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Über die „ungewöhnliche Geschichte einer starken Frau und leidenschaftlichen Wissenschaftlerin“

Studentinnen arrangierten die Ausstellung „Zwischen Florenz & Freiburg“ über Margrit Lisner, die erste Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Freiburg

Freiburg, 25.05.2022

Bachelor-Studierende organisierten im Rahmen eines Seminars im Fach Kunstgeschichte die Ausstellung „Zwischen Florenz & Freiburg“ zum Leben und Werk der ersten Professorin am Freiburger Kunstgeschichtlichen Institut: Margrit Lisner. Ihre Entdeckung eines verschollenen Michelangelo-Werkes in den 1960er Jahren erregte weltweit Aufmerksamkeit. Die Ausstellung ist noch bis zum 31.07.2022 donnerstags bis samstags von 14:00 bis 18:00 Uhr im Projektraum des Uniseums, dem Museum der Universität Freiburg, zu sehen. Im Gespräch mit Franziska Becker haben Seminarleiter Dr. Andreas Plackinger und Studentin Katharina Ramstein unter anderem über die Höhepunkte der Ausstellung und Herausforderungen bei der Planung gesprochen.

Schwarz-Weiß Portrait einer lächelnden FrauKunsthistorikerin Margrit Lisner lehrte knapp 30 Jahre an der Universität Freiburg.
Foto: Willy Pragher: Portätaufnahme Margrit Lisner, 1964. Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg

Margrit Lisner entdeckte 1962 ein verschollenes Michelangelo-Kunstwerk. Welche Bedeutung hat sie und ihre Arbeit für die Kunstgeschichte?

Andreas Plackinger: Margrit Lisner war die erste Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Freiburg und deutschlandweit eine der ersten Professorinnen für Kunstgeschichte überhaupt. Knapp 30 Jahre hat sie hier in Freiburg gelehrt. Ihren wissenschaftlichen Nachlass hat sie später dem Kunstgeschichtlichen Institut gestiftet. Das war eine wahre Fundgrube und natürlich die ideale Ausgangsbasis für unser Projekt. Im Fach und darüber hinaus ist Lisner vor allem durch ihre Wiederentdeckung eines verschollenen Jugendwerkes von Michelangelo berühmt geworden. Dieses Werk, der Kruzifixus aus Santo Spirito in Florenz, ist eine erstaunlich anmutige und regelrecht sinnliche Christusfigur und wird in unserer Ausstellung ausführlich behandelt. Lisner hat darüber hinaus zu vielen anderen Renaissance-Künstlern geforscht, beispielsweise zu Donatello und Leonardo da Vinci. 2020 wäre Margrit Lisner 100 Jahre alt geworden. Es war also aus vielen Gründen lohnenswert der Forscherpersönlichkeit Lisner eine Ausstellung zu widmen.

Katharina Ramstein: Ja, das Seminar im Wintersemester 2019/2020 war die passende Gelegenheit, die ungewöhnliche Geschichte einer starken Frau und leidenschaftlichen Wissenschaftlerin zu erzählen.

Ist überliefert, wie genau Margrit Lisner das Michelangelo-Werk entdeckte?

Ramstein: Florenz stand im Zentrum von Margrit Lisners Leben als Kunsthistorikerin und ihr Interesse galt vor allem der Skulptur. Aus diesem Grund verbrachte sie, soweit möglich, jede freie Minute in Florenz. Auf der Suche nach interessanten Werken für ihre Forschungsarbeit zu Holzkruzifixen fuhr sie ab Ende der 1950er Jahre allein mit einer Vespa zu den entlegensten Kirchen der Toskana und schaute sich alle Kruzifixe an, die sie finden konnte. 1962 entdeckte sie dann im Kloster Santo Spirito ein unscheinbares Kruzifix, dass über einer Korridortür hing. Auf Grund ihrer langjährigen Forschung zu toskanischen Holzkruzifixen besaß sie die Expertise, um in diesem Kruzifixus das verschollene Frühwerk Michelangelos zu erkennen.

Plackinger: Hier lässt sich ergänzen, dass eine entstellende, nachträglich angebrachte Farbschicht die Wirkung der Skulptur ziemlich beeinträchtigte. Das Kloster Santo Spirito liegt übrigens mitten in Florenz und trotzdem hatten die vielen Spezialisten für florentinische Skulptur das Werk übersehen. Lisners Entdeckung hat bei einigen dieser Spezialisten großen Ärger und Neid ausgelöst.

Der Ausstellungsstart musste aufgrund der Pandemie bis 2022 verschoben werden. Wie erlebten sie die Vernissage Ende April?

Ramstein: Zwei Jahre sind im Studium eine lange Zeit, in der wir uns mit viel Neuem beschäftigt haben. So traten das Seminar und die Ausstellung etwas in den Hintergrund. Deshalb sind wir Studentinnen umso glücklicher, dass wir unsere Ausstellung nun doch noch zeigen dürfen, woran ich zwischenzeitlich meine Zweifel hatte. Dieser wohl verdiente und gelungene Abschluss lässt das eher experimentelle Seminar nach nun mehr als zwei Jahren ausklingen.

Plackinger: Sehr schade fand ich, dass nicht mehr alle Studentinnen, die am Projekt beteiligt waren, bei der Eröffnung dabei sein konnten. Die Studentinnen aber, die noch vor Ort waren und die Ausstellung mit mir zusammen eingerichtet haben, hatten alle Etappen der Entstehung einer Ausstellung durchlaufen. Die festliche Stimmung bei der Vernissage war wie eine Belohnung für den sehr langen Atem, zu dem uns die Pandemie gezwungen hat.

