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Späte Reise zur letzten Ruhe

Die Universität Freiburg übergibt einer Delegation acht Schädel von indigenen Australiern

Freiburg, 25.04.2019

Der 12. April 2019 steht im Stuttgarter Linden-Museum im Zeichen der Erinnerung und Verantwortung gegenüber den Aborigines und den Torres-Strait-Insulanern: Ihre zwei Flaggen – die eine schwarz-rot mit einer leuchtend gelben Sonne in der Mitte, die andere blau-grün-schwarz mit weißem Kopfschmuck – bedecken Kisten, in denen zehn Schädel ihrer Volksangehörigen verwahrt sind. Die Landesregierung übergibt einer Delegation aus Australien die sterblichen Überreste, die vor mehr als 100 Jahren zu Zwecken der „Rassenforschung“ nach Baden-Württemberg gebracht wurden – acht davon waren Bestandteil der Alexander-Ecker-Sammlung der Universität Freiburg.


Im australischen Queensland präsentiert ein Zugehöriger der Aborigines Rituale seiner Kultur. Foto: Rafael Ben-Ari/stock.adobe.com

„Als Rektor dieser Universität bedauere ich zutiefst, was unter dem Deckmantel der Wissenschaft getan wurde“, sagt Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer bei der Übergabe. In der Regel wurden die Gräber indigener Australierinnen und Australier geplündert und die Gebeine an Forscher aus Europa verkauft. Schiewer plädiert für eine rückhaltlose Aufklärung der Kolonialverbrechen. „Hier gibt es keinen Spielraum. Wir müssen alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um die Herkunft der sterblichen Überreste zu ermitteln und diese in die jeweiligen Länder zurückzuführen.“ Für die indigenen Communities sind die Schädel und Gebeine von besonderer ritueller Bedeutung: Erst mit der Bestattung in ihrer Heimat kehre auch der Geist der Verstorbenen zurück.

Bereits 2014 übergab die Albert-Ludwigs-Universität insgesamt 14 Schädel von Zugehörigen der Volksgruppen der Herero und Nama an die Regierung Namibias. Die Gebeine waren während der Kolonialzeit aus dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika in die Sammlung gelangt. Die Aufklärung, so Schiewer, sei ein langwieriger Prozess, doch die Aufarbeitung der historischen Freiburger Sammlung laufe seit mehr als einem Jahrzehnt und zeitige Erfolge. „Durch die Repatriierungen schaffen wir auch eine neue Erinnerungskultur, und die Orte des unwissentlichen Verdrängens, des Nichtwissens oder des Nichtwissenwollens werden immer kleiner.“

Vor mehr als 150 Jahren jedoch hatte Alexander Ecker etwas anderes im Sinn. Der Professor für Zoologie, Physiologie und Anatomie der Albert-Ludwigs-Universität war den Kernfragen des Lebens auf der Spur. Er wollte verstehen, wie Menschen und Tiere sich entwickelten, was einen Organismus stärkte und was ihn schwächte. 1860 legte er eine anthropologische Sammlung an, die aus menschlichen Schädeln und Skeletten aus der Region um Freiburg, aber auch aus Afrika, Australien und Asien bestand. Ecker verfügte über hervorragende Kontakte zu Forschern, die zum Beispiel in Kolonialgebieten Ausgrabungen leiteten, aber auch zu Händlern und Sammlern. Eckers Nachfolger, die die Sammlung nach seinem Tod 1887 kuratierten, taten es ihm gleich. Der Bestand wuchs von Jahrzehnt zu Jahrzehnt auf insgesamt knapp 1.400 Schädel.


2014 übergab die Universität Freiburg in einer feierlichen Zeremonie 14 Schädel an eine Delegation aus Namibia. Foto: Baschi Bender

Ideologisch verzerrt

Was sich heute nach einem Gruselkabinett anhört, war auf der Höhe der Forschung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts: Die Eugenik war eine aufstrebende junge Wissenschaft, die sich der Verbesserung des Menschen verschrieben hatte. Ihr Namensgeber, der britische Naturforscher Francis Galton, arbeitete an einer scheinbar bestechend simplen Annahme für die Vererbungslehre: den Anteil des positiven Erbguts zu vergrößern und die weniger begehrten Teile so gering wie möglich zu halten. Doch wie so oft in der Wissenschaftsgeschichte, sprechen die Fakten nicht für sich, sondern sind verzerrtes Resultat einer ideologischen Trübung. Galton war der Überzeugung, dass eine „gute Zucht“ die „Vermischung von Völkern“ verbiete. Die „niedere Rasse“, das seien vorwiegend Menschen mit dunkler Hautfarbe, die Weißen hingegen betrachtete er als Idealbild.

