Unterricht im Tandem
Freiburg, 22.08.2017
Die Landesinitiative „Kleine Fächer" des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK) fördert Fächer mit geringer Studierendenzahl oder wenig Universitätsstandorten. Ziel ist, die Leistungsfähigkeit der Fächer zu sichern. Im Bereich Lehre werden drei Freiburger Projekte mit einer Laufzeit von zwei Jahren gefördert. Julia Dannehl hat mit den Initiatorinnen und Initiatoren gesprochen und stellt die Vorhaben in einer Serie vor.
Foto: Boggy/Fotolia
Das Projekt „Akademische Ethnologie und berufliche Praxis" wird mit rund 137.000 Euro gefördert. Ziel des Projekts ist es, die universitäre Ausbildung der Studierenden mit der beruflichen Praxis eines Ethnologen oder einer Ethnologin zu verbinden. Prof. Dr. Judith Schlehe und Prof. Dr. Gregor Dobler vom Institut für Ethnologie haben das Projekt gestartet und ein Tandem-Teaching-Modell entwickelt, bei dem Universitätsdozentinnen und -dozenten gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Berufspraxis Seminare anbieten.
Frau Schlehe, Sie sind Professorin für Ethnologie. Was macht ihr „kleines Fach" so besonders?
Judith Schlehe: Wir erforschen die soziale und kulturelle Praxis. Die Ethnologie hat den Anspruch, globale Probleme und die gesamte Welt in den Blick zu nehmen und gleichzeitig in der Feldforschung so detailbewusst wie möglich vorzugehen, also tatsächlich die alltägliche, gelebte Praxis, das Wissen und die Erfahrungen von Menschen in verschiedensten Konstellationen zu erfassen. Deshalb verstehen wir uns auch – abgesehen von Mitarbeiter- und Studierendenanzahl – nicht als kleines Fach: Unser Ziel ist es, sozio-kulturelle Dynamiken zu erforschen. Dabei vergleichen wir Kulturen nicht im systematischen Sinn – weil man nicht Äpfel und Birnen vergleichen beziehungsweise weil man die Phänomene in ihren Kontexten analysieren sollte. Wir schauen aber immer auf globale Vernetzung und große Zusammenhänge und leisten im Grunde kulturelle Übersetzungsarbeit.
Wieso ist diese kulturelle Übersetzungsarbeit so wichtig?
Wir leben in einer postkolonialen, globalisierten Welt, in der es zum Alltag dazugehört, Menschen aus anderen Lebenswelten zu begegnen. Deshalb ist es wichtig, Verständnis dafür zu entwickeln, was in interkulturellen Begegnungen passiert und von welchen strukturellen Bedingungen sie geprägt sind. Die Ethnologie möchte vermitteln, dass wir oftmals einer euro- oder ethnozentrischen Sichtweise unterliegen, diese dann im besten Fall dekonstruieren und Perspektivwechsel anregen. Sie möchte beidseitige Vorurteile in Frage stellen, scheinbare Selbstverständlichkeiten aufdecken und versuchen, vermeintliches Wissen zu verunsichern. Nur so kann Kommunikation und Zusammenarbeit über die immer wieder neu konstruierten Grenzen von Kulturräumen hinaus auf lange Sicht gelingen.
Ziel der Ethnologie ist es, sozio-kulturelle Dynamiken weltweit zu erforschen, sagt Judith Schlehe. Foto: Klaus Polkowski
Wodurch zeichnet sich das geförderte Projekt aus?
Das Neue ist, dass wir Lehrveranstaltungen im Tandem anbieten. Das Modell ist eigentlich ganz schlicht: Ein Lehrender aus der Ethnologie leitet ein Seminar gemeinsam mit einer Person aus der Berufspraxis. Das war so bisher aus finanziellen und organisatorischen Gründen leider nicht möglich. Ziel ist, die außeruniversitäre und die akademische Praxis zusammenzubringen und gegenseitