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Spannungsreiche Figuren

Die Anglistin Nicole Falkenhayner forscht über Heroismus und Helden in britischen Fernsehserien

Freiburg, 22.09.2017

Spannungsreiche Figuren

Foto: Jörg Blum/Medienzentrum UB

Eigentlich sind postheroische Zeiten angebrochen – weil die meisten Menschen in den westlichen Gesellschaften ihr Leben ungern aufs Spiel setzen und weil Fernlenkwaffen und Drohnen Heldentum im Grunde entbehrlich machen. Doch es gibt sie noch, die Heldinnen, Helden und das Heroische. Dr. Nicole Falkenhayner ist ihnen auf der Spur. Im Sonderforschungsbereich (SFB) „Helden – Heroisierungen – Heroismen" der Universität Freiburg erforscht die Anglistin im Teamwork mit Prof. Dr. Barbara Korte und der Doktorandin Maria-Xenia Hardt Erscheinungsformen des Heroischen in zeitgenössischen britischen Fernsehserien. Im Gespräch mit Hans-Dieter Fronz berichtet Falkenhayner von ihren Erkenntnissen.

Helden im Wandel: Detektiv Sherlock Holmes ist in der aktuellen TV-Serie immer unfreundlich und arrogant, Geheimagent James Bond hat in den jüngeren Filmen depressive Anwandlungen. Foto: Jörg Blum/Medienzentrum UB

Frau Falkenhayner, muss man sich zurzeit um Sie Sorgen machen – zum Beispiel wegen erhöhten TV-Konsums?

Nicole Falkenhayner (lacht): Nein, keineswegs. Ich schaue die Serien im Rahmen meiner beruflichen Arbeit. Privat kenne ich noch andere Beschäftigungen.

Bei Anglistik denkt man spontan an Literatur, etwa an Dramen von Shakespeare oder Romane von Virginia Woolf. Offenbar spielen auch Filme und Fernsehproduktionen eine Rolle?

Ja, immer stärker, infolge eines mehr kulturwissenschaftlichen Zugriffs. Das begann in den 1970er Jahren mit den British Cultural Studies und ihrem emanzipatorischen Anspruch. Da wurde die Populärkultur im Verhältnis zur Hochkultur stärker gewichtet als zuvor. In der ersten Förderphase des SFBs untersuchte das Projekt von Barbara Korte, wie in viktorianischen Zeitschriften – einem Populärmedium – Heldengeschichten erzählt wurden. Die viktorianische Zeit war sehr heroisch geprägt, führte aber auch zu einer Demokratisierung des Heroischen: Helden konnten jetzt nicht mehr nur Adlige oder Militärs sein, sondern im Prinzip jedermann und jede Frau.

Wodurch ist ein Held in britischen TV-Serien gekennzeichnet?

Ein Held ist zunächst eine Identifikationsfigur, die gar nicht unbedingt ständig heroische Taten vollbringen muss. Was bei dem neuen Sherlock Holmes natürlich der Fall ist, der unentwegt Leute rettet oder Bombenanschläge verhindert. Die typische britische Superheldenfigur ist James Bond, über den Barbara Korte viel gearbeitet hat. Er ist auch ein gutes Beispiel für die Vermarktung positiv konnotierter Figuren im Sinne des Königreichs: etwa mit Gadgets wie der britischen Flagge – und die Queen ist ja buchstäblich Bonds Arbeitgeberin.

Was ist mit dem Heroischen genau gemeint?

Wir operieren im SFB mit keinen starren Definitionen von Heldentum und Heroismus. Wir arbeiten mehr mit einer variablen Reihe von Eigenschaften und Zuschreibungen an Heldenfiguren. Ewa sind Helden Gestalten mit einer starken „agency"; das heißt, die Handlungsmacht liegt nicht bei einem Kollektiv, sondern jeweils eindeutig bei dieser einen Figur. Zu ihrer Kennzeichnung als Held dienen auch ästhetische Mittel wie Musik oder der „hero shot", die Aufnahme von etwas unterhalb der Augenhöhe. Der neue Sherlock wird oft auf hohen Gebäuden gezeigt, im Blick auf eine Stadt, sozusagen mit Heldenmantel à la Batman.

