Weniger Hokuspokus, mehr Struktur
Freiburg, 01.10.2018
Schon in der Schule hat man sich damit beschäftigt, wie man richtig lernt. Doch Strategien und Muster, die einst im Klassenzimmer praktikabel waren, lassen sich nicht immer auf universitären Lernstoff übertragen, meint Dr. Alexander Eitel von der Abteilung für Pädagogische und Entwicklungspsychologie der Universität Freiburg. Studierende sollten wissen, wie sie mit selbst entwickelten Strategien die eigene Lernmotivation steigern und Wissen dadurch konsequenter und effektiver aufnehmen. Wie ihnen das gelingt und wie auch Lehrende den Lernerfolg von Studierenden beeinflussen können, erklärt der Psychologe im Gespräch mit Pauline Grünewald.
Anekdoten und Abrakadabra: Der Versuch, ein theoretisches Thema durch verführerische Details spannend erscheinen zu lassen, funktioniert meistens nicht. Foto: Lainen/Fotolia
Herr Eitel, Sie haben zum Thema „verführerische Details“ in Lehr- und Lernkontexten geforscht. Was versteht man unter diesem Begriff?
Alexander Eitel: Verführerische Details, oder „Seductive Details“, sind Informationen, die keine Relevanz für das eigentliche Lernziel besitzen. Sie können als dekorative Bilder, Textbausteine oder kleine Anekdoten dargeboten werden und liefern zusätzliche, für den Alltag interessante Inhalte. Angenommen, ich will Isotope in der Chemie erklären. Da könnte ich von einer Folge von „The Simpsons“ erzählen, in der sich Homer Simpson als Anhänger der „Albuquerque Isotopes“ bezeichnet – ein Baseball-Team, das sich zwei Jahre nach der Ausstrahlung tatsächlich unter diesem Namen gegründet hat. Wenig überraschend lenken solche Anekdoten den Fokus von den eigentlich relevanten Inhalten weg. Deshalb bergen sie die Gefahr, dass sie Lernenden im Gedächtnis hängenbleiben – anstatt der Hauptaussagen eines Themas.
Gibt es auch Kontexte, in denen verführerische Details lernförderlich sind?
Nicht direkt. Aber die Art und Weise, wie Seductive Details präsentiert werden, ist für Lehrkontexte interessant. Häufig spielen sie auf konkrete Ereignisse aus Politik oder Gesellschaft an. Sinnvoll wäre es, diese aktuellen Bezüge auf die eigentlichen Inhalte der Vorlesung oder des Seminars zu übertragen. Dadurch wird an das Vorwissen und die Vorerfahrungen der Lernenden angeknüpft, und sie können dann Informationen besser verarbeiten und abspeichern.
Die Aufmerksamkeit von Studierenden oder Schülerinnen und Schülern zu gewinnen und zu halten ist sicher keine einfache Aufgabe.
Es gibt da einen schönen Spruch: „Man kann etwas nicht interessant machen, wenn es nicht interessant ist.“ Der Versuch, ein theoretisches Thema durch Seductive Details spannend erscheinen zu lassen, funktioniert meistens nicht. Ganz im Gegenteil: Der Stoff, der auf die lustige Anekdote folgt, wirkt umso trockener. Wer allerdings in der Lehre nicht auf solche kognitiven Appetizer verzichten möchte, sollte sie nach Möglichkeit sparsam dosieren und als solche klar kennzeichnen. Zudem ist es sinnvoll, solche Einschübe zwischen inhaltlich abgeschlossene Einheiten zu setzten, um Kohärenzbrüche zu vermeiden.
„Man sollte sich auch auf Probeklausuren schon ernsthaft vorbereiten, denn der Lernzuwachs nach diesen ist oft enorm“, sagt Alexander Eitel. Foto: Ingeborg F. Lehmann
Wie können Bilder Lernenden dabei helfen, sich Inhalte besser zu merken?
