Vom Leben inspiriert
Freiburg, 08.09.2017
Seit November 2016 ist Andreas Walther Professor für Funktionspolymere an der Fakultät für Chemie und Pharmazie der Universität Freiburg. Er forscht an neuen bioinspirierten Materialsystemen, denen bestimmte Funktionen einprogrammiert werden. Dafür hat er einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) mit einer Fördersumme von anderthalb Millionen Euro für fünf Jahre erhalten. Das zehnte Jubiläum der ERC-Grants und ihre 50 Preisträgerinnen und Preisträger feiert die Albert-Ludwigs-Universität mit einem Einblick in ausgewählte Projekte: Eine Serie stellt zehn Köpfe im Porträt vor.
Designer von Makromolekülen: Andreas Walther entwickelt Materialsysteme, denen er bestimmte Funktionen einprogrammiert.
Foto: Jürgen Gocke
Andreas Walthers Forschungsinhalte sind grundlegend. „Mich interessieren Materialsysteme, die auf molekularer Ebene autonom agieren können und sich makroskopisch in ihren Funktionseigenschaften von selbst regulieren", sagt der Wissenschaftler. Dafür werden Polymere und andere große Moleküle mit chemischen Treibstoffen versetzt und in komplexe Reaktionsnetzwerke mit Feedbackmechanismen eingebettet, die dazu führen, dass die resultierenden Materialsysteme kontrolliert ihre Eigenschaften verändern.
Nach dem Modell von Legobausteinen
Ziel ist es zum Beispiel, ein Material im Zusammenspiel mit einem Treibstoff dahingehend zu programmieren, dass dieser nach einer festgelegten Zeit verbraucht wird und das Material wieder in seinen Ursprungszustand zurückgeht. „Eine denkbare Anwendung wäre, ein solches Material bei Operationen einzusetzen", erklärt Walther. Es würde in die Blutbahn injiziert und der Treibstoff ließe es lokal gelieren, sodass der Blutfluss für eine genau bestimmte Zeit gestoppt würde. Nach dem Verbrauch des Treibstoffs wäre der Blutfluss wieder gewährleistet. „Diese Materialien organisieren sich auf Basis von kleinsten Bausteinen von selbst. Man kann sich die Materialsysteme wie Legobausteine vorstellen", sagt Walther. „Der Treibstoff bewirkt, dass an den einzelnen Steinen die Noppen ausgebildet werden, die die Bausteine zusammenbringen. Hierfür ist Energie notwendig. Die Bausteine sind jedoch so ausgelegt, dass sie die Energie und Treibstoff verbrauchen. Dadurch verschwinden die Noppen und das Material geht in seinen Ursprungszustand zurück." Denkbar ist auch ein Material, das, in den Körper injiziert, von Krebszellen angezogen wird, weil sich dort große Mengen an biologischem Treibstoff befinden. Die Krebszellen könnten dann eingeschlossen oder gar von innen geliert und auf diese Weise blockiert werden.
Mit Legobausteinen lässt sich veranschaulichen, wie die Materialsysteme funktionieren: Ein Treibstoff sorgt dafür, dass Noppen ausgebildet werden – damit können sich die Bausteine miteinander verbinden.
Foto: Thomas Kunz
Farbe für Mindesthaltbarkeitsdaten
Neben dem Fokus auf die Medizin forscht Walther auch für ganz andere Anwendungsmöglichkeiten. „Wir arbeiten an Displaytechnologien mit photonischen Systemen", sagt er. Man könne hier an schillernde Käfer denken. Ziel ist es, mit einem chemischen Treibstoff das Farb- und Reflexionsverhalten eines Materials zu steuern. Einsetzbar wäre dieses zum Beispiel für den Aufdruck von Mindesthaltbarkeitsdaten: Die Farbe reflektiert, bis die Mindesthaltbarkeit abgelaufen ist. „Eine solche Farbe ist sehr komplex und deshalb schwer zu fälschen."
Ist das Lebensmittel noch haltbar? Eine reflektierende Farbe, in der das Ablaufdatum aufgedruckt ist, könnte darüber künftig Aufschluss geben.
Foto: Rido/Fotolia
Experimentell sucht Walther für seine Bausteine nach den geeigneten Makromolekülen, die gezielt designt werden. Der Wissenschaftler kann die molekulare Ordnung genau steuern und untersucht dann, welche Überstrukturen die Moleküle ausbilden. Auch das Löslichkeitsverhalten der großen Moleküle spielt eine wichtige Rolle. In Versuchsreihen untersucht er dann, wie viel Treibstoff die Bausteine umsetzen und wie lange dieser unter unterschiedlichen Bedingungen aktiv ist. Neben synthetischen Polymeren verwendet Walther auch DNA. „Bei der DNA kann man die Sequenz sehr genau vorherbestimmen. Damit ist ein wesentlich präziseres Arbeiten möglich, sodass die Effekte besser zu verstehen sind." Da DNA oft nur in kleinen Mengen verfügbar ist, wird es notwendig sein, die Erkenntnisse in mancherlei Hinsicht wieder auf synthetische Polymere übertragen.
Langfristig angelegte Forschung
Andreas Walther geht es darum, die Prozesse, die er erforscht, fundamental zu verstehen und erste Anwendungen aufzuzeigen. „Wir arbeiten auf der Basis von grundlagenorientierten Fragestellungen", sagt er. Die Fördermöglichkeiten des Europäischen Forschungsrates findet er dafür ideal. „Der Starting Grant ist eine fantastische Möglichkeit für langfristig angelegte Forschungsvorhaben, die auch ein gewisses Risiko beinhalten" – so etwas werde in Deutschland kaum angeboten.
Begonnen hat Walther mit seinen Forschungen in einer Nachwuchsgruppe am DWI – Leibniz Institut für Interaktive Materialien in Aachen. Mit seiner Arbeit will er hoch hinaus. „An bioinspirierten Materialien wird auch in der Bionik geforscht", sagt er, dabei gehe es um die Struktur. Sein Ziel ist es, Materialien zu entwickeln, die auf molekularer Ebene tatsächlich von der Dynamik des Lebens selbst inspiriert sind. Als Treibstoff dient Walther und sein Team deshalb unter anderem Adenosintriphosphat (ATP), der universelle Energieträger in den Zellen.
Petra Völzing
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