren mussten.

Mit seinem ERC-Projekt ULTIMATE will March Schumann das Design für einen neuartigen Detektor schaffen.
Foto: Jürgen Gocke

Ursprünglich wollte Schumann in die Astronomie. Die war ihm aber nicht präzise genug, deshalb zog es ihn letztlich in die Astroteilchenphysik. „Hier konnte ich die Astronomie, die sich viel mit Beobachtung und Katalogisierung beschäftigt, mit präzisen Forschungsverfahren verknüpfen", sagt er. Im Gegensatz zur Hochenergiephysik werden in der Astroteilchenphysik keine Teilchen künstlich beschleunigt und aufeinander geschossen, um neue Teilchen zu erzeugen. Man beobachtet schlicht die natürlich im Weltall vorkommenden Teilchen, allerdings mit aufwendigen Messgeräten. Aktuell arbeiten die Forscher mit dem Detektor XENON1T, der sich in den italienischen Abruzzen anderthalb Kilometer unter der Erdoberfläche befindet. So tief versenkt, kann der Detektor möglichst viel kosmische Strahlung fernhalten, die bei den Messungen stört.

Der Detektor XENON1T befindet sich in den italienischen Abruzzen anderthalb Kilometer unter der Erde – das hilft dabei, kosmische Strahlung abzuschirmen, die bei den Messungen stört.
Foto: XENON1T

Drei Tonnen Edelgas unter der Erde

Das Hightech-Gerät besteht aus einem ein auf ein Meter großen Behälter, einer Art Thermoskanne, der sehr dicht mit drei Tonnen flüssigem Xenon gefüllt ist. Dieses Edelgas ist in einen riesigen Wassertank eingeschlossen, der möglichst viel radioaktive Strahlung aus dem Labor abhalten soll. Xenon wird verwendet, weil Teilchenstrahlung in ihm Licht und Ladung erzeugt. In dem Detektor sind hoch empfindliche Sensoren angebracht, die kleinste Signale registrieren. Dunkle Materie steht mit anderen Teilchen in nur sehr schwacher Wechselwirkung. Das macht es zusätzlich schwer, eine solche Kollision nachzuweisen. „Die Kunst ist es nun, diese seltenen Ereignisse mit dem Detektor zu finden", erklärt Schumann.

Dunkle Materie könnte nur indirekt anhand von speziellen Teilchenbewegungen der Xenon-Atomkerne identifiziert werden. Die Sensoren registrieren lediglich den Rückstoß der Teilchen, ähnlich wie beim Billard: Die weiße Kugel, die die Bewegung auslöst – in dem Fall die Dunkle Materie –, bleibt unsichtbar. Spezialgebiet der Freiburger ist es, die riesigen Datenmengen, die von den Sensoren erzeugt werden, auszulesen, zu analysieren und zu interpretieren.

Dominanter Hintergrund

Im aktuellen Detektor stören immer noch radioaktive Prozesse, vor allem der Zerfall von Radon, die Messungen. Deshalb arbeiten Schumann und sein Team nun am Design eines noch empfindlicheren Geräts, in das letztlich nur noch Neutrinos vordringen können – diese Teilchen können ohnehin nicht abgeschirmt werden. „Wenn wir tatsächlich dahin kommen, dass nur noch Neutrinos zu störenden Hintergrundsignalen führen, werden wir die Dunkle Materie auf diesem Weg trotzdem nicht nachweisen können. Denn dann wird der Neutrino-Hintergrund dominant, und er verhält sich genauso wie die Dunkle Materie es tun würde", erklärt Schumann.

Das klingt zunächst einmal verstörend. Schumann findet das Szenario aber nicht besonders beunruhigend. „In diesem Fall ist es genauso relevant, nichts zu finden", sagt er. Auch diese Einsicht eröffne den Theoretikern neue Wege, sich den Antworten auf die offenen Fragen des Universums anzunähern – und darum gehe es doch letztendlich in der Teilchenphysik. Bis zu dieser Erkenntnis ist es allerdings noch ein langer Weg. Und dass sich die Dunkle Materie in der Zwischenzeit doch in den Detektoren zeigt, ist nicht ausgeschlossen.

Petra Völzing

 

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