Stress in den Zellkraftwerken
Freiburg, 18.10.2019
Netzwerkartige Struktur von grün eingefärbten Mitochondrien aus dem Modellorganismus der Bäckerhefe. Quelle: AG Meisinger
Um die in unserer Nahrung gespeicherte Energie nutzbar zu machen, benötigen Zellen Kraftwerke, die so genannten Mitochondrien. Die meisten Proteine, die für diese Kraftwerksfunktion benötigt werden, sind im Zellkern kodiert und werden außerhalb der Mitochondrien im Zytosol hergestellt und dann in die Mitochondrien transportiert. Hierfür sind Signalsequenzen notwendig, die dem Protein erlauben, in die Mitochondrien zu gelangen. Dort angekommen, werden die Signalsequenzen allerdings wieder entfernt. Bisher war nicht bekannt, weshalb es wichtig ist, dass die Signalsequenzen entfernt werden. Auch war unklar, warum ein fehlerhaftes Entfernen zu einer Vielzahl von Erkrankungen, wie zum Beispiel des Herzens oder Gehirns führt. Dr. Nora Vögtle vom Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Universität Freiburg hat nun mit ihrer Arbeitsgruppe entdeckt, dass Fehler im Abschneiden der Signalsequenzen zu einer Aggregation dieser Proteine führt, diese also innerhalb der Mitochondrien zusammenklumpen. Ihre Ergebnisse präsentieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Molecular Cell.
Aufgrund der festgestellten Aggregation können die Zellkraftwerke nicht mehr funktionieren, was aber für alle Organismen überlebensnotwendig ist. Doch dank einer Stressantwort, wie die Forschenden die darauf erfolgende Reaktion der Zellen nennen, bleiben die zentralen Funktionen der Mitochondrien bestehen. Somit überleben Zellen wie beispielsweise die Bäckerhefe, der Modellorganismus, an dem die Untersuchungen durchgeführt wurden. Gemeinsam mit Doktorand Daniel Poveda-Huertes, der Erstautor der Studie ist, entdeckte Vögtle hierbei, dass im Zellkern eine Regulation von vielen verschiedenen Genen stattfindet. Darüberhinaus fanden die Forschenden heraus, dass ein Transkriptionsfaktor, der normalerweise im Zellkern zu finden ist, nun überraschend in die Mitochondrien transportiert wird und dort das Ablesen der Erbinformation beschleunigt. Nur hierdurch können Mitochondrien unter diesen Stressbedingungen ihre Kraftwerksfunktion aufrechterhalten und so das Überleben der Zellen sichern. Dieses völlig neue Prinzip in der zellulären Stressantwort ist, erklärt Vögtle, die wahrscheinlich früheste Reaktion, die bislang entdeckt wurde: „Das ist die erste Verteidigungslinie der Zelle bei Auftreten von Stress in ihren Kraftwerken.”
Die Arbeit erfolgte gemeinsam mit den Freiburger Forschungsgruppen um Prof. Dr. Chris Meisinger, Prof. Dr. Claudine Kraft, Dr. Ralf Gilsbach und Prof. Dr. Lutz Hein sowie Wissenschaftlern an den Universitäten Hamburg und Stockholm/Schweden.
Nora Vögtle leitet eine durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderte Emmy-Noether Nachwuchsgruppe und ist Projektleiterin im neuen Sonderforschungsbereich „Dynamische Organisation zellulärer Proteinmaschinerien“ der Albert-Ludwigs-Universität. Zudem ist sie am Freiburger Exzellenzcluster CIBSS, dem Centre for Integrated Biological Signalling Studies, beteiligt.
Originalpublikation:
Poveda-Huertes, D., Matic, S., Marada, A., Habernig, L., Licheva, M., Myketin, L., Gilsbach, R., Tosal-Castano, S., Papinski, D., Mulica, P., Kretz, O., Kücükkose, C., Taskin A.A., Hein, L., Kraft, C., Büttner, S., Meisinger, C., and Vögtle, F.N. (2019): An early mtUPR: Redistribution of the nuclear transcription factor Rox1 to mitochondria protects against intramitochondrial proteotoxic aggregates. In: Molecular Cell. DOI: https://doi.org/10.1016/j.molcel.2019.09.026
Kontakt:
Dr. Nora Vögtle
Institut für Biochemie und Molekularbiologie
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-5270
E-Mail: nora.voegtle@biochemie.uni-freiburg.de