Lernen in der Liveschalte
Freiburg, 09.01.2018
Ein E-Learning-Modul mit sechs beteiligten Universitäten, eine App, mit der sich politische TV-Debatten bewerten lassen, ein Quiz über klausurrelevanten Stoff zum US-Regierungssystem: Das Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg wartet mit originellen digitalen Lehrformaten auf.
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Das Einstiegsalter der Studierenden an Universitäten ist im Zuge der G8-Reform gesunken. Und vielleicht auch die Aufmerksamkeitsspanne der Generation? Der Freiburger Politikwissenschaftler Ingo Henneberg teilt diesen Kulturpessimismus nicht, stellt sich aber dennoch auf die jünger werdenden Studierenden ein. Henneberg ködert sie zunächst mit mundgerechten Häppchen, indem er komplexe oder abstrakte Inhalte wie Kategorien der Macht an aktuellem Anschauungsmaterial verdeutlicht. Nachdem der Doktorand Auszüge aus den US-Erfolgsserien „Game of Thrones“ und „House of Cards“ dafür verwendet hatte, wurde ihm ein gewisses Medienecho zuteil.
Aus einer Mini-Ankündigung auf Facebook wurde eine größere Geschichte, als Henneberg erwartet hatte. „Das sind am Ende vielleicht zehn, fünfzehn Minuten Unterrichtszeit“, relativiert er. „Man muss diese Elemente besonders für Erstsemester nutzen. Sie hören im Studium unter Umständen zum ersten Mal das Wort ‚Theorie‘. Die Politikwissenschaft ist eine sehr empirische, theoriegeleitete Wissenschaft. Und eigene empirische Arbeit ist im ersten Semester noch zu viel, deshalb versuchen wir, die Studienanfängerinnen und -anfänger so an Theorien heranzuführen.“
Die Dozierenden haben in den vergangenen Semestern noch mehr verändert – doch nicht alles klappte von Anfang an reibungslos. Vor einigen Jahren begannen sie mit einer Übung, die parallel zur Vorlesung „Einführung in die Politikwissenschaft“ angeboten wurde. Auch Henneberg hat die Übung einmal unterrichtet und registrierte eine diffuse Unzufriedenheit – auf beiden Seiten des Hörsaals. Die Evaluierungen waren eher mäßig. „So richtig vom Hocker gerissen hat es die Studierenden nicht“, resümiert er. Auch die Dozierenden waren nicht glücklich. Als das Institut um eine weitere Professur erweitert wurde, ergab sich die Gelegenheit zur Umstrukturierung. Seit 2016 ist bei der Übung eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter aus jedem der fünf Fachbereiche der Freiburger Politikwissenschaft vertreten. Damit sollen den Studierenden von Anfang an die Leitplanken aufgezeigt werden, quasi zur Orientierung für die kommenden Semester.
Standortübergreifende Seminare, bei denen Lehrende und Studierende per Liveschalte miteinander kommunizieren, und interaktive Lernmodule, die das erarbeitete Wissen jedermann zur Verfügung stellen: „Bislang war das für mich der größte Nutzen von digitaler Technik“, sagt Ingo Henneberg. Foto: Patrick Seeger
Qualifizieren für E-Learning
Doch auch jenseits der klassischen Lehre tue sich viel, berichtet Henneberg. Sein Kollege Dr. Christoph Haas, Akademischer Rat an der Professur für Vergleichende Regierungslehre, integriert zum Beispiel interaktive Elemente in seine Lehrveranstaltungen: Er hat klausurrelevante Begriffe zum US-Regierungssystem spielerisch in einem Quiz abgefragt.
