Auf dem Boden bleiben oder in die Luft gehen?
Freiburg, 24.02.2020
Tourismus kann einen enormen ökologischen Fußabdruck hinterlassen – das hat bei umweltbewussten Menschen zu einem Umdenken geführt. Doch was ist, wenn sich eine Flugreise nicht durch eine Bahnfahrt ersetzen lässt? Ob Konferenz, Feldforschung oder Sabbatical: Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht mobil sind, können sie unter Umständen ein Vorhaben nicht umsetzen und den Anschluss an die internationale Community verlieren. Die Scientists4Future Freiburg, eine Gruppe von Forschenden der Albert-Ludwigs-Universität, haben 2019 eine Petition gestartet. Darin bitten sie die Hochschulleitung um klimabewusste Richtlinien. Sollten Wissenschaftler ihre Forschungsinteressen von geografischen Zielen abhängig machen? Und welche alternativen Formate für akademischen Austausch gibt es? Darüber hat Rimma Gerenstein mit zwei Forscherinnen diskutiert: Mareike Blum hat die Petition mitgestartet und promoviert über transnationale Klimapolitik. Für ihre Dissertation reiste sie nach Uganda. Judith Schlehe ist Professorin für Ethnologie. Seit mehr als 35 Jahren forscht sie regelmäßig in Indonesien.
Foto: SimpLine/stock.adobe.com, Montage: Jürgen Oschwald
Frau Blum, Frau Schlehe, das Jahr 2020 ist noch jung, aber welche Dienstreisen haben Sie 2019 unternommen?
Mareike Blum: 2019 war bei mir ein untypisches Jahr, denn ich war kaum auf Reisen. Ich habe mich aufs Schreiben meiner Dissertation konzentriert. 2018 allerdings war ich viel für die Feldforschung unterwegs. Ich habe ein Waldprojekt in Uganda besucht. Im letzten Jahr hatte ich die Möglichkeit, nochmal hin zu reisen, für eine Summer School. Zwei Wochen, alles bezahlt. Da habe ich abgewogen und gemerkt, dass es eigentlich nicht gerechtfertigt ist. Ich habe auf die Reise verzichtet.
Judith Schlehe: Für mich war es ein relativ typisches Jahr: In den Semesterferien im Winter bin ich für etwa vier Wochen nach Indonesien geflogen und habe dort Feldforschung betrieben. Im Sommer geschah allerdings etwas Untypisches: Zum ersten Mal habe ich Besuch von Freunden aus Indonesien bekommen. Normalerweise sind Studierende, Promovierende oder Kolleginnen und Kollegen hier zu Gast. Aber diesmal waren es Freunde, die ich seit 35 Jahren kenne. Sie leben in einem Dorf und konnten sich das Fliegen bisher nicht leisten.
Frau Blum, ums Fliegen geht es vor allem in der Petition, die Sie mit einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern gestartet haben.
Mareike Blum: Ja, wir wollten das Thema Dienstreisen und Umweltschutz auf die Agenda bringen, das sehen wir als Teil unserer gesellschaftlichen Verantwortung. Wir wünschen uns mehr Unterstützung von der Universität, wenn es um Dienstreisen geht, denn bisher bewegt sich Vieles in einem Graubereich: Wenn zum Beispiel der Flug günstiger als die Bahnreise ist, muss ich dann das Flugzeug nehmen?
Sie hätten also gerne Handlungsempfehlungen?
Mareike Blum: Genau. Eine andere Möglichkeit wäre auch, mit einem Reiseunternehmen zusammenzuarbeiten, das auf internationale Bahnreisen spezialisiert ist. Es gibt auch alternative Formate, die das Reisen an sich ersetzen. Videokonferenzen müssten viel mehr zu Common Practice werden. Wir brauchen mehr Konferenzräume mit entsprechender Technik und geschultem Servicepersonal.