Beim Lesen eines Texts besteht schnell die Gefahr, sich im wahrsten Sinne des Wortes ein falsches Bild zu machen. Geht es beispielsweise um ein Dreieck, hat jede Leserin oder jeder Leser ein anderes Bild im Kopf. Manche sehen eine rote, gleichschenklige Form. Andere denken sofort an Pyramiden in Ägypten. Damit aber alle Leser einen Text einheitlich verstehen, ist es sinnvoll, Texte durch Bilder zu präzisieren. So umgeht man interpretationsbedingte Unstimmigkeiten im kollektiven Verständnis und nimmt den Lernenden gleichzeitig Arbeit ab. Um Abbildungen möglichst simpel und verständlich zu machen, kann man erklärende Bildunterschriften, Pfeile oder direkte Bezüge aus dem Text verwenden.
Worauf sollten Lehrende bei der Gestaltung einer Veranstaltung achten?
Zunächst sollten sich Lehrende die Frage stellen: Mit welchem Ziel setzte ich welche Methode ein? Gerade bei der Gestaltung von Skripten sind einige Dinge zu beachten. Abbildungen müssen immer kognitive Funktionen erfüllen. Das bedeutet, sie sollen den Text verständlicher machen und ihn organisieren. Gute Beispiele dafür sind Mind Maps oder Diagramme. Auch Onlinelernangebote werden häufig eingesetzt. Hierbei sollten sich Dozierende im Vorhinein mit den technischen Möglichkeiten vertraut machen, um das volle Potenzial der Methode auszuschöpfen. So ist das ja mit jeder Lehr- und Lernmethode: Wenn sie nicht korrekt angewendet wird, bringt sie nichts.
Sollten Lernunterlagen und Tests also so simpel wie möglich sein?
Gestaltet man Lernmaterialien für Studierende so einfach wie möglich, können diese das Gelernte direkt danach in Tests sicher abrufen. Durch simple Gestaltung kann man also die Prozesse, die für die kurzfristige Erinnerung zuständig sind, verbessern. Genau umgekehrt ist es allerdings mit den Mechanismen, die Lernenden langfristigen Wissenszuwachs gewährleisten. Hierbei ist es sogar manchmal günstig, wenn Inhalte schwieriger dargestellt werden und Lernende in Tests zunächst schlechter abschneiden. Dabei erfährt man, mit welchen Themen man sich nochmal intensiver beschäftigen sollte.
Verabredet man sich mit jemandem zum Lernen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man es auch tatsächlich tut. Foto: András Wekler
Was können Studierende tun, um ihr Lernen effektiv zu gestalten?
Hilfreich ist es, mit sich selbst Lerntermine auszumachen. Dabei kann man sich an den W-Fragen orientieren: Wann will ich wie und wo was mit wem lernen? Diese Verabredungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, auch tatsächlich zu lernen. Effektiv ist es auch, Arbeitsgruppen zu bilden. Darüber hinaus kann man den Lernort so weit vorbereiten, dass er wie eine Lernaufforderung wirkt. So kann man zum Beispiel bereits den Laptop starten, einen Notizblock sowie weitere Unterlagen und Stifte bereit legen. Zusammengenommen wirken dann der Lerntermin und die getroffenen Vorbereitungen als Auslöser für das gewünschte Verhalten.
Sorgt Planung also dafür, dass man auch Inhalte besser behalten kann?
Sie verhindert zumindest Binge-Learning-Einheiten, bei denen Wissen nicht langfristig abgespeichert wird. Grundsätzlich muss jede und jeder für sich eine typgerechte Lernstrategie finden. Das bei uns an der Abteilung entwickelte Online-Tool „ELIS“ kann Studierende dabei unterstützen. Studien haben darüber hinaus gezeigt, dass reines Wiederholen eines Texts weniger effektiv ist. Informationen neu zu organisieren, sie selbst grafisch darzustellen oder sich Fragen zu überlegen trägt eher zum nachhaltigen Wissenszuwachs bei. Auch Testsituationen helfen, Inhalte langfristig abzuspeichern. Anhand dieser lernt man nicht nur effektiver, man erprobt auch die Prüfungssituation und kann so Ängste und Nervosität abbauen. Zudem erfährt man, welche Inhalte noch nicht abgerufen werden können und hat die Möglichkeit, sich anschließend stärker darauf zu konzentrieren. Ein Tipp: Man sollte sich auch auf Probeklausuren schon ernsthaft vorbereiten, denn der Lernzuwachs nach diesen ist oft enorm.
Alexander Eitels Studien zu multimedialem Lernen und dem Effekt von Probeklausuren