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Vom Lötkolben zum molekularen Schalter

Studierende der Synthetischen Biologie und der Mikrosystemtechnik lernen gemeinsam

Freiburg, 30.08.2019

Kenner der DNA treffen auf Techniker: Studentinnen und Studenten der Biologie lernen von ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen der Technischen Fakultät, Beleuchtungsgeräte zu konstruieren, mit einem Lötkolben zu arbeiten und Mikrocontroller einzubauen.


Foto: Artalis-Kartographie/stock.adobe.com

Dank der Förderung des neuen Exzellenzclusters CIBSS, dem Centre for Integrative Biological Signalling Studies, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die in Freiburg etablierte Signalforschung weiter ausbauen und damit auch den Studierenden neue Perspektiven eröffnen. „Die Albert-Ludwigs-Universität konnte hervorragend qualifizierte Kolleginnen und Kollegen berufen, dank denen wir hier nun neuartige Lehrmodule zu Themen anbieten können, die nur in Freiburg studiert werden können“, erklärt Wilfried Weber, Professor für Synthetische Biologie am Exzellenzcluster BIOSS, dem Centre for Biological Signalling Studies, und Mitglied des Sprecherteams von CIBSS.

Während BIOSS sich mit biologischen Signalprozessen auf den verschiedenen Ebenen eines Organismus befasst, also untersucht, wie diese auf molekularer oder zellulärer Ebene oder im ganzen Organ ablaufen, kann der neue Cluster CIBSS auf den dabei gewonnenen Erkenntnissen aufbauen. Die beteiligten Forscherinnen und Forscher richten den Blick auf das Zusammenspiel der einzelnen Signalwege. „Wir schauen nicht mehr nur auf das, was auf den verschiedenen Ebenen passiert, sondern möchten verstehen, wie die Signale über diese Ebenen hinweg weitergeleitet werden“, sagt Weber. Die Leitfragen für CIBSS lauten: Wie kann ein Signal, das auf molekularer Ebene innerhalb von Mikrosekunden im Bereich von Nanometern erfolgt, lebenslange Auswirkungen haben und große Organismen beeinflussen? „Wie schaffen es die 30 Billionen Zellen in unserem Körper“, erläutert der Biologe, „dass nicht jede Zelle das macht, was sie selbst möchte, sondern so kooperiert, dass alle zusammen einen gesunden Organismus bilden?“

Signalwege an- und abschalten

Wie können Forschende einen so komplexen Vorgang untersuchen, der damit beginnen mag, dass ein Molekül an den Rezeptor einer Zellwand anbindet, eine Signalkaskade bis zum Zellkern auslöst, wo dann entsprechende Gene an- und abgeschaltet werden? Welche Effekte haben die Kommunikationsprozesse innerhalb einer Zelle auf einen Gewebeverband vieler Zellen? Was läuft bei der Entwicklung von der Eizelle zum Embryo in welcher Zelle zu welchem Tag in welcher Minute ab? Um das zu untersuchen, versucht man in Freiburg, die Signalwege in einzelnen Zellen gezielt an- und abzuschalten. „Wir bauen einen molekularen Schalter“, sagt Weber und benennt damit den Punkt der Forschung, an dem auch die Lehre einen großen Sprung nach vorne macht. Denn um in der Zelle einen molekularen Schalter bedienen zu können, muss ein Signal hineingeben werden, auf das der Schalter auch reagiert. Die Freiburg Wissenschaftler setzen hierfür auf die so genannte Optogenetik, die sich damit befasst, wie über Licht genetisch codierte Elemente in den einzelnen Zellen an- und abgeschaltet werden können.

„Licht kann ich beliebig einsetzen und dosieren: für einen Tag oder zwei Tage, eine Stunde oder eine Millisekunde, und ich kann mit einem Laser punktgenau einzelne Zellen beleuchten. Biologische Kommunikationsprozesse lassen sich so mit einer nie dagewesenen örtlichen und zeitlichen Präzision steuern“, erläutert Weber die Vorteile dieser Technik. Doch bei der Umsetzung gab es anfänglich eine Reihe praktischer Probleme. „Biologinnen und Biologen wissen in der Regel sehr gut, wie molekulare Schalter zu generieren sind, die auf optische Signale reagieren“, sagt Weber, „aber wie gelangt das Licht präzise dahin, wo es hinsoll? Dafür gab es anfangs keine Beleuchtungseinrichtungen. Die mussten wir selbst entwerfen und bauen. Nur sind Biologen dafür nicht ausgebildet.“


Die Welt der Optogenetik: Über Licht können Forschende genetisch codierte Elemente in den einzelnen Zellen an- und abschalten. Foto: Thomas Kunz

