Kleider machen Leute
Freiburg, 24.01.2018
Wie viel Kleidung kauft jeder Deutsche im Schnitt jährlich? Woher kommt der Großteil der hier verkauften Textilien? Wie weit ist ein konventionelles T-Shirt gereist, bis es den deutschen Markt erreicht? Ein Team vom Seminar für Wissenschaftliche Politik will Schülerinnen und Schüler mit einer GPS-Rallye an das Thema „Nachhaltigkeit“ heranführen.
Station Secondhandladen: Das Tablet präsentiert Informationen zur Produktion, Haltbarkeit oder Qualität von Kleidung. Foto: Thomas Kunz
Nachhaltigkeit. Ein Wort, bei dem viele erst einmal innehalten, vor allem Schülerinnen und Schüler im Teenageralter. Simon Straub, Politikstudent an der Universität Freiburg und freier Mitarbeiter bei der Landeszentrale für politische Bildung, fragt die Achtklässler der Realschule Obersulm, wie nachhaltig ihre Kleidung denn sei. Sie sollen sich im Raum verteilen wie auf einer Skala. Die meisten geben sich keinen Illusionen hin und verorten sich auf der „wenig nachhaltigen“ Seite. „Was ist Nachhaltigkeit noch mal genau?“, fragt einer. Straub erklärt den 13- und 14-Jährigen die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs, der ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammt. „Auf diese Art werden die Jugendlichen quasi gezwungen, sich zu positionieren“, findet er.
Mit 13, 14 Jahren beginnen Jugendliche, selbst einzukaufen und ein eigenes Markenbewusstsein zu entwickeln. Man muss sich nur in der aus 26 Schülern bestehenden Runde umschauen, um zu konstatieren: „Adidas“ scheint in Obersulm, das unweit von Heilbronn liegt, eine beliebte Marke zu sein. Aber „Nike“ und „Hollister“ ziehen anscheinend auch.
Um die Heranwachsenden für das Thema Klamottenkauf zu sensibilisieren und zum Nachdenken über ihr Konsumverhalten anzuregen, haben sich Studierende in einem von Dr. Astrid Carrapatoso vom Seminar für Wissenschaftliche Politik geleiteten Projekt etwas ausgedacht: eine GPS-Rallye durch die Freiburger Innenstadt. Gemeinsam haben sie einen per Tablet geführten Stadtrundgang entwickelt, der sich auf Aspekte der Nachhaltigkeit wie Ressourcenverbrauch, Konsumverhalten und Auswirkungen auf die Umwelt konzentriert. Astrid Carrapatoso spricht vom „Erlebnischarakter durch Geocaching-Elemente“. Nach zwei Semestern konzeptioneller Arbeit steht nun der Praxistest an.
Virtuelle Stopps in der Stadt
In kleinen Gruppen machen sich die Schüler auf den Weg. Wo es hingeht, weiß nur das Tablet, denn jede Tour ist anders, auch wenn vergleichbare Punkte angesteuert werden. Zur Sicherheit gibt Straub jedem Team noch eine Gruppenfahrkarte für die Straßenbahn und eine Notfallnummer mit – für den Fall, dass es mal klemmen sollte. Ein Stopp liegt auf der Kaiser-Joseph-Straße, Freiburgs Haupteinkaufsmeile, wo fast aller großen Textilketten Filialen haben. Auf der per GPS-Signal geführten Tour, die rund eine Stunde dauern soll, besuchen die Jugendlichen ein Geschäft mit Ökokleidung sowie einen Secondhandladen.
Astrid Carrapatoso und Simon Straub überprüfen vor der GPS-Rallye die Route. Foto: Thomas Kunz
An der jeweiligen Station erhalten sie allerlei Informationen zur Produktion, Haltbarkeit oder Qualität von Kleidung und zu deren teilweise verheerender Umweltbilanz. In einem hinterlegten Filmchen erfahren die Schüler zum Beispiel, dass zwei Drittel der von Greenpeace getesteten Kleidungsstücke gefährliche Chemikalien enthalten. Und: Schon bei der Herstellung gelangen diese Stoffe in Flüsse, Seen und Meere.
Damit die Tour nicht moralinsauer wirkt, haben sich Carrapatoso und ihr Team für eine zeitgemäße Didaktik entschieden. So sollen die Schüler in einem Laden das skurrilste Kleidungsstück aussuchen und ein Foto davon machen. In einem anderen Geschäft sollen sie nach Öko- und Fairtrade-Siegeln Ausschau halten. Auch Quizfragen gilt es zu beantworten: Woher kommt der Großteil der hier verkauften Textilien? (Türkei, China, Bangladesch.) Wie viel Kleidung kauft jeder Deutsche im Schnitt jährlich? (12 Kilogramm.) Wie weit ist ein konventionelles T-Shirt gereist, bis es den deutschen Markt erreicht? (20.000 Kilometer.) Die Alternativen? Kleidung nicht gleich wegwerfen, sondern flicken, vielleicht mal tauschen oder gar selber machen – und sonst auf faire und umweltverträgliche Produkte achten.
Gretchenfrage zum Schluss
„Die Aufgaben wurden mehrheitlich gut gelöst“, lobt Straub in der Nachbesprechung. „Nur die Ortung war heute leider miserabel.“ Infolgedessen konnten die Schüler nicht im vorgesehenen Zeitrahmen alle Ziele ansteuern und kamen in Zeitnot. „Das hat richtig gespackt“, meint eine Schülerin mit hochgezogenen Brauen. Einige haben etwas über den Themenkomplex Nachhaltigkeit beim Kleiderkauf gelernt und scheinen zumindest stärker über ihr Einkaufsverhalten nachzudenken. Was sie daraus machen, ist am Ende ihre eigene Entscheidung. Eine Teilnehmerin bringt es so auf den Punkt: „Lieber qualitativ hochwertig und nicht so häufig einkaufen als jede Woche Schrott kaufen.“ Aus pädagogischer Sicht also Ziel erreicht? Simon Straub macht den Test und stellt zum Abschluss die Gretchenfrage: „Würdet ihr jetzt anders einkaufen?“ – „Nee“, retourniert ein Junge im Nu. „Wichtig ist, dass es gut aussieht.“ Es ist halt nicht ganz so einfach mit der Nachhaltigkeit.
Alexander Ochs
Erfolg beim „Campusweltbewerb“
Dr. Astrid Carrapatoso vom Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg hat mit ihrem Konzept den „Campusweltbewerb“ des Landes Baden-Württemberg gewonnen. Für das Projekt arbeitet sie mit der Landeszentrale für politische Bildung, dem Leistungszentrum Nachhaltigkeit Freiburg, dem Freiburg Advanced Center of Education sowie der Stadt Freiburg zusammen.