Magische Moleküle
Freiburg, 12.10.2017
Jennifer Andexer ist Juniorprofessorin am Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie der Universität Freiburg. Obwohl die 37-Jährige studierte Biologin ist, hat sie sich nach ihrer Promotion in die Chemie gewagt – erst in Cambridge/England, später in Freiburg. Die Tatsache, dass sie sich als Biochemikerin zwischen zwei Disziplinen hin und her bewegen kann, hat ihr nicht zuletzt einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC) und damit 1,5 Millionen Euro für ihr Vorhaben eingebracht. Das zehnte Jubiläum der ERC-Grants und ihre 50 Preisträgerinnen und Preisträger feiert die Albert-Ludwigs-Universität mit einem Einblick in ausgewählte Projekte: Eine Serie stellt zehn Köpfe im Porträt vor.
Jennifer Andexer ist studierte Biologin und hat sich nach der Dissertation in die Chemie vorgewagt – die Tatsache, dass die Forscherin an der Schnittstelle der beiden Disziplinen arbeitet, hat ihr nicht zuletzt einen ERC Starting Grant eingebracht. Foto: Thomas Kunz
Jennifer Andexer möchte Methoden entwickeln, mit denen sich Substanzen mithilfe spezieller Enzyme so verändern lassen, dass sie mehr wirken oder intensiver schmecken. Medikamente zum Beispiel oder Aromastoffe in der Lebensmittelindustrie. Enzyme, wie war das doch gleich? Andexer erklärt: „Ein Enzym ist immer ein Protein. Und ein Protein ist eine Abfolge von Aminosäuren, die wie Perlen an einer Schnur aufgereiht sind.“ Enzyme wirken zum Beispiel in laktosefreier Milch. Sie sorgen dafür, dass die Laktose in verdauliche Bausteine abgebaut wird. In der Natur kommen Enzyme aber nicht als einfache Kette vor. Die Schnur mit den Aminosäuren ist vielmehr dreidimensional gefaltet und gibt dem Enzym eine ganz besondere Form. Die sorgt dafür, dass Enzyme als Biokatalysatoren funktionieren, also biochemische Reaktionen beschleunigen. Enzyme sind irgendwie magisch. Ein bisschen wie eine Zaubermaschine, in die man vorne etwas hineinschiebt, um hinten herausziehen, was man sich wünscht. Andexer relativiert: Natürlich müsse man ganz genau wissen, wie das Enzym funktioniere, mit dem man arbeite. „Aber cool ist es trotzdem.“
Den Kreislauf am Laufen halten
Es gibt auch Enzyme, die so genannte Kofaktoren benötigen, um als Katalysator funktionieren zu können. Kommen Enzym und Kofaktor zusammen, kann das Enzym zum Beispiel eine chemische Gruppe von dem Kofaktor auf ein Zielmolekül übertragen. Zurück bleibt der Kofaktor ohne diese Gruppe. Ein Kofaktor, an dem Andexer und ihr Team arbeiten, heißt S-Adenosylmethionin. Dieses Molekül besteht aus viel Kohlenstoff, viel Stickstoff, viel Wasserstoff und ein bisschen Schwefel sowie Sauerstoff. Zu ihm gehört aber auch eine Methylgruppe, die aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoffatomen besteht – das ist die Gruppe, die übertragen wird.
Bunt, rund und Hoffnungsträger der Biotechnologie: Enzyme, die Methylgruppen übertragen, könnten die Wirkung von Medikamenten oder Aromastoffen wie Vanillin deutlich intensivieren. Foto: Thomas Kunz
So weit, so gut. Nur: Was nach der Reaktion vom Kofaktor übrig bleibt, kann das Enzym hemmen. „Diese Nebenprodukte vom Kofaktor sammeln sich an und verstopfen das so genannte aktive Zentrum des Enzyms, sodass es in seiner Wirkung gehemmt wird“, erläutert Andexer. Auch problematisch: Die Reaktion kann ohne Nachschub der Kofaktoren nicht am Laufen gehalten werden. Um dafür zu sorgen, dass alles rund läuft, haben Andexer und ihr Team mehrere Reaktionskreisläufe miteinander kombiniert. Bis es so weit war, haben die Forschenden viel ausprobiert. Ein weiteres Molekül etwa sorgt jetzt für den Nachschub, gibt dem ersten Kofaktor-Rest also seine fehlende Gruppe zurück, damit dieser wieder mit dem ersten Enzym reagieren kann. Um die Kosten gering zu halten, sollte die Herstellung des Kofaktors so günstig wie möglich sein. „Auch das gilt es zu bedenken“, sagt Andexer. „Schließlich braucht man große Mengen davon.“ Das Team verwendet Enzyme aus natürlichen Organismen. Warum also nicht einfach chemisch synthetisieren? „Die Strukturen solcher Kofaktoren sind extrem komplex“, erklärt die Biochemikerin. Und warum die eigentliche Reaktion nicht chemisch durchführen? Das sei zwar möglich und je nach der gewünschten Reaktion auch sinnvoll, allerdings in manchen Fällen nur unter Verwendung toxischer Stoffe.
Vanillige Vanille
Hinzu kommt, dass Enzyme die Reaktion oft viel besser steuern können als chemische Katalysatoren. Das hängt mit ihrer dreidimensionalen Struktur zusammen. Im aktiven Zentrum können sich die Reaktionspartner nur in einer einzigen Weise anordnen und miteinander reagieren. „Das Enzym macht das selber. Bei der chemischen Synthese könnte die Gruppe auch wo ganz anders andocken.“ Mit dem Ergebnis, dass hinten eben nicht nur das herauskommt, was man eigentlich wollte.
Keine Wunschmaschine also, sondern ein von vielen Variablen abhängiges Produkt. Aber zurück zu den Enzymen, die Andexer erforscht, den – weil sie Methylgruppen übertragen – so genannten Methyltransferasen. „Die Wirkung gerade dieser Methylgruppen kann enorm sein“, sagt sie. Richtig platziert, lasse sich zum Beispiel die Wirkung von Pharmazeutika um ein Tausendfaches steigern. Und ein Aromastoff wie Vanillin riecht plötzlich viel, viel vanilliger. Magic Methyl Effect nennt sich das in der Fachsprache. Magisch eben.
Stephanie Streif
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