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Voneinander, miteinander und übereinander lernen

Die Freiburger Ausbildungsstation in der Kinder- und Jugendmedizin bringt Studierende und angehende Pflegekräfte zusammen

Freiburg, 30.07.2019

Medizinstudierende und Auszubildende der Gesundheits- und Krankenpflege lernen am Universitätsklinikum Freiburg zusammen auf einer gemeinsamen Ausbildungsstation – damit sie auch später im Beruf einander und ihre jeweiligen Aufgaben und Stärken besser verstehen und so ihre Patientinnen und Patienten so gut wie möglich versorgen können.


Im Universitätsklinikum Freiburg lernen Medizinstudierende und Auszubildende der Gesundheits- und Krankenpflege zusammen auf einer gemeinsamen Ausbildungsstation – damit sie einander und ihre jeweiligen Aufgaben und Stärken besser verstehen.
Foto: exclusive-design/stock.adobe.com

Die Idee des gemeinsamen praktischen Lernens klingt so einleuchtend, dass man sie fast für selbstverständlich halten könnte, doch üblich ist diese Möglichkeit nicht, im Gegenteil: Das Freiburger Projekt IPAPÄD – „Interprofessionelle Ausbildungsstation in der Pädiatrie“ – ist bisher einzigartig in Deutschland. Das Projekt begann 2017 als Kooperation zwischen dem Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Freiburg und dem St. Josefskrankenhaus. „Wir hatten einen extrem positiven Start“, sagt Dr. Sebastian Bode, „wir bekommen bundesweit viel Resonanz.“ Der Kinderarzt leitet das Projekt gemeinsam mit der Sozialwissenschaftlerin Christine Straub. Straub ist zudem gelernte Kinderkrankenschwester und koordiniert im Projekt den pflegerischen und den ärztlichen Bereich. „Das Konzept ist innovativ und erforderte viele Vorarbeiten“, sagt sie. Dank diesem Einsatz konnte sich IPAPÄD im Programm „Operation Team – Interprofessionelles Lernen in den Gesundheitsberufen“ der Robert-Bosch-Stiftung durchsetzen. Das Projekt wurde 2018 mit dem Preis für herausragende Lehre an der medizinischen Fakultät Freiburg und mit dem Instructional Development Award der Universität Freiburg ausgezeichnet.

Das Konzept von IPAPÄD sieht so aus: Ein interprofessionelles Team betreut für zwei Wochen bis zu sechs Patientinnen und Patienten auf einer Station der Kinderklinik oder im St. Josefskrankenhaus. Das Team besteht aus zwei Medizinstudierenden im letzten Studienjahr, auch Praktisches Jahr (PJ) genannt, sowie zwei bis vier Auszubildenden der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege im zweiten oder dritten Ausbildungsjahr. Die angehenden Ärztinnen und Ärzte arbeiten im regulären Tagesdienst von 8 bis 17 Uhr, die angehenden Pflegekräfte teilen sich auf in Früh- und Spätdienst.

Gegenseitiges Feedback

„Die Kinder auf der Station haben meist allgemeinpädiatrische Krankheitsbilder“, sagt Straub – das IPAPÄD-Team betreut keine zu speziellen oder komplexen Fälle, denn es geht in dem Projekt in erster Linie um die alltägliche Zusammenarbeit auf der Station, nicht um Spezialwissen. „In diesen zwei Wochen sind die Studierenden und Auszubildenden für ihre Patientinnen und Patienten selbst zuständig“, betont Straub: „Sie dürfen und müssen die Verantwortung für die Kinder übernehmen“, auch wenn natürlich zur Sicherheit fertig ausgebildete Ärzte und Pflegekräfte im Hintergrund stehen, „als Airbag“, wie sie sagt.

Alle Arbeitsschritte des Teams werden anschließend sofort nachbesprochen – von den Lernenden untereinander sowie mit ihren so genannten Lernbegleiterinnen und -begleitern: Assistenzärzten und Pflegekräften auf der Station, die für diese Aufgabe geschult wurden. „Und jeden Mittag ist eine halbe Stunde fest eingeplant, in der wir gemeinsam reflektieren, was gut läuft, wo es Verbesserungspotenzial gibt und was am nächsten Tag ansteht“, sagt Straub. Sie selbst oder ihr Kollege Bode sind bei diesen Terminen immer dabei. Das ständige gegenseitige Feedback sei eines der zentralen Elemente von IPAPÄD – gerade, weil es im normalen Stationsalltag oft zu kurz komme.


Ohne Gespräche klappt es nicht: Im Anschluss an die Untersuchung tauschen sich die Studierenden und Auszubildenden aus über Diagnostik, Pflege- und Therapieplanung sowie auch über die Verantwortlichkeiten im Team. Foto: Universitätsklinikum Freiburg

Arbeitsalltag mit Patienten

Wie dieses gemeinsame Lernen „von-, mit- und übereinander“, so Bode, auf der interprofessionellen Ausbildungsstation aussieht, schildern er und seine Kollegin am Beispiel eines zweijährigen Jungen, der mit einer obstruktiven Bronchitis in der Kinderklinik liegt: Für die Morgenübergabe setzen sich die Auszubildenden aus der Frühschicht mit den Studierenden ihres Teams zusammen, schauen sich gemeinsam die aktuellen Vitalparameter wie Atemfrequenz und Blutdruck sowie die Medikamentengabe an, und die angehenden Pflegekräfte berichten, wie es dem kleinen Patienten in der Nacht ergangen ist.