Artikel Deckblatt mit Kruzifixus und Titel "A Missing Michelangelo?"1964 berichtet das amerikanische Reportage-Magazin „Life“ über den Michelangelo-Fund Lisners. Foto: Erste Seite des Artikels 'A Missing Michelangelo?', Life, 21.02.1964, S. 46. Kunstgeschichtliches Institut, Bibliothek

Können Sie skizzieren, wie sich eine Museumsausstellung im Rahmen eines Seminars auf die Beine stellen lässt?

Ramstein: Herr Plackinger hat uns am Anfang des Seminars einen Überblick darüber gegeben, was alles zu tun war. Über die ersten Wochen begannen wir, die wissenschaftlichen Arbeiten von Margrit Lisner zu lesen, von ihrer ersten Veröffentlichung, der Dissertationsschrift zu Luca della Robbia, bis hin zur letzten, einem Aufsatz zu Michelangelos Tondo Doni. Wir lernten Margrit Lisner als Kunsthistorikerin und Wissenschaftlerin kennen, bemerkten wie sie an Kunstwerke heranging und wie sie arbeitete. Wir teilten die Literatur auf, sodass jede von uns etwas davon las und für die Gruppe zusammenfasste. Außerdem sichteten wir unzählige Kartons mit Briefen, Postkarten, Arbeitsmaterialien, Fotografien und Publikationen. In verschiedenen Teams beschäftigten wir uns dann mit den verschiedenen Aufgaben.

Plackinger: Das Team „Redaktion“ hat Objekt- und Literaturlisten erstellt und die Texte für den Ausstellungsbereich gesammelt und korrigiert. Das Team „Ausstellungsaufbau“ hat sich vor allem mit der Vorauswahl der Objekte und später mit praktischen Fragen der Einrichtung der Ausstellung befasst. Das Team „Presse“ hat einen Pressetext erarbeitet und Interviews mit Zeitzeuginnen, zwei Doktorandinnen von Margrit Lisner, geführt. Alle Zwischenergebnisse hat die gesamte Gruppe bei den wöchentlichen Sitzungen besprochen und alle wichtigen Entscheidungen wurden gemeinsam getroffen. Ich erinnere mich, dass die Titelfindung viel Zeit in Anspruch genommen hat.

Ramstein: Und wir hatten großes Glück, weil uns Gisela Bonfig, Fotografin des Kunstgeschichtlichen Instituts, unterstützt hat, indem sie für uns die Grafiken und Drucke übernahm.

So ein großes Projekt bringt viele Aufgaben mit sich. Was fiel Ihnen leicht? Was war herausfordernd?

Ramstein: Eine große Herausforderung bestand darin, den Nachlass von Margrit Lisner durchzusehen und herauszusuchen, was wir in der Ausstellung zeigen wollten. Zudem kamen die Aufgaben, die viel Zeit erforderten, wie zum Beispiels das Durchsichten aller Sonderdrucke, die sich im Laufe eines ganzen Lebens angesammelt haben. Aber auch wenn alles viel Zeit und Nerven in Anspruch nahm, war es eine unglaublich bereichernde und schöne Erfahrung, während des Studiums eine Ausstellung vom Anfang bis zum Ende mit begleiten zu dürfen.

Plackinger: Wir haben mehrmals den Projektraum im Uniseum besucht, in dem die Ausstellung stattfinden sollte. Alle Studentinnen haben sofort auf den Punkt bringen können, worauf wir bei unserer Ausstellung achten sollten und welche Vor- und Nachteile der Ausstellungsraum mit sich bringen würde. Auch die Besprechung der Entwürfe für das Grafikdesign unserer Institutsfotografin, die sich sehr engagiert in das Projekt eingebracht hat, war für alle ohne Anlaufschwierigkeiten möglich. Ich glaube, die größte Herausforderung war, sich am Anfang vorzustellen, wohin die Reise inhaltlich und visuell gehen würde, als nur das Oberthema, der Ausstellungsort und ein grober Zeitplan gesetzt waren. Je konkreter es wurde, desto mehr Spaß hat es allen gemacht.

Was ist Ihr persönliches Highlight der Ausstellung?

Plackinger: Mein Lieblingsobjekt ist eine Ausgabe des amerikanischen Magazins Life aus dem Jahr 1964. Darin ist Margrit Lisner in einem Artikel mit dem Titel „A Missing Michelangelo?“ abgebildet. Im gleichen Magazin finden sich außerdem Beiträge über die Beatles oder den Mörder von John F. Kennedy, also eine kuriose Gesellschaft für eine Kunsthistorikerin aus Freiburg. Das zeigt aber, was für eine Sensation ihr Michelangelo-Fund damals war.

Ramstein: Mein persönliches Highlight, und ich denke, dass meine Kommilitoninnen mir da zustimmen werden, war der Moment, in dem das großformatige Bild des Kruzifixes an der Wand hing und dem quadratischen Vorraum eine sakrale Stimmung verlieh. Eine große Überraschung und ein weiterer Höhepunkt ist die kleine Ostasiatika-Sammlung, die wir bei jemanden, der sich zeitlebens mit Italien beschäftigt hat, nicht erwartet hätten.