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Kontinental ist das Ideal

In Brüssel fiel der Startschuss für die Initiative „Europäische Hochschulen“ – wie soll der Campus der Zukunft aussehen?

Freiburg, 11.11.2019

Ganz Europa zu Gast in Brüssel – das ist erst einmal business as usual. Doch Anfang November 2019 stand die Stadt im Zeichen der Hochschulpolitik: Mehr als 100 Universitäten trafen sich zum Kick-off eines der größten Projekte zur Zukunft der Bildung. Die im Wettbewerb „Europäische Hochschulen“ ausgezeichneten Verbünde diskutierten, was einen europäischen Bildungsraum ausmache. Freiburg und seine Partner waren mit ihrem Konsortium EPICUR vertreten.

Foto: Entelechie/stock.adobe.com, Montage: Jürgen Oschwald

Seine Anhänger führten die von ihm begründete Schule, den berühmten Garten in Athen, bis zu 500 Jahre nach seinem Tod fort. Seine Widersacher wie Martin Luther hingegen sahen in ihm einen liederlichen Hallodri, der wie ein Tier nur den niedersten Instinkten frönte: Der griechische Philosoph Epikur, um 341 vor Christus auf der agäischen Insel Samos geboren, beeinflusste Generationen großer Denkerinnen und Denker – und er sorgte für hitzige Diskussionen, die Jahrhunderte andauerten. Doch die Zeit rehabilitierte Epikur und seine oft missverstandene Lehre von der Lust. Vielen gilt er inzwischen als Vater des lebenslangen Lernens; als Verfechter der Gesetzestreue, der die guten Sitten hochhielt und seine Schüler nicht zum stundenlangen Schwadronieren, sondern zur Umsetzung kluger Gedanken anleitete.

Von diesem geistigen Erbe können auch zeitgemäße Formen des Lehrens und Lernens profitieren – davon sind die Universität Freiburg sowie sieben weitere Hochschulen überzeugt. Der Philosoph dient ihnen als Namenspatron für das Konsortium „European Partnership for an Innovative Campus: Unifying Regions“ – kurz EPICUR. Dahinter verbirgt sich nichts weniger als eine Vision für die Zukunft, eine Vorstellung davon, wie ein Campus des 21. Jahrhunderts aussehen kann. Im Juli 2019 haben die Hochschulen aus Deutschland, Frankreich, Österreich, den Niederlanden, Polen, und Griechenland die Jury bei dem Wettbewerb im Programm „Erasmus+“ der Europäischen Union (EU) mit ihrem Konzept EPICUR überzeugt.

Die EU forderte alle interessierten Hochschulen auf, neue Lernformate im europäischen Dialog zu erarbeiten und wählte in der ersten Runde 17 Verbünde aus; 2020 werden etwa genauso viele Konsortien hinzukommen. Bis zum Jahr 2024 sollen auf diese Weise Modelle für „Europäische Hochschulen“ entstehen, in denen die Studierenden vom gemeinsamen Bildungsraum profitieren – im Falle EPICURS sind das knapp 270.000.

Allianzen auf dem Kontinent

Anfang November kamen die EPICUR-Partner gemeinsam mit den anderen ausgewählten Verbünden in Brüssel zusammen, um über die Zukunft des europäischen Bildungsraums zu diskutieren – und das auf Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch und Italienisch. Die Sprachenvielfalt verdeutlicht das oberste Gebot der EU-Initiative: Inklusion soll walten. Weg mit bürokratischen Hürden, große Universitäten aus Westeuropa kooperieren mit kleineren Einrichtungen aus dem südlichen und östlichen Raum, Forschende arbeiten in Teams zusammen, die über Fächer- und Ländergrenzen hinausgehen, Studierende gestalten selbstbestimmt ihre Lehrpläne auf dem Weg zum europäischen Abschluss, und auch andere Hochschulformen werden Teil des Vorhabens. Mittelfristig soll das Netz der Allianzen zwischen 250 und 300 Hochschulen umfassen.