Anschließend besuchen sie gemeinsam den Patienten in seinem Zimmer, kontrollieren seine Atmung, die Medizinstudierenden hören ihn ab. „Körperliche Untersuchungen sind ärztliche Kernkompetenz“, sagt Bode. Doch im interprofessionellen Team dürfen anschließend auch die Auszubildenden der Pflege das Stethoskop in die Hand nehmen und die Atmung des Kindes überprüfen, „um diese Erfahrung aktiv zu machen“, erläutert Straub. Es gehe nicht darum, die unterschiedlichen Aufgabengebiete zu vermischen, sondern darum, zu verstehen, was die andere Berufsgruppe wann, wie und warum macht.

Hat das zu behandelnde Kind weiterhin Atembeschwerden, verordnen die Studierenden im PJ nach Rücksprache mit der ärztlichen Lernbegleitung zum Beispiel eine Inhalation – bleiben aber, anders als in der üblichen ärztlichen Routine, noch im Raum und begleiten die künftigen Pflegekräfte bei der Anwendung. „So lerne ich als Mediziner, was ich in der Praxis alles beachten muss“, sagt Bode. Zumal ein krankes Kleinkind nicht unbedingt kooperiert und vielleicht auch die verständlicherweise nervösen Eltern viele Fragen stellen. „Auch das ist Teil der gemeinsamen Erfahrung: Sich zu fragen, wer das Kind beruhigt, wer was den Eltern erklärt und wie“, erläutert Straub. Es gehe eben darum, dass die Teammitglieder gemeinsam die Verantwortung für den Patienten übernehmen. So auch nach der Inhalation: Zusammen hören sie noch einmal den Patienten ab und verschaffen sich einen Eindruck, wie schnell und gut die Inhalation gewirkt hat.

Zuverlässig und selbstständig

„Wenn die Visite fertig ist und die Teammitglieder das Zimmer verlassen haben, geben sie sich unmittelbar ein arbeitsverbundenes Feedback: Wie war die Kommunikation? Wer hat warum welche Tätigkeiten übernommen?“, sagt Straub. Diese Rückmeldungen würden innerhalb der zwei Wochen zu einer Art Routine – und führten zu einer deutlichen Veränderung. „Die Beteiligten geben sich gegenseitig Sicherheit und betreuen die Patienten wirklich zuverlässig und selbstständig“, so Bode. Ärzte sowie Pflegekräfte, die das interprofessionelle Team betreuen, greifen möglichst wenig ein. „Wir stehen quasi mit den Händen auf dem Rücken im Hintergrund“, sagt Bode. „Das war für uns am Anfang gar nicht so einfach.“



Die behandelnden Teams haben ausreichend Zeit für Behandlungen und Gespräche. Foto: Universitätsklinikum Freiburg

Zu den interprofessionellen Lernzielen, die IPAPÄD erreichen will, gehören auch die gemeinsame Diagnostik-, Pflege- und Therapieplanung im Anschluss an die Untersuchung des Patienten sowie eine Verständigung über die jeweiligen Rollen, Expertisen und Verantwortlichkeiten im Team. Es sei wohl kein Zufall, dass das Projekt in der Kindermedizin entstanden sei, sagt Bode, denn „die Pädiatrie ist ein sehr kommunikatives Fach“. Die beiden Projektleitenden konnten auf ihren Erfahrungen aus den interprofessionellen Lehrveranstaltungen und Seminaren aufbauen, die seit 2013 an der Universität Freiburg für Studierende der Medizin, Psychologie und Pflegewissenschaften sowie an der Katholischen und der Evangelischen Hochschule für Studierende der Sozialen Arbeit und Pädagogik der Kindheit  angeboten werden.

Zufriedene Patienten und Eltern

Zurzeit begleitet Straub in Kooperation mit dem Medical Education Center der Technischen Universität München den Transfer der IPAPÄD auf eine Früh- und Neugeborenenstation der München-Klinik Schwabing. Außerdem soll IPAPÄD fester Bestandteil der pädiatrischen Ausbildung am Universitätsklinikum Freiburg werden; bisher reichen die Plätze noch nicht für alle Interessenten. Unterstützung und Interesse der Verantwortlichen an der Klinik seien groß, berichten Straub wie Bode.

Ebenso wie die Zahl der positiven Rückmeldungen: „Das IPAPÄD-Team spricht viel mehr mit Patienten sowie deren Eltern“, sagt Bode, „die finden das Projekt deshalb großartig.“ Das unterstreiche auch die begleitende Evaluation. Und auch die Erfahrungen der Medizinstudierenden und Auszubildenden seien sehr ermutigend. „Eine teilnehmende PJlerin hat erzählt, dass sie noch nie während ihres PJ so zufrieden nach Hause gegangen sei“, sagt Bode: „Sie habe gar nicht mehr an die Station denken müssen – weil sie wusste, dass die Kinder durch das ganze Team gut versorgt werden.“

Thomas Goebel