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Strom im Flug erzeugen

Höhenwindkraftwerke versprechen eine hohe Energieausbeute, die sich mit der passenden Steuerung maximieren lässt

Freiburg, 08.03.2017

Strom im Flug erzeugen

Fotos: Patrick Seeger

Flugzeuge, die wie Lenkdrachen ihre Bahnen am Himmel ziehen und Strom aus Höhenwindkraft erzeugen: Prof. Dr. Moritz Diehl simuliert gemeinsam mit seinem Team mathematische Modelle, mit denen sich solche Anlagen am Computer simulieren lassen. Ziele sind eine vollautomatische Steuerung und maximale Energieausbeute.

Der metallene Arm dreht sich erst langsam, dann immer schneller. Ein Flugzeug mit etwa zwei Meter Flügelspannweite hängt an einem dünnen Seil, zunächst nur wenige Dezimeter vom Ende des Arms entfernt. Durch die Rotation bekommt es auf seiner Kreisbahn Auftrieb. So kann die Winde unter dem Metallarm das Seil verlängern, an dem das Flugzeug zerrt. Dieses steigt dadurch in einer spiralförmigen Bahn auf und zieht immer weitere Kreise. Schließlich stoppt die Drehbewegung des Arms, und das Flugzeug geht dazu über, Achterfiguren zu fliegen, bis das 600 Meter lange Seil vollständig ausgerollt ist. Dann folgt ein Sturzflug. Die Winde zieht das Seil ein, das Flugzeug fliegt auf die Winde zu, nimmt eine Kurve und beginnt erneut, Achterfiguren zu fliegen. Dabei rollt die Winde das Seil wieder aus. Der nächste Zyklus beginnt – ähnlich wie bei einem Jo-Jo.

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Noch ist keine dieser Anlagen in Betrieb. Doch geht es nach Moritz Diehl, werden sie in einigen Jahren Strom aus Höhenwindkraft erzeugen. Der Freiburger Professor für Systemtheorie, Regelungstechnik und Optimierung ist überzeugt von den Vorteilen, die seine Flugzeuge, die wie voll automatisierte Lenkdrachen ihre Bahnen am Himmel ziehen, gegenüber konventionellen Windkraftanlagen haben. „Mit unserem Drachen reduzieren wir ein Windrad auf die Flügelspitze, also auf den Teil, der sich am schnellsten dreht und die meiste Kraft erzeugt“, sagt Diehl. Das spart Material und damit Kosten.

Kräftiger, beständiger Wind

Zudem bläst der Wind in mehreren Hundert Meter Höhe kräftiger und beständiger als in Bodennähe. Eine Flugwindkraftanlage kann daher nahezu pausenlos Strom erzeugen und steht nicht still, wenn der Wind ausbleibt oder aus der falschen Richtung kommt. Der Jahresertrag soll dadurch im Vergleich zum Windrad mindestens doppelt so hoch sein. Die Anlagen, so die Erwartung, sind also effizienter, machen die Energieerzeugung günstiger und können damit dazu beitragen, den Strompreis zu senken. Ein Einsatz wäre an Land denkbar, vor allem aber auf See sinnvoll: Rund um Arm und Winde muss der Raum einer Halbkugel mit dem Radius der Seillänge für die Drachen frei bleiben.


Die Freiburger Forscher haben einen Prototyp des rotierenden Arms gebaut, der den an einem Seil befestigten Drachen zur Energiegewinnung in die Luft befördert. Foto: Patrick Seeger

Derzeit sind zwei Systeme in der Entwicklung, mit denen sich aus der Höhenwindkraft Strom erzeugen lässt. Eines sieht von Propellern angetriebene Generatoren an Bord des Flugzeugs vor. Mit diesen Propellern ist das Flugzeug gleichzeitig leichter in die Luft zu bringen und zu steuern, ein rotierender Arm für den Start ist nicht nötig. Zudem kann es konstant auf der Flugbahn bleiben, auf der es die maximale Energie erntet, anstatt immer wieder in den Sturzflug gehen zu müssen. Allerdings sind Flugzeuge mit Generatoren an Bord deutlich schwerer. Vor allem jedoch hängen sie nicht an einem einfachen Seil, sondern an einem Kabel, das den Strom zum Boden bringt.

Mathematische Modelle

Diehl befasst sich daher besonders mit der anderen, eingangs beschriebenen Variante: Der Generator steht am Boden und wird mit dem Ausrollen des Seils, an dem der aufsteigende Drachen zerrt, angetrieben. Das erfordert Phasen des Steig- und des Sinkflugs im regelmäßigen Wechsel. Die Bilanz falle dennoch positiv aus, erklärt Diehl: „Beim Einrollen des Seils verbrauchen wir zwar wieder etwas Strom, aber weit weniger, als wir zuvor gewonnen haben.“ Bei diesem System sind zwei Drachentypen möglich: weiche, die ähnlich gebaut sind wie Gleitschirme, und feste, also Flugzeuge aus Kohlefaserverbundstoffen. Die weichen sind leichter, aber auch langsamer, und das Material der dünnen Segelmembranen altert schneller. Die schnelleren Flugzeuge haben mehr Zugkraft, sind dadurch aber auch schwieriger zu steuern.