Der Weg zur Rassenhygiene und ihrer Politisierung war geebnet – und wurde in Freiburg weiter perfektioniert: Eugen Fischer übernahm Anfang des 20. Jahrhunderts Eckers Sammlung, die er bis zu seinem Wechsel nach Berlin Ende der 1920er Jahre entschlossen mit „Menschenmaterial“ ausbaute. Fischer verknüpfte bestimmte Körpermerkmale mit angeblichen Charaktereigenschaften. Die Arbeiten des Mediziners dienten den Nationalsozialisten als entscheidende Stütze für die Rassengesetze, und Fischer wurde zu deren größtem Fürsprecher aus der Forschung. Eine besondere Aufgabe der Universität Freiburg sieht Schiewer daher darin, sich auch auf diesem Gebiet mit der eigenen Wissenschaftsgeschichte auseinanderzusetzen und sie aufzuarbeiten.

Luftangriffe zerstörten Bestände

Nach dem Zweiten Weltkrieg wandten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Rassenideologie ab, neue Ansätze und Methoden lenkten sie auf andere Pfade – und die Alexander-Ecker-Sammlung geriet immer mehr in Vergessenheit. Auf die Tatsache, dass der Bestand über ethisch problematische Exponate verfügte, machte der Freiburger Historiker Prof. Dr. Dieter Speck aufmerksam: „Als die Sammlung im Jahr 2000 zu uns ins Universitätsarchiv kam, habe ich sie für Forschungsarbeiten gesperrt und damit angefangen, mich Objekt für Objekt damit vertraut zu machen.“

Doch die Sammlung sei ein unübersichtliches Sammelsurium, die Unterlagen stiften eher Verwirrung, anstatt für Klarheit zu sorgen: „Es gab nie einen systematischen Katalog. Viele Bestände sind bei Luftangriffen in den beiden Weltkriegen zerstört worden. Die Kuratoren haben teilweise Objekte ersetzt, dies aber nicht vermerkt. Zudem ist die Sammlung oft umgezogen, dabei wurden Beschriftungen vertauscht“, erläutert der Leiter des Universitätsarchivs. Doch diese Widrigkeiten sollten der Universität Freiburg nicht dabei im Weg stehen, ihrer ethischen und politischen Verantwortung nachzukommen: 2004 fasste das Rektorat den Beschluss, die Gebeine auf ihre Herkunft zu untersuchen und den entsprechenden Staaten zur Repatriierung, also zur Rückführung der sterblichen Überreste in deren Heimat, zurückzugeben.


Keine Ehre, wem keine Ehre gebührt: Die Eckerstraße im Freiburger Institutsviertel, die einst nach Alexander Ecker benannt wurde, heißt seit 2018 Ernst-Zermelo-Straße. Foto: Sandra Meyndt

Detektivarbeit im Sammelsurium

Die Detektivarbeit teilte sich Speck mit Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen, Leiterin der Biologischen Anthropologie an der Universität Freiburg. Die Forscherin ist auf die forensische Analyse von Schädeln spezialisiert. Vor knapp zehn Jahren hat sie damit angefangen, die Objekte der Eckerschen Sammlung zu untersuchen – bisher sind es knapp 50 Schädel, die Wittwer-Backofen mit verschiedenen Methoden geprüft hat. Dazu gehören zum Beispiel Untersuchungen unter UV-Licht, mit denen sich einst aufgebrachte Beschriftungen auf den Schädeln entziffern lassen, sowie Analysen der DNA und der Isotope.

Bei dieser Methode geben bestimmte chemische Elemente, die sich in den Knochen absetzen, Hinweise auf die Herkunft. „Im Laufe unseres Lebens lagern sich Spuren unserer Umwelt in unserem Körper ab – seien es Spuren des Trinkwassers oder einer besonderen Ernährung“, erklärt Wittwer-Backofen. „Wir können nie 100-prozentig sicher sein, doch durch eine Kombination der Methoden haben wir genug Beweise, um ein Exponat seiner geografischen Herkunft zuzuordnen.“

Gemeinsame Aufarbeitung

„Mit dieser Forschung haben wir in den vergangenen zehn Jahren Pionierarbeit geleistet“, sagt Schiewer. „In Baden-Württemberg hat niemand so viel Expertise auf diesem Gebiet erlangt wie wir.“ Nun gilt es, das Wissen weiter zu nutzen. Die Landesregierung möchte ihre historischen Sammlungen, die in Museen, Hochschulen und Universitätskliniken lagern, systematisch untersuchen. Auch die Universität Freiburg wird ihre historische Sammlung weiter prüfen – Speck und Wittwer-Backofen gehen davon aus, dass etwa zwei Drittel der Bestände aus Europa stammen und moralisch unbedenklich sind.

Diese Arbeit wird weiterhin viele Jahre in Anspruch nehmen, versichert Speck: „Das ist eine unendliche Geschichte. Aber das ist bei solchen Sammlungen normal.“ Die Aufklärungsarbeit soll auch mit den beteiligten Ländern erfolgen, betont Schiewer: „Demnächst erwarten wir Expertinnen und Experten aus Australien, mit denen wir die nächsten Schritte in der Aufarbeitung unternehmen möchten.“

Rimma Gerenstein