Judith Schlehe: Ich stimme Ihnen zu: In die nähere Umgebung oder innerhalb Europas können wir mit dem Zug reisen. Doch bei den digitalen Formaten muss ich widersprechen. Ich war letztes Jahr bei einer großen Asien-Konferenz im niederländischen Leiden. Eine Kollegin war per Video zugeschaltet. Die Verbindung war so schlecht, dass ich mir den Vortrag gar nicht anhören konnte, und auch eine Diskussion kam anschließend nicht zustande. Es geht bei Tagungen ja darum, dass ich eine Person wirklich erlebe und mit ihr in den Kaffeepausen sprechen kann. Das ist für unsere Arbeit unheimlich wichtig, das ist Networking.
Mareike Blum: Aus solchen Begegnungen können sich tolle Projekte entwickeln, und gerade als junge Forscherin ist es mir wichtig, mich mit Kollegen zu vernetzen. Aber man weiß im Vorfeld einer Konferenz nie, was sich tatsächlich ergibt. Da wird man auch oft enttäuscht. Wir wollten mit unserer Petition vor allem einen Reflexionsprozess anstoßen.
Mareike Blum plädiert dafür, lieber auf eine dreitägige Konferenz zu verzichten, anstatt einen langen Flug in Kauf zu nehmen. Foto: Jürgen Gocke
Ein Reflexionsprozess wird unterschiedliche Ergebnisse zutage fördern: Die einen verzichten auf eine Konferenz, die anderen bestehen darauf, für zwei Tage nach Berlin zu fliegen.
Mareike Blum: Die Entscheidung soll selbstverständlich bei jeder und jedem Einzelnen liegen. Aber ich glaube, dass es ein Wechselspiel zwischen der persönlichen Ebene und dem institutionellen Rahmen ist. Wenn mehr Ansagen von der Universität kommen, machen sich die Leute auch mehr Gedanken.
Judith Schlehe: Solche Ansagen sollten aber nicht nur von der Universität kommen, sondern vor allem von Land und Bund. Wir Forscherinnen und Forscher können zum Beispiel keine Kompensationszahlungen für Flugreisen abrechnen – weder bei der Universität noch bei Drittmittelgebern.
Frau Schlehe, Sie haben Ihre Dissertation in den 1980er Jahren geschrieben. Damals dominierte die Angst vor dem „Waldsterben“ die Umweltdebatte. Spielte der Klimaschutz eine Rolle bei der Wahl Ihrer Forschungsinteressen?
Judith Schlehe: Überhaupt nicht. Darf es auch nicht, und das gilt nicht nur für mein Fach, sondern für alle Disziplinen. Mein Lieblingsprojekt ist ein Austauschprojekt, bei dem deutsche Studierende nach Indonesien reisen und Studierende aus Indonesien nach Deutschland kommen, um auch über uns zu forschen. Diese Beteiligung, diese Begegnungen und Erfahrungen sind unverzichtbar. Und leider gibt es bisher keine bessere Lösung dafür als diese blöden Flugzeuge.
Mareike Blum: Das Problem ist auch, dass unser System es nicht zulässt, dass wir uns für das Reisen Zeit nehmen. Wir sind permanentem Zeitdruck ausgesetzt. Es gab vor einigen Jahren einen Trend hin zum „Slow Food“. Ich frage mich, ob wir auch beim Reisen einen kulturellen Wandel hinbekommen: „Slow Travel“. Dass Feldforschung nicht ersetzbar ist, kann ich unterschreiben. Aber ich plädiere dafür, dass man einen Aufenthalt so gestaltet, dass er sich auch lohnt.
Wie könnte das aussehen?
Mareike Blum: Nicht nur für drei Tage zu einer prestigereichen Konferenz in die USA fliegen, sondern versuchen, verschiedene Sachen miteinander zu verbinden. Ich habe zum Beispiel zwei Monate Feldforschung in Uganda betrieben und dann noch drei Wochen Urlaub dort gemacht.
Und wenn Sie heute nochmal das Thema Ihrer Dissertation wählen könnten?
