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„Auf die Stimmen des ‚anderen Russland’ können und sollen wir zählen“

Drei Fragen an Prof. Dr. Elisabeth Cheauré zur Veranstaltungsreihe des Zwetajewa-Zentrums mit regimekritischen Intellektuellen und Künstler*innen

Freiburg, 17.05.2022

„Das andere Russland. Geschichten, Positionen, Begegnungen“ heißt eine Veranstaltungsreihe, die das Zwetajewa-Zentrum für russische Kultur an der Universität Freiburg organisiert hat. Die Reihe versammelt gewichtige kritische Stimmen russischer Intellektueller und Künstler*innen und beginnt am 18. Mai 2022. Prof. Dr. Elisabeth Cheauré, Professorin für Slavische Philologie und Gender Studies, ist Vorsitzende des Zwetajewa-Zentrums. Sie hat die Reihe gemeinsam mit Margarita Augustin gestaltet. Thomas Goebel hat mit ihr über die Hintergründe gesprochen.

Elisabeth Cheauré, Professorin für Slavische Philologie und Gender Studies, organisiert mit dem Zwetajewa-Zentrum die Veranstaltungsreihe „Das andere Russland“. Foto: privat

Frau Cheauré, Sie haben eine Veranstaltungsreihe organisiert mit dem Titel „Das andere Russland“. Wer oder was ist damit gemeint?

Cheauré: Diese Begrifflichkeit haben wir tatsächlich am Zwetajewa-Zentrum selbst erfunden, sie ist aber inzwischen auch von anderen Institutionen in ganz Deutschland parallel erfunden oder übernommen worden. Wir meinen damit jene mutigen Menschen, die sich dem Regime in Russland und dem russischen Angriffskrieg entgegenstellen. Und diejenigen, die sehr schnell nach Kriegsbeginn ihre Distanz dadurch ausgedrückt haben, dass sie aus Russland geflüchtet sind oder schon zuvor und in den Westen gegangen sind, weil sie die politischen Tendenzen in Russland früh erkannt haben.

Wie haben Sie entschieden, wen Sie einladen?

Wir haben in zwei Richtungen gedacht: Wir wollten wirklich prominente Namen nach Freiburg bringen und wir haben uns an Menschen gewandt, mit denen wir schon in irgendeiner Weise in Kontakt standen. Wir haben aber auch bewusst ein Werk von Schostakowitsch im Programm – denn es kann meiner Meinung nach nicht sein, dass russische Komponisten post mortem für Putins Angriffskrieg verantwortlich gemacht werden und russische Werke nicht mehr aufgeführt werden. Was uns bei der Planung total erstaunt hat: Wir haben von den hoch prominenten Namen, die wir angefragt haben, wie etwa Vladimir Sorokin oder Irina Scherbakowa, keine einzige Absage bekommen – außer leider von Ljudmila Ulitzkaja, die aus gesundheitlichen Gründen nun doch nicht kommen kann. Wir haben auch schon Zusagen für eine Fortsetzung der Reihe im Wintersemester. Die Begeisterung für unsere Idee, einen Gegenpol zur Schwarz-Weiß-Malerei zu setzen und eben auch den Stimmen des „anderen Russland“ eine Plattform zu bieten, hat uns wirklich berührt.

Welche Rolle spielt Ihrer Einschätzung nach das „andere Russland“ aktuell in der russischen Gesellschaft?

Das ist eine sehr schwierige Frage, weil wir keine validen Informationen dazu haben. Ich versuche, mir auch offizielle russische Quellen wie russisches Fernsehen, Ansprachen des Präsidenten oder des Patriarchen im Original anzuhören. Diese tatsachenverdrehende, gewiefte Propaganda ist für uns nur schwer zu ertragen, hat aber große Wirkung in Russland. Und andere Informationsmöglichkeiten gibt es dort kaum mehr. Außerdem haben inzwischen viele Intellektuelle und Künstler*innen das Land verlassen, es ist ein richtiger Exodus. Ich bewundere jeden, der zu Beginn des Krieges protestiert hat, etwa mit Unterschriften, das waren immerhin tausende Menschen, die das Risiko gewichtiger Nachteile auf sich genommen haben. Auf all jene Menschen, auf jene Stimmen des „anderen Russland“, können und sollen wir zählen, wenn das aktuelle Unrechtsregime in Russland hoffentlich bald nicht mehr an der Macht ist.


Foto: Zwetajewa-Zentrum Freiburg

Flyer mit Programm zur Reihe „Das andere Russland. Geschichten, Positionen, Begegnungen“ unter: https://www.zwetajewa-zentrum.de/wp-content/uploads/2022/05/Flyer_das-andere-russland.pdf

Ein Teil der Veranstaltungen wird live gestreamt, Links dazu unter
https://www.zwetajewa-zentrum.de

Alle Einnahmen aus Eintrittsgeldern und Spenden kommen direkt der Nothilfe für die Ukraine des Universitätsklinikums Freiburg zugute.