An diesem Punkt setzt Diehls Forschung an: „Wir simulieren die Anlagen mit dem Ziel, die Steuerung für die maximale Energieausbeute zu optimieren.“ Damit ein hoher Ertrag möglich ist, müssen die Bestandteile und Einstellungen genau aufeinander abgestimmt sein: etwa die Länge und Dicke des Seils, die Geschwindigkeit, in der es ausgerollt wird, die Größe und äußere Form des Flugzeugs, die Figuren, die es fliegt – all das wiederum angepasst an die Windverhältnisse am Standort der Anlage, die überdies im Jahresverlauf schwanken. Für diese komplexen Berechnungen entwickelt das Team am Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) mathematische Modelle, mit denen sich die Anlagen am Computer simulieren lassen, bis das ideale Design ermittelt ist. So hat sich beispielsweise herausgestellt, dass das Seil für eine maximale Energieernte etwa mit einem Drittel der Windgeschwindigkeit ausgerollt werden muss.

Leicht und schnell: Flugzeuge aus Kohlefaserverbundstoffen sind für den Einsatz in Höhenwindkraftwerken hervorragend geeignet. Fotos: Patrick Seeger

Die Steuerung der gesamten Anlage soll vollautomatisch erfolgen. Besonders knifflig sind dabei Start und Landung. Diehl und sein Team haben deshalb einen Prototyp des rotierenden Arms gebaut. Die Konstruktion hilft den Forscherinnen und Forschern, genaue Daten zum Flugverhalten des angeleinten Drachens zu erheben und auf deren Grundlage die Simulation zu verbessern. Dazu ist er mit Sensoren ausgestattet, die permanent Daten wie Flughöhe und -geschwindigkeit oder Windrichtung und -stärke aufzeichnen.

Darüber hinaus soll sich das Flugzeug nach dem Start möglichst nah an der optimalen Flugbahn halten und Turbulenzen ausgleichen. Dies gelingt mithilfe von beweglichen Klappen. „Das ist so ähnlich wie beim Autofahren, wenn man Seitenwind hat und ein bisschen gegenlenkt“, sagt Diehl – nur muss das Flugzeug sich selbst steuern. Dafür braucht es eine Fähigkeit, die der Forscher als „prädiktive Regelung“ bezeichnet: Es muss neue Situationen voraussagen und reagieren können, bevor sie eintreten.

100 Prognosen je Sekunde

Ein im Flugzeug eingebetteter Computer versucht dabei zunächst, aus den Messdaten zu schätzen, wo genau das Flugzeug am Himmel steht, wie es sich bewegt und welchem Wind es gerade ausgesetzt ist. So registriert er etwa plötzliche Böen und errechnet, was das Flugzeug in der folgenden Sekunde tun kann, um trotz der Störung der idealen Bahn möglichst nahezukommen. Daraus ergeben sich neue Messdaten, auf die der Computer wieder reagiert. So entsteht ein Regelkreis: Alle zehn Millisekunden, also 100-mal in der Sekunde, wird die Planung überarbeitet. Der Flug wird dadurch ruhiger und stabiler.

Dennoch seien die damit gewonnenen Einflussmöglichkeiten vergleichsweise gering, sagt Diehl. Für die Energieausbeute seien vor allem das Design der Anlage sowie der Startvorgang entscheidend. „Bei einem Ball hängt die Flugbahn auch im Wesentlichen davon ab, wie groß und schwer er ist, wie stark und in welchem Winkel ich ihn werfe – ist er erst einmal in der Luft, hat er seine eigene Dynamik.“ Wichtig ist auf jeden Fall, dass der Drachen nicht statisch am Himmel steht, sondern Kreise oder Achten fliegt. Das erhöht, wie beim gewöhnlichen Lenkdrachen, die Zugkraft um ein Vielfaches.

 


Erst Kreise, dann Achten: Die vereinfachte Darstellung zeigt die beiden Figuren, die der Drachen beim Aufsteigen fliegt. Grafik: Greg Horn

Der Wissenschaftler bescheinigt den Höhenwindkraftanlagen ein großes Potenzial. „Ein Quadratmeter Flügelfläche kann übers Jahr gemittelt den gesamten Energiebedarf von zwei Menschen mit europäischem Lebensstil decken. Das entspricht der Leistung von 125 Quadratmeter Fotovoltaikfläche.“ Seine Vision sind aber noch ergiebigere Systeme: In Zukunft sollen bis zu drei Drachen an einem Seil kreisen – was die Energieausbeute aufgrund der stärkeren Zugkraft erhöht, aber die Steuerung noch anspruchsvoller macht, da die Flugzeuge einander nicht in die Quere kommen dürfen.

Diehl forscht derzeit in zwei Projekten zur Höhenwindkraft: Highwind, für das der Wissenschaftler einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten hat, und Awesco, einem ebenfalls von der Europäischen Union geförderten Verbund von acht wissenschaftlichen und vier industriellen Partnern. Die alle zwei Jahre stattfindende Fachtagung „Airborne Wind Energy Conference“ wird das nächste Mal – am 5./6. Oktober 2017 – von der Universität Freiburg ausgerichtet. „Die Nutzung der Höhenwindkraft ist ein alter Traum von mir“, sagt Diehl. „Ich freue mich, dass jetzt so viele Leute an dem Thema arbeiten.“

Nicolas Scherger