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„Wie eine Wunde, die nicht schließt“

Etwa 90 Prozent aller afrikanischen Kulturgüter befinden sich außerhalb des Kontinents – was kann eine Universität tun, um das Thema Restitution voranzubringen?

Freiburg, 15.01.2020

Begegnungen auf Augenhöhe schaffen, Expertinnen und Experten vor Ort und im Ausland vernetzen, den Dialog mit der Gesellschaft suchen: Das möchte das neu gegründete Afrika-Zentrum für Transregionale Forschung der Universität Freiburg leisten. Unter anderem organisiert es die öffentliche Reihe „Freiburger Afrikagespräche“. Im nächsten Vortrag wird es um Restitution afrikanischer Kulturgüter gehen – ein Thema, das seit einigen Jahren wieder intensiv diskutiert wird. Mathias Heybrock hat mit Dr. Annika Hampel, Geschäftsführerin des Afrika-Zentrums, über die gesellschaftliche Verantwortung europäischer Politik und Wissenschaft gesprochen.

In den 1970er und 1980er Jahren wurde sehr intensiv über die Restitution afrikanischer Kulturgüter diskutiert – das Thema verschwand dann aber wieder aus der Öffentlichkeit.
Foto: grek881/stock.adobe.com

 

Frau Hampel, fast 90 Prozent aller afrikanischen Kulturgüter befinden sich außerhalb des afrikanischen Kontinents. Das hört sich unglaublich an.

Annika Hampel: Ja, aber leider ist es wahr. Die Zahl stammt aus dem Bericht über die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter, den der senegalesische Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Felwine Sarr und die französische Kunsthistorikerin Prof. Dr. Bénédicte Savoy 2018 gemeinsam veröffentlicht haben.

Im Rahmen der Reihe „Freiburger Afrikagespräche“ wird Bénédicte Savoy am 22. Januar 2020 einen Vortrag in Freiburg halten. Worüber wird sie sprechen?

Darüber, dass von 1979 bis 1982 schon einmal sehr intensiv über Restitution geredet wurde – das Thema dann aber wieder verschwand. Ihre Rückschau nimmt anschließend die Debatte unserer Tage in den Blick, und das, was zukünftig aus ihr folgen müsse.

Was müsste das Ihrer Meinung nach sein?

Dass es nicht nur beim Reden bleibt, sondern dass auch Taten folgen. Für unsere afrikanischen Partnerinnen und Partner und ihr Vertrauen in uns ist das extrem wichtig. Wir sehen in den afrikanischen Kunstgegenständen Objekte. Für die Afrikanerinnen und Afrikaner sind es aber Subjekte – wichtige Teile ihres Lebens. Oft haben sie eine spirituelle, religiöse Bedeutung. Ihr Fehlen ist wie eine Wunde, die nicht schließt. Sie verweist permanent auf die Epoche des Kolonialismus, auf die Gewalt, die der Kontinent erfahren hat.

Was tut die Universität Freiburg, um bei dem Thema Restitution voranzukommen?

Wir sind Teil der Namibia-Initiative des Landes Baden-Württemberg und haben an den Besuchen in Namibia teilgenommen, die 2019 zur Rückgabe zweier Exponate des Stuttgarter Lindenmuseums nach Namibia führten – einer Peitsche und einer Bibel aus dem Besitz des namibischen Nationalhelden Hendrik Witbooi. Auch ich selbst war zur Vorbereitung der Übergabe in Namibia.

Gibt es auch in Freiburg Objekte, die zurückgegeben werden sollten?

Betrachten wir zum Beispiel die mehr als 150 Jahre alte anatomische Alexander-Ecker-Sammlung der Universität. Seit 2009 erforschen Freiburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgewählte in der Sammlung enthaltene Gebeine auf deren historische und naturwissenschaftliche Herkunft. Im Mittelpunkt stehen Schädel, die mutmaßlich aus dem heutigen Namibia und aus Australien stammen. Auf der Basis detaillierter Berichte wurden 2014 und 2019 vierzehn Schädel an Namibia und sechs Schädel an Australien zurückgeführt. Wir stehen zudem mit Tina Brüderlin in Kontakt, der Leiterin der Ethnologischen Sammlung im Freiburger Museum für Natur und Mensch.