Ein solch breit angelegter Bildungsraum könne nur einem gemeinsamen Europa entspringen – und er habe gleichzeitig die Aufgabe, den Zusammenhalt des Kontinents für die Zukunft zu sichern, betont Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer, Rektor der Universität Freiburg: „Wir möchten junge Menschen ausbilden, die über Grenzen, Disziplinen, Kulturen und Sprachen hinweg die großen Herausforderungen, denen sich Europa gegenübersieht, angehen. Europäische Lehre ist die Grundlage für die Stärkung einer europäischen Identität.“

Liberal Arts Education

Doch was ist die Vision europäischer Lehre, wie EPICUR sie sich vorstellt? Im Mittelpunkt des Vorhabens stehen unter anderem die Liberal Arts and Sciences Education, die digitale Transformation der Lehrformen sowie der Ausbau der Mobilität für Studierende. Daneben bilden die europäischen Sprachen und die verschiedenen regionalen Netzwerke Schwerpunkte der Zusammenarbeit. Denkbar wären also etwa Seminare, an denen Studierende mehrerer Universitäten per Videokonferenz teilnehmen und sich abschließend begegnen, oder Praktika über die zahlreichen Netzwerke, die zum Beispiel die Region am Oberrhein oder den Schwarzmeer-Raum umfassen.

Wie der neue Campus später konkret gestaltet sein wird, ist bisher allerdings noch offen. Die Hochschulen erarbeiten derzeit gemeinsam die Grundlagen. Freiburg zeichnet für die Liberal Arts and Sciences Education verantwortlich und kann auf diesem Gebiet einschlägige Expertise vorweisen: 2012 am University College Freiburg der Albert-Ludwigs-Universität in englischer Sprache gestartet, war der Bachelorstudiengang Liberal Arts and Sciences (LAS) der erste seiner Art in Deutschland. Nun wollen die Universitäten diese Lehrphilosophie, die Studierende auf interdisziplinäre Weise an die großen Themen von Politik, Gesellschaft und Umwelt heranführt, auf eine europäische Ebene heben. Schon ab 2020 werden Studierende einzelne Module belegen können, die ihnen abschließend ein „European-Track-Zertifikat“ einbringen. Und irgendwann, so das große Ziel, sollen alle acht Partnerhochschulen einen gemeinsamen LAS-Studiengang anbieten.

Ob diese Bildungsidee Epikur in seinem Garten vor den Toren Athens gefallen hätte? Zumindest darf man davon ausgehen, dass er nicht davor zurückschreckte, Neues zu denken und bestehende Gesetze zu prüfen: „Du bist nicht da für einen Gott mit seiner Kirche und nicht für einen Staat und schon gar nicht für eine Aufgabe in der großmächtigen Kultur“, lautet eine seiner Maximen, die er mit seinen Schülern diskutierte. Im Gegensatz zur berühmten „Platonischen Akademie“ unterrichtete Epikur übrigens auch Menschen, die zu seiner Zeit als gänzlich untauglich für die Philosophie galten: Frauen und Sklaven.

Rimma Gerenstein

 

EPICUR – ein Verbund, acht Hochschulen

Für EPICUR kooperiert Freiburg mit drei bewährten Partnern aus dem Verbund Eucor – The European Campus: Beteiligt sind die französischen Universitäten Strasbourg und Haute Alsace sowie das Karlsruher Institut für Technologie. Die Universität Basel, die fünfte Hochschule des Verbunds, darf ihren Hut nicht in den Ring werfen, da die Schweiz in einer Ausschreibung des Programms „Erasmus+“ nicht antragsberechtigt ist. Die Partner haben darüber hinaus neue Verbündete aus vier Ländern ins Boot geholt. Die Universität von Amsterdam/Niederlande, die Adam Mickiewicz Universität Poznań/Polen, die Universität für Bodenkultur Wien/Österreich und die Aristoteles Universität Thessaloniki/Griechenland vervollständigen das Konsortium.

Initiative „Europäische Hochschulen“ 

Video zum Kick-off in Brüssel 

Pressemitteilung zur Auswahl des Verbunds EPICUR