Gibt es auch „zivile" Helden?

Natürlich können Figuren des Alltags ebenso heroisiert werden – nicht zuletzt in der historischen Rückschau. Sehr erfolgreich zum Beispiel war die Serie „Call the Midwife". Da geht es um Hebammen im Londoner East End kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, die den Segen der Gesundheitsversorgung in die Stadt bringen. Diese Figuren ragen durch ihre Menschlichkeit heraus. Die Attribute für Heldenhaftigkeit sind keineswegs für die Verbrechensbekämpfung reserviert.

Gibt es auch ambivalente Helden – mit Macken oder inneren Brüchen?

Klar. Inzwischen wird sogar kaum noch eine Figur rein positiv gezeichnet. Oft sind die Helden Figuren, mit denen wir uns zum einen identifizieren können – und andererseits auch nicht. Der neue Sherlock Holmes zum Beispiel ist ja „nicht ganz normal". Er ist übermäßig intelligent und darüber hinaus ein Soziopath, immer unfreundlich und arrogant. Solche soziopathischen Züge werden in zeitgenössischen Adaptionen immer deutlicher hervorgehoben. Nicht selten haben die Helden dunkle Seiten. Manche sind sogar Figuren, die auf der Kippe stehen und sich entscheiden müssen: Bleibe ich auf der guten Seite – oder werde ich mein eigener Gegner. Diese schwierigen beziehungsweise komplex angelegten Helden bieten viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten im Hin-blick auf Dramatik und Spannung.

Das Heroische findet in Großbritannien schon aus historischen Gründen stärkere Wertschätzung als hierzulande, sagt Nicole Falkenhayner. Foto: Jürgen Gocke

Hat sich das Bild des Helden im Gang der Zeit somit ein Stück weit gewandelt?

In der Tat. Nicht allein, dass die Figuren komplexer und in sich spannungsreicher angelegt sind, es ist zugleich ein Trend zur Psychologisierung erkennbar, die manchmal bis zur Pathologisierung geht. In den jüngeren Bond-Filmen etwa hat der Held Selbstzweifel, ja depressive Anwandlungen. Die Dissertation von Maria-Xenia Hardt wird solchen Wandel in der Zeit deutlich machen. Ihr Thema ist die Serie „Dr. Who", die auf der Insel einen unglaublichen Erfolg hat. Sie handelt von einem außerirdischen Zeitreisenden, der sich immer wieder neu inkarniert – inzwischen sogar als Frau.

Haben Erscheinungen wie der islamistische Terror und religiöse oder ethnische Konflikte das Bild des Heroischen in den Serien verändert?

Ganz deutlich: ja. In einem größeren Kontext betrachtet ließe sich feststellen, dass seit den Anschlägen vom 11. September 2001 wieder vermehrt solche Figuren auftauchen – weil man sich mit dieser neuen Bedrohung konfrontiert sieht. In „Spooks" zum Beispiel geht es praktisch in jeder Folge um Islamismus. Auch die neuerliche Popularität des Spionagegenres hat zweifellos damit zu tun. Technische Überwachungsmöglichkeiten werden heute selbstverständlich mit einbezogen.


Würden Sie sagen, dass die Briten womöglich einen höheren Bedarf an Helden haben als andere Nationen?

Ich glaube, dass das Heroische bei den Briten schon aus historischen Gründen stärkere Wertschätzung findet als bei uns – Stichwort Commonwealth, immerhin das größte Weltreich der Geschichte, Stichwort gewonnene Weltkriege. Es gibt auf der Insel in jedem Fall eine größere Selbstverständlichkeit, solche Geschichten zu erzählen, als – aus guten Gründen – bei uns.

Zu Heroisierungen in der globalen Populärkultur veranstaltet der SFB „Helden – Heroisierungen – Heroismen" eine internationale Tagung.