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Initiative Mittelbau stellt sich vor

Lea von Berg und Paul Meuleneers über Entstehung und Ziele der fächerüergreifenden Initiative

Freiburg, 05.09.2022

Im vergangenen Jahr entwickelte sich unter dem Hashtag #IchBinHanna eine lebhafte Debatte über Arbeitsbedingungen im universitären Mittelbau. An der Universität Freiburg gründete sich im November 2021 eine fächerübergreifende Mittelbau-Initiative. Lea von Berg, 28, promoviert als Stipendiatin in Älterer Deutscher Literatur und Sprache zu zwei Chroniken des Nürnberger Klarissenklosters. Sie ist Mitgründerin der Mittelbau-Initiative an der Universität Freiburg. Dort engagiert sich auch Paul Meuleneers, 27. Er ist Akademischer Mitarbeiter eines DFG-geförderten Projekts zu Gender-Linguistik an der Universität Freiburg und promoviert zu diesem Thema. Thomas Goebel hat sich mit beiden über Ziele und Wünsche der fächerübergreifenden Initiative unterhalten.

An der Universität Freiburg gründete sich im November 2021 eine fächerübergreifende Mittelbau-Initiative. Foto: Harald Neumann

Frau von Berg, Herr Meuleneers, die bundesweite Bewegung #IchBinHanna hat viele Diskussionen über die Arbeitsbedingungen von Wissenschaftler*innen in frühen Karrierephasen ausgelöst. Vor einem knappen Jahr hat sich auch an der Universität Freiburg eine Mittelbau-Initiative gegründet, in der Sie sich engagieren. Was sind Ihre Ziele?

Meuleneers: Der Mittelbau an einer so großen Universität wie in Freiburg ist weit verstreut über viele Institute und Fakultäten, wir möchten die Vernetzung untereinander und den Austausch über unsere teils schwierige Arbeitssituation fördern. Was uns fast alle besonders betrifft, ist der Aspekt der Befristung: Wir müssen bestimmte Ziele in gesetzlich vorgegebenen Zeiten erreichen, zum Beispiel eine Doktorarbeit fertig schreiben. Diese Vorgaben sind aus unserer Sicht aber oft illusionär – und wir haben zudem wenig konkrete Aussicht auf eine dauerhafte Stelle.

von Berg: Dahinter steht das Wissenschaftszeitvertragsgesetz des Bundes, das befristete Beschäftigungen in der Wissenschaft regelt. Hierüber sollte noch mehr informiert und debattiert werden, auch Studierende wissen leider wenig über die Arbeitsbedingungen im Mittelbau. Insbesondere die Lehre kann man aus unserer Sicht unter den gegebenen Umständen oft nur dann gut machen, wenn man wesentlich mehr arbeitet, als der Arbeitsvertrag vorsieht.

Was ließe sich aus Ihrer Sicht an der Situation ändern?

Meuleneers: Grundsätzlich schließen wir uns den Forderungen an, die in der #IchBinHanna-Debatte aufgekommen sind: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz muss geändert werden, es braucht mehr Dauerstellen und es braucht Stellen für Qualifizierungen, die dafür ausreichen. Uns ist klar, dass sich manches nicht so einfach ändern lässt, weil es sich um gesetzliche Vorgaben handelt, für die die Politik zuständig ist. Zugleich haben die Universitäten einen gewissen Spielraum, den sie aus unserer Sicht nutzen sollten. An der Universität Freiburg direkt geht es uns unter anderem um eine Sensibilisierung für unsere Situation und dafür, wie man sie auch innerhalb des derzeitigen gesetzlichen Rahmens verbessern kann.

Wie genau geschieht dies?

von Berg: An der Universität läuft gerade ein gesamtuniversitärer Strategieprozess. In den Arbeitsgruppen – unter anderem zu „Forschung“ und „Akademischen Karrieren, Gender und Diversity“ – kommen unterschiedliche Statusgruppen zusammen, und auch Leute von uns nehmen daran teil. Es ist für uns sehr wichtig, im Gespräch zu sein und unsere Sicht auf Beschäftigungsverhältnisse im Mittelbau einbringen zu können. Wir machen dabei auf unsere Schwierigkeiten aufmerksam, schlagen Verbesserungen vor und diskutieren sie. Etwa dass gute Leistungen auch damit belohnt werden sollten, dass man sich nicht von Semester zu Semester hangeln muss oder Gefahr läuft, sich selbst auszubeuten. Auch sollten Strukturen mit starken Abhängigkeiten verändert werden, unter anderem, weil sie anfällig für Machtmissbrauch sind. Auf all das möchten wir noch stärker aufmerksam machen und einen Mentalitätswandel unterstützen – der Strategieprozess kann hierfür tatsächlich sehr hilfreich sein.

