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Mit Epigenetik gegen Prostatakrebs

Roland Schüle erforscht das Enzym LSD1, das das Wachstum von Tumorzellen befördert

Freiburg, 25.09.2017

Mit Epigenetik gegen Prostatakrebs

Foto: Jürgen Gocke

In den vergangenen zwölf Jahren hat Prof. Dr. Roland Schüle, Wissenschaftlicher Direktor der Abteilung für Urologie am Universitätsklinikum Freiburg, die epigenetische Forschung im Eiltempo um wesentliche Schritte vorangebracht. In seiner Arbeit konzentriert er sich auf das epigenetische Enzym Lysin-spezifische Demethylase, kurz LSD1, das das Chromatin, also die Verpackung der DNA, verändern kann. Diese Veränderungen führen zu einem Tumorzellenwachstum. Die Blockierung des Enzyms gilt heute als ein möglicher Schlüssel zur Therapie von Tumoren wie beispielsweise dem Prostatakrebs. Um weitere Erkenntnisse zu den biologischen Funktionen von LSD1 gewinnen zu können, erhielt Schüle 2014 einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC) mit der höchstmöglichen Fördersumme von 2,5 Millionen Euro. Die Förderung ergänzt den 2012 eingerichteten Sonderforschungsbereich „Medizinische Epigenetik", dessen Sprecher Roland Schüle ist. Das zehnte Jubiläum der ERC-Grants und ihre 50 Preisträgerinnen und Preisträger feiert die Albert-Ludwigs-Universität mit einem Einblick in ausgewählte Projekte: Eine Serie stellt zehn Köpfe im Porträt vor.

Roland Schüle erforscht das epigenetische Enzym LSD1, das die Verpackung der DNA, das im Modell dargestellte Chromatin, verändern kann.
Foto: Jürgen Gocke

Begonnen hatte alles 2005 mit einer Publikation in der Fachzeitschrift „Nature". Darin hatte Schüle zum ersten Mal das Enzym LSD1 beschrieben und postuliert, dass seine Blockierung das Wachstum von Tumorzellen hemmen könnte. „Damals war über LSD1 nichts weiter bekannt, es war eine komplette Black Box", sagt Schüle. Er setzte seine Forschungen fort und zeigte bereits 2008, dass seine Hypothese stimmte. In Tumorzellkulturen gelang es, das Enzym mit einem Hemmstoff zu blockieren und auf diese Weise das Wachstum der Tumorzellen zu stoppen. „Zu diesem Zeitpunkt sind mehrere Biotech-Unternehmen auf uns aufmerksam geworden, denn unsere Erkenntnisse ließen darauf schließen, dass eine epigenetische Therapie für Krebspatienten möglich sein könnte", so Schüle. Um dieses Ziel zu erreichen, mussten aber noch viele Erkenntnisse über LSD1 gewonnen werden. Schüle und sein Team konzentrieren sich bei ihren Forschungen auf zwei Bereiche. Der erste ist die Suche nach dem idealen Hemmstoff. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben eine dreidimensionale Kristallinstruktur des Enzyms LSD1 erstellt. Bei dieser zeigt sich in dem Protein ein Kanal. „Die Blockierung des Enzyms funktioniert nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip", erklärt Schüle. Am Computer muss ein synthetisches Molekül gebaut werden, das genau in den Kanal passt und diesen abdichtet. Ob das gefundene Molekül tatsächlich wirkt, wird in Laborversuchen nachvollzogen.

Enzym mit vielen Funktionen

Beim zweiten Forschungsschwerpunkt geht es darum, mehr über die Funktionen von LSD1, das in allen Zellen vorhanden ist, für den Organismus zu erfahren. „Wenn wir ein Medikament entwickeln, dann muss es tatsächlich wirken und möglichst keine oder beherrschbare Nebenwirkungen haben", sagt Schüle. In ersten klinischen Studien hat sich gezeigt, dass die Blockade des Enzyms zu einer milden Blutarmut führt. Um mehr über die Funktionen von LSD1 zu erfahren, forschen die Wissenschaftler am Mausmodell. Sie haben eine Maus gezüchtet, bei der LSD1 komplett ausgeschaltet werden kann. Diese vergleichen sie über die verschiedenen Entwicklungsstadien und in unterschiedlichen Gewebeformen mit Kontrolltieren. Mithilfe dieser Knock-Out-Mäuse sind sie inzwischen zu wichtigen Ergebnissen gelangt: „LSD1 ist sehr wichtig für Stammzellenentwicklung und -differenzierung, und auch an der Entwicklung von Fettzellen und Muskelgewebe ist das Enzym wesentlich beteiligt", erläutert Schüle. Dazu kommt, dass das Enzym die Menge an Blutplättchen reguliert. Ebenfalls zeigte sich, dass die Blockierung von LSD1 die embryonale Entwicklung beeinflusst. Blockierte man das Enzym bereits im Mäuseembryo, so starb dieser nach sieben bis acht Tagen ab. Diese Faktoren bedeuten für Schüle aber nicht, dass der Weg zur Wirkstofffindung nicht gangbar wäre. „Man muss die physiologischen Funktionen kennen, um LSD1-Inhibitoren als Wirkstoffe gezielt zu verbessern." In Sachen Hemmstoff ist Schüle, was die Nebenwirkungen betrifft, ebenfalls einen bedeutenden Schritt weiter. Er hat ein reversibles Hemmmolekül gefunden. Das bedeutet, dass dieses sich wieder vom LSD1-Molekül löst. Folge ist eine wesentliche Reduzierung der Nebenwirkungen.

Kreative Freiheit

Bis zu einem Medikament ist es noch ein weiter Weg, aber Schüle ist in vergleichbar kurzer Zeit schon weit gekommen. Es wurden inzwischen elf klinische Studien abgeschlossen. Das ist beachtlich, denn Schüle betreibt in seinem Bereich Grundlagenforschung. „Zu Beginn war das ein Hochrisikoprojekt", sagt er. Am ERC Grant schätzt er, dass dieser genau solche Forschungsprojekte fördert. „Wirkliche Innovationen gibt es nicht ohne Risiko", so Schüle. Umso glücklicher sei er, dass sein Sonderforschungsbereich inzwischen weltweit als ein Zentrum der medizinischen Epigenetik wahrgenommen werde. Ihm persönlich ist zudem wichtig, dass er als Wissenschaftler seine kreative Freiheit bewahren kann. „Ein Forscher darf sich nicht vorschreiben lassen, was er erforschen soll. Er muss dem nachgehen, was er für richtig hält." Förderungen wie der ERC Grant machen das möglich.

Petra Völzing

 

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