Akademische Heimat auf Zeit
Freiburg, 26.04.2021
Wenn Forschen und Arbeiten im eigenen Land nicht mehr möglich ist: Deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen können gefährdeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Ausland vorrübergehend Sicherheit bieten. Auch in Freiburg kommen Schutzsuchende unter, beispielsweise aus der Türkei.
Der türkische Wissenschaftler Levent Alptekin (Name geändert) hat ein Stipendium an der Universität Freiburg erhalten. Foto: Thomas Kunz
Wer über die Philipp Schwartz-Initiative spricht, kommt nicht umhin, die Türkei zu erwähnen. Als Philipp Schwartz 1933 aus Deutschland floh, war seine erste Exilstation Zürich. In der Schweiz gründete der Pathologe die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland. Doch Schwartz knüpfte auch unverzüglich Kontakte in die Türkei, wo eine Universitätsreform neue Standards für die Autonomie von Lehre und Forschung setzte. Nicht nur der österreichische Jude Philipp Schwartz fand dort einen sicheren Hafen, auch weitere vor den Nationalsozialisten geflohene Forschende konnten in der Türkei wieder ihrer Arbeit nachgehen.
Die nach dem Pathologen benannte Initiative, die 2015 von der Alexander von Humboldt-Stiftung und dem Auswärtigen Amt gegründet wurde, ermöglicht heute verfolgten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einen zweijährigen Aufenthalt an einer deutschen Universität. Die Forschenden erhalten ein Vollstipendium, zudem unterstützt die Stiftung die Einrichtung, die die Bewerbung schreibt und eine Mentorin oder einen Mentor stellt, die oder der das Forschungsvorhaben betreut. Nach dem Putsch 2016 sind es heute vor allem Wissenschaftler aus der Türkei, die von der Philipp Schwartz-Initiative gefördert werden. So auch an der Albert-Ludwigs-Universität, die sich seit 2016 an der Initiative beteiligt, bestätigt Dr. Katrin Brandt vom Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS). Sie ist Teamleiterin des Fellow Service und betreut auch die Forschenden, die im Rahmen der Philipp Schwartz-Initiative nach Freiburg kommen.
Regelmäßige Repressalien
Es sind Akademiker wie Dr. Levent Alptekin und Dr. Edip Tamer (die eigentlich anders heißen, aber aus Sicherheitsgründen ihre Identität geheim halten möchten). Die beiden Naturwissenschaftler haben ihre Karrieren an renommierten Universitäten in der Türkei begonnen. Beide kennen Kollegen, die nach dem Putsch verhaftet wurden. Alptekins Alma Mater gehört zu jenem guten Dutzend Universitäten, die geschlossen wurden. Tausende Wissenschaftler haben in der Türkei praktisch Berufsverbot und verloren mit ihren Stellen auch ihren Pensionsanspruch. Noch immer werden regelmäßig neue Repressalien gegenüber der wissenschaftlichen Community vermeldet. Seit Jahren sei ein Braindrain im Gange, berichtet Alptekin: Akademiker, Ingenieure und Lehrkräfte verlassen das Land.
Während Alptekin nach seiner Entlassung in der Türkei zwei Jahre Biologie an einer Schule unterrichtete und so den Lebensunterhalt für seine Frau und sich verdiente, reiste Edip Tamer bereits 2017 aus. Seine Familie und Freunde hatten ihm dazu geraten, da sie für ihn keine Zukunft mehr in der Türkei sahen. In Freiburg fühle er sich sicher, sagt der Postdoc am Institut für Biochemie und Molekularbiologie. Tamer kann immer noch nicht fassen, was nach dem Putsch mit den Universitäten passiert ist. Als Naturwissenschaftler sei er es gewohnt, nach Gründen zu suchen, erzählt der Mikrobiologe. Stattdessen: Willkür. In Deutschland bekam er eine dreijährige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Da er bereits für seine Promotion in einem US-amerikanischen Labor gearbeitet hatte, reiste er für einen sechsmonatigen Forschungsaufenthalt in die USA, kehrte dann jedoch nach Deutschland zurück, weil ihm seine Aussichten hier besser schienen und weil er mit seiner Forschung der deutschen Gesellschaft etwas zurückgeben wollte. Wie es nach dem zweijährigen Stipendium weitergeht? Seine erste Wahl wäre es, weiter zu forschen und vielleicht einen zweiten akademischen Grad zu erlangen, denn die Wissenschaft sei für ihn Beruf und Hobby zugleich.
Der Istanbuler Alptekin lebt vorläufig mit seiner Frau im Kinzigtal. Die Frage nach dem Kulturschock lacht er weg und erzählt lieber vom Schnee auf dem Hausberg, aber auch von allzu neugierigen Nachfragen in der dortigen Moschee. Seitdem meidet er religiöse Versammlungen. Im November letzten Jahres bekam Alptekin, der in der Türkei unter anderem in der Krebsforschung tätig war, die Zusage für ein Stipendium der Philipp Schwartz-Initiative. Während des zweijährigen Programms wolle er sich in das akademische Leben integrieren, erklärt Alptekin auf Deutsch.
Ein Plus für den Arbeitsmarkt
Üblicherweise schafft das FRIAS mit Seminaren, Treffen und Veranstaltungen eine solche akademische Heimat, was während der Pandemie nicht ganz einfach ist. Vor allem jedoch begleitet und berät man beim FRIAS jene Wissenschaftler, die nach dem Stipendium nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren, und versucht auszuloten, wo sich eventuell auch jenseits der Universität Zukunftsoptionen bieten, sei es in der Wirtschaft oder im Schuldienst. Gute Deutschkenntnisse, so die Erfahrung von Katrin Brandt, sind für den deutschen Arbeitsmarkt immer noch essenziell. Und weil es Unterschiede zwischen den akademischen Systemen in der Türkei und in Deutschland gibt, gelingt nicht immer ein nahtloser Übergang.
Dass die Qualität der Forschung ausschlaggebend ist, bestätigt Katharina Aly, Leiterin des International Office (IO) der Universität. Die Einrichtung berät sowohl gefährdete Wissenschaftler über mögliche Stipendien als auch die Fachbereiche, die solche Forscherinnen und Forscher aufnehmen möchten. Außerdem erleichtert der Welcome Service des IO den Stipendiatinnen und Stipendiaten das Ankommen in Freiburg und unterstützt sie etwa bei der Wohnungssuche und bei Behördengängen.
„Ein gutes Verhältnis zwischen Mentor und Stipendiat ist wichtig für einen erfolgreichen Aufenthalt“, sagt Aly. Seit dem ersten Antrag war die Albert-Ludwigs-Universität bei jeder weiteren Runde dabei. „Die Universität Freiburg bekennt sich zur Freiheit von Forschung und Lehre und dies weltumspannend“, betont Aly. Während manche Länder Wissenschaftler zu Staatsfeinden erklärten, sei in Deutschland die Freiheit von Forschung und Lehre im Grundgesetz verankert.
Annette Hoffmann