Die Mittelbau-Initiative veranstaltet auch regelmäßig Mental Health Walks. Worum geht es dabei?

von Berg: Eine Kollegin von uns hat während ihres Studiums in Oxford solche Mental Health Walks kennengelernt – hierbei geht es darum, mit Leuten in vergleichbaren Situationen zusammenzukommen und bei gemeinsamen Spaziergängen in der Natur Stress entgegenzuwirken. Gerade während der coronabedingten Lockdown-Zeiten haben solche Walks großen Anklang gefunden. Wir hatten schon zuvor Kontakt zu Jasmin Anders, der Vertrauensfrau für schwerbehinderte Menschen an der Universität Freiburg, und haben dann gemeinsam mit ihr und dem Personalrat das Angebot organisiert.

Lea von Berg und Paul Meuleneers. Foto: ZVG

Warum finden Sie so ein Angebot gerade für Menschen aus dem universitären Mittelbau sinnvoll?

von Berg: Aus den genannten Gründen arbeiten wir häufig unter einem ganz speziellen Druck und haben entsprechend starken Bedarf nach einem Ausgleich. Zudem sollen die Treffen der Vernetzung dienen, wobei natürlich nicht jede Person sich mit Hochschulpolitik befassen muss.

Wie ist Ihre Initiative überhaupt entstanden?

Meuleneers: Den Anstoß gab eine Veranstaltung des Prorektorats für Universitätskultur im November 2021 im Kontext der bundesweiten Diskussionen. Lea von Berg und Anna Sator haben dafür gesorgt, dass sich Promovierende und Mitarbeiter*innen aus dem Mittelbau im Vorhinein vernetzen und koordinieren. Gemeinsam haben wir dann beschlossen, diese Arbeit zu verstetigen, Ende November 2021 gab es das Gründungstreffen der Initiative.

Was machen Sie seitdem konkret?

von Berg: Wir treffen uns alle drei Wochen im Plenum und wir haben zwei aktive Arbeitsgruppen, eine zu „Psychosozialen Aspekten und Diversität“ und eine zu „Führungskultur und Machtmissbrauch“. Wir sind stetig dabei, uns zu vernetzen, sprechen mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Leuten aus dem Personalrat, mit Gewerkschaften und anderen Interessenvertretungsgruppen. Gerade organisieren wir einen Mental Health Day unter anderem mit Vorträgen und einer Podiumsdiskussion, der am 9. November 2022 stattfinden wird. Wir berichten uns auch aus den Gremien, ich bin Promovierendenvertreterin im Fakultätsrat, da gibt es immer wieder Themen, die für uns relevant sind.

Meuleneers: Eine nicht ganz leicht zu beantwortende Frage dabei ist, wer überhaupt zum Mittelbau gehört, das ist oft gar nicht so klar. Letztlich geht es uns darum, Mittelbau-Beschäftigte an der Uni zusammenzubringen und ihnen einen Möglichkeitsraum zu eröffnen, die sie betreffenden Themen zu besprechen.

Kann man bei Ihnen noch mitmachen?

von Berg: Sehr gerne – auf unserer Website steht immer der aktuelle Plenumstermin, im Anschluss gibt es einen Stammtisch in einer Kneipe. Zu beidem kann man einfach vorbeikommen und sich anschauen, was wir so machen.

Meuleneers: Über die Website kann man sich auch selbst in unsere Mailingliste eintragen.

von Berg: Und wir sind sehr interessiert am Kontakt zu anderen Initiativen und Gruppen aus dem Mittelbau, die es zum Beispiel an den Fakultäten gibt. Mit manchen sind wir vernetzt, aber wahrscheinlich wissen wir gar nicht von allen.

Wenn Sie einen konkreten Wunsch hätten – welcher wäre das?

Meuleneers: Ich finde passend, was Lea vorhin gesagt hat: Wir wünschen uns einen Mentalitätswechsel, dass sich also in der Zusammenarbeit neue Perspektiven der verschiedenen Statusgruppen aufeinander entwickeln. Das ist machbar und daraus kann viel entstehen. Ich denke, wir in der Initiative arbeiten alle gerne in der Wissenschaft, sonst würden wir das gar nicht machen. Aber die schwierigen Bedingungen, unter denen wir  teilweise arbeiten, sollten sich ändern.

 

Kontakt: www.mittelbau-initiative-freiburg.de

Mental Health Walks finden noch im September und Oktober jeweils am zweiten Sonntag im Monat statt. Nächster Termin: 11. September 2022, 11 Uhr, Treffpunkt UB (Rotteckring).

Mental-Health-Day, 9. November 2022, 9 bis 18 Uhr, Aula und Prometheushalle, (KG I), mit Vorträgen, interaktiven Aktionen, Info-Ständen und einer Podiumsdiskussion.