Mareike Blum: Vielleicht würde ich dann nicht in Uganda forschen, sondern stattdessen ein Waldprojekt in Rumänien besuchen. Aber es ändert nichts daran: Wenn man sich mit internationaler Klimapolitik befasst, braucht man beide Perspektiven: die globale und die lokale. Sonst fehlt einem die Hälfte der Geschichte. Es gibt auch radikalere Stimmen, die eine neue Art von Wissenschaft fordern: Renommee soll nicht die globale, sondern die lokale Forschung bekommen.
Judith Schlehe: Das wäre der Horror. In einer globalen Welt können wir nicht sagen: Die Wissenschaft hält sich aus allem raus, was man nicht mit dem Fahrrad erreichen kann. Ich finde es schade, wenn so viel Energie darauf aufgewendet wird, die Reisen zur Feldforschung zu kritisieren. Bringt es etwas, wenn ein paar Kollegen weniger nach Asien und Lateinamerika fliegen?
Mareike Blum: Wir können ja nicht perfekt sein, wir müssen auch weiterhin reisen. Aber wir können das Problem nicht länger ignorieren. Wir müssen uns bewusst machen, wie privilegiert wir Forschende aus den reichen Industrieländern sind. Unsere Kollegen aus dem Globalen Süden haben nicht die Möglichkeit, ständig herumzureisen. Das ist eine generelle Asymmetrie.
Judith Schlehe: Das könnte man aber auch umgekehrt sehen. Ich denke da an die Konferenz in Leiden. Dort waren mehr als die Hälfte der Teilnehmenden aus Asien. Endlich sind nun die Ressourcen da, um zu reisen und sich einzuklinken. Jetzt sagen wir aber: „Klimapolitisch ist das ganz schlecht, bleibt bitte zu Hause.“
Mareike Blum: Ich finde es gut, dass mehr Austausch auf Augenhöhe stattfindet. Trotzdem bildet sich dann eine globale Elite von reichen Menschen, die mehr Ressourcen verbraucht als die anderen. Wenn wir drei Planeten hätten, könnten wir so einen Lebensstil führen.
Judith Schlehe bewundert es, wenn Kollegen die Strapazen einer langen Reise auf sich nehmen, um sich an einer Tagung zu beteiligen. Foto: Jürgen Gocke
Judith Schlehe: Ich kenne Kollegen, die für drei Tage nach Asien oder in die USA reisen. Wir dürfen sie dafür nicht an den Pranger stellen. Im Gegenteil: Ich bewundere es, dass sie diese Strapazen auf sich nehmen. Wir brauchen vor allem neue Technologien für die Mobilität.
Mareike Blum: Digitale Konferenzen sind ein Beispiel.
Judith Schlehe: Aber doch nicht, wenn es um Feldforschung geht. Wir untersuchen ja nicht einen Ausschnitt auf dem Bildschirm, sondern den Alltag, die gesamte Lebenswirklichkeit. Dazu gibt es keine Alternative.
Mareike Blum: Welche Technologie soll das sein?
Judith Schlehe: Andere Flugzeuge. Wenn wir imstande sind, jemanden auf den Mond zu schicken, müssen wir es doch auch hinbekommen, umweltfreundlichere Flugzeuge zu bauen.
Mareike Blum: Ich bin da skeptisch. Das bedeutet, wir verlassen uns auf die Technologie, behalten aber den Status quo bei und hinterfragen nicht unsere Praktiken.
Was halten Sie im Hinblick auf klimafreundliche Forschung für die Zukunft für wesentlich?
Judith Schlehe: Diese Problematik zieht sich durch alle Ebenen unserer Existenz. Da könnten wir ein schlechtes Gewissen haben, allein weil wir leben. Aber wir wollen ja das Gegenteil: das Leben feiern und die notwendigen Dinge für unsere Forschung tun. Das bringt die globale Community voran.
Mareike Blum: Ein schlechtes Gewissen kann auch ein guter Antrieb sein. Wir wollen doch, dass auch zukünftige Generationen die Chance haben, das Leben zu feiern – das geht nicht, wenn der Planet drei Grad wärmer ist. Diese Generationen müssen immer ein Teil unserer Überlegungen sein.