„Engineering meets Biology“

Da der optogenetische Ansatz eine zentrale Rolle sowohl im BIOSS als auch jetzt im CIBSS spielt, haben die beteiligten Wissenschaftler beschlossen, ein gemeinsames Lehrmodul mit der Technischen Fakultät zu entwickeln. „Studierende der Biologie und der Mikrosystemtechnik lernen gemeinsam, ihre jeweiligen Ausbildungshintergründe so zu kombinieren, dass sie Dinge hinbekommen, die eine Fakultät für sich nicht leisten kann“, erläutert Weber die Grundidee für das Profilmodul „Engineering meets Biology“. Die Studierenden beider Fakultäten üben, biologische Prozesse mit optischen Signalen zu steuern, indem sie entsprechende molekulare Schalter entwerfen, die sich mit Licht aus- und anschalten lassen. Während die Studierenden der Biologie ihre Erfahrungen im Umgang mit DNA und Zellen einbringen, greifen die angehenden Ingenieurinnen und Ingenieure ihnen unter die Arme, wenn es darum geht, Beleuchtungsgeräte zu konstruieren, mit einem Lötkolben zu arbeiten und Mikrocontroller einzubauen.

Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinaus

Gerade bei der Konstruktion der molekularen Schalter wird deutlich, wie sehr BIOSS und CIBSS auch von der gut vernetzten Arbeit der verschiedenen Fachbereiche innerhalb der Biologie profitieren. Eine Muskelzelle beispielsweise, die gesteuert werden soll, reagiert von sich aus nicht auf Licht. Das muss ihr erst beigebracht werden. „Da kommt uns die Stärke der Freiburger Pflanzenforschung zugute. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben sehr gut erforscht, mit welchen Fotorezeptormolekülen Pflanzen Licht unterschiedlicher Wellenlänge wahrnehmen können. Dank ihrer Vorarbeit können wir nun Rezeptoren aus Pflanzen in Muskelzellen übertragen und diese so optogenetisch steuerbar machen“, erläutert Weber. Es genügt allerdings nicht, Kommunikationsprozesse nur optogenetisch in Gang zu setzen, die Forschenden müssen sie auch beobachten können. Dazu üben sie modernste Mikroskopiermethoden ein. Die dabei generierten Datenmengen von Hand auszuwerten wäre wenig effektiv. Da sind Informatikerinnen und Informatiker gefragt, um entsprechende Auswertungsprogramme zu schreiben: Erkenne, was eine Zelle ist, messe wie stark die Zelle leuchtet, und liefere schöne Auswertungsverläufe.

Gemeinsame Sprache und neue Fertigkeiten

Das fakultätsübergreifende Lernen ist durchaus eine Herausforderung: Anfangs wissen Informatiker nicht unbedingt, was genau eine Zelle oder die DNA aufgebaut ist, die Biologen sind dafür bei der Differenzialgleichung oder beim Löten im Nachteil. „Es braucht Zeit, um eine gemeinsame Sprache zu finden“, weiß der Seminarleiter. „Deswegen haben wir bei dem gemeinsamen Lehrmodul Sorge getragen, dass die Studierenden beider Fakultäten schon recht früh während des Studiums zusammenkommen und sich gegenseitig für ihre Gebiete begeistern können.“ Die Biologen merken durchaus, so der Professor, wie sehr sie von der Ingenieurskunst profitieren. Und die Ingenieure entwickeln gerne neue Algorithmen und Bildgebungsverfahren, denn sie wissen sehr genau, dass diese Fertigkeiten zurzeit gerade in der Medizin, etwa bei der automatischen Auswertung von Röntgenaufnahmen, sehr gefragt sind. „Da bieten wir genau die Spielwiese, um so etwas anhand sinnvoller Forschung zu lernen“, erklärt Weber. „Aber auch die Studierenden der Biologie haben darum gebeten, mehr solcher übergreifenden Elemente ins Studium einzubauen. Das Interesse ist beiderseitig.“

Ein Wunsch, dem der Professor gemeinsam mit seinem Kollegen von der Technischen Fakultät ab dem kommenden Semester unter anderem mit einem neuen Modul entsprechen wird. Bisher werden pro Semester etwa 25 bis 30 Plätze angeboten, die etwa zu zwei Dritteln von Biologen und zu einem Drittel von Ingenieuren belegt werden: „Wir haben allerdings immer mehr Anmeldungen, als wir annehmen können, und sind jedes Jahr überbucht“, sagt Weber. Aufgrund der unterschiedlichen Prüfungsordnungen, Modulstrukturen und ECTS-Punkte ist es für die Lehrenden nicht immer ganz einfach. „Da braucht es die Motivation von allen Seiten, um pragmatische Lösungen zu finden“, sagt Weber, „aber das ist uns für unser Modul schon gelungen.“

Jürgen Reuss