Welche Eindrücke hat das Ihnen verschafft?

Prof. Dr. Andreas Mehler, Direktor des Arnold-Bergstraesser-Instituts (ABI), und ich haben zum Beispiel Zugang zum Depot der Ethnographischen Sammlung bekommen. Das war sehr beeindruckend. Wie in vielen Depots von deutschen Museen müsste man allerdings auch dort die Gegenstände zunächst einmal umfassend systematisch erfassen. Dafür bräuchte man allerdings erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen. Da muss die Kulturpolitik ihrer Verantwortung endlich gerecht werden. In Ländern wie Kanada wird ganz anders mit Depots umgegangen.

Annika Hampel plädiert für eine Öffnung der ethnologischen Sammlungen: „Noch besser wäre es, wenn unsere Partner dort dann nicht nur wissenschaftlich arbeiten, sondern die Gegenstände auch in ihr alltägliches Leben einbeziehen könnten.“ Foto: Klaus Polkowski

 

Wie denn?

Da sind Depots offener. Interessierte Personen haben einfacher Zutritt und können auch mit den Objekten arbeiten, wenn sie sich an die Regeln halten, etwa Schutzhandschuhe tragen. Eine solche Öffnung fände ich auch in Deutschland wünschenswert. Wenn unsere afrikanischen Kolleginnen und Kollegen Zugang zu unseren Sammlungen und Depots haben, sich mit eigenen Augen einen Überblick verschaffen können, sorgt das für Vertrauen. Noch besser wäre es, wenn unsere Partner dort dann nicht nur wissenschaftlich arbeiten, sondern die Gegenstände auch in ihr alltägliches Leben einbeziehen könnten: warum nicht eine spirituelle Zeremonie im Depot der Ethnologischen Sammlung abhalten?

Und welche Rolle wird das neu gegründete Afrika-Zentrum spielen?

Es folgt der Idee, dass Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden müssen und dass gleichberechtigter Austausch die Grundlage für vertrauensvolle Zusammenarbeit und jede Problemlösung bildet. Wir werden verstärkt afrikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Freiburg einladen, damit sie ihre Perspektive einbringen. Zum Thema Restitution, aber gern auch zu vielen anderen Themen. Davon werden wir profitieren.

Das Afrika-Zentrum ist nicht der erste Vorstoß in Freiburg auf diesem Gebiet.

Es gibt in Freiburg jede Menge exzellente Afrika-Forschung, die teilweise jedoch gar nicht voneinander weiß. Das ABI kennt man natürlich, dort arbeiten vor allem Politik- und Sozialwissenschaftler. Es gibt aber beispielsweise auch an der Universität in den Rechtswissenschaften große Afrika-Expertise, ebenso in der Ethnologie. Ein noch sehr junges Institut ist zudem das Maria Sibylla Merian Institute for Advanced Studies in Africa (MIASA), eine gemeinsame Einrichtung der Universitäten Freiburg und Ghana. Wir im Afrika-Zentrum wollen die Vernetzung stärken. Wir werden die vorhandenen Expertisen in Zukunft besser bündeln und außerdem den Dialog mit der Gesellschaft führen. Das klappt schon jetzt gut.

Ja? Erzählen Sie mal.

Unsere Reihe „Freiburger Afrikagespräche“ ist sehr gut besucht, das Publikum angenehm vielfältig: Afrikaner und Deutsche, Leute mit viel Wissen und solche mit wenig. Bei unserem ersten Afrikagespräch stand jemand auf und sagte, er sei gerade das erste Mal auf Safari in Namibia gewesen und hätte nun eine Frage. Dass sich niemand ausgeschlossen fühlt, dass jede und jeder sich traut mitzureden, empfand ich als großes Kompliment für diese Reihe. Denn sie strebt genau diese Zugänglichkeit an.

 

Vortrag von Bénédicte Savoy 

In der Reihe „Freiburger Afrikagespräche“ spricht am 22. Januar 2020 Prof. Dr. Bénédicte Savoy zum Thema „Zurück in die Zukunft. Die Restitution afrikanischer Kulturgüter aus historischer Sicht“. Der Vortrag beginnt um 18.30 Uhr im Haus zu Lieben Hand, Löwenstraße 16. Alle Interessierten sind eingeladen.

Freiburger Afrikagespräche