Mittlerweile nutzen alle Universitäten hierzulande digitale Lernplattformen. Angefangen hat es mit dem einfachen Bereitstellen digitaler Texte, so einer Art „PDF-Schleuder“. Heute ist natürlich mehr möglich. „Wir haben an unserem Rechenzentrum die Abteilung E-Learning, die auch Fortbildungen für Lehrende anbietet“, hebt Henneberg hervor. Außerdem unterstützt das Zentrum Hochschuldidaktik die Dozierenden und bietet gemeinsam mit dem Rechenzentrum das E-Learning-Qualifizierungsprogramm an. Dabei handelt es sich um einen mehrstufigen Prozess, in dem die Dozierenden detailliert die Einbindung digitaler Inhalte in die Lehre lernen. Henneberg hat das komplette Programm durchlaufen und erfolgreich absolviert. Es besteht aus einer Reihe von Kursen sowie einem Implementierungsmodul und dauert mindestens ein Jahr.
Unmittelbares Feedback
Hennebergs Chefin Diana Panke, die die Professur für Governance in Mehrebenensystemen innehat, hat ein E-Learning-System aufgebaut, das beim Lernen des Forschungsdesigns unterstützt. Es geht darin um grundsätzliche Fragen, zum Beispiel welche Methode bei der Beantwortung einer bestimmten Frage hilft. „Natürlich könnte man das auch in einem Buch nachlesen. Aber so kann man sich den Stoff über Quizfragen aneignen – und im Gegensatz zum Buch erhält man unmittelbar Feedback“, erläutert Henneberg. Dr. Friedrich Arndt, Dr. Judith Gurr und Dr. Anna Meine aus der Politischen Theorie haben im Qualifizierungsprogramm eine Reihe entwickelt, die Podcasts und Screencasts zeigt. Sie nennt sich „Theoretisch fragen“ und gibt Studierenden Tipps zur Herangehensweise, Themenfindung und Formulierung einer Forschungsfrage und zum wissenschaftlichen Arbeiten. An der Professur für Vergleichende Regierungslehre wird seit mehr als einem Jahr am Debat-O-Meter gearbeitet – einer App, mit der Zuschauerinnen und Zuschauer politische TV-Debatten in Echtzeit bewerten können.
Wie war das nochmal mit dem System der „Checks and Balances“? Mit einem Quiz üben Studierende klausurrelevante Begriffe zum US-Regierungssystem. Foto: kropic/Fotolia
Henneberg selbst hat vor ein paar Semestern etwas Neues gewagt: eine standortübergreifende Lehrveranstaltung zum Thema „Islamischer Staat“, die gleichzeitig an mehreren Hochschulen stattfand. Alle Beteiligten – sowohl Studierende als auch Dozierende – waren per Videoplattform miteinander verbunden, sodass Referate oder Zwischenfragen wie bei einer Fernseh-Liveschalte möglich waren. Das Ganze war aus der Not heraus geboren, sagt Henneberg: „Die wenigen Expertinnen und Experten, die es zu dem Zeitpunkt zu diesem Thema gab, waren nun mal in ganz Deutschland verteilt.“
Die Lernplattform an ihre Grenzen bringen
Getoppt hat der Politikwissenschaftler das Lehrformat im Sommersemester 2017 mit dem Ringseminar „Gefährdung des Friedens in Europa?“. Im Zentrum stand eine Videokonferenz. Sogar die gesamte Vorbereitung der Veranstaltung lief über dieses Medium. „Wir haben die Lernplattform mit mehr als 100 hochschulübergreifenden Arbeitsgruppen an ihre Grenzen gebracht. Das war ein echtes Lehrexperiment.“ Zudem ließen sich über Video auch internationale Experten einbinden.
Um die Ergebnisse des „Experiments“ einem größeren Kreis zugänglich zu machen, wurden die Vorträge und Beiträge des Seminars zu interaktiven Lernmodulen zusammengebaut, auf die seit Anfang 2018 jedermann zugreifen kann. „Bislang war das für mich der größte Nutzen von digitaler Technik. Auch in Bezug auf Nachhaltigkeit und Inklusion“, resümiert Henneberg. Er freut sich darüber, dass er die Arbeit der Beteiligten über die Universitäten hinaus verbreiten kann – und auch über „die riesige Motivation der Studierenden“. Dann können sie hinterher auch wieder ihre Lieblingsserien schauen – vielleicht mit anderen Augen.
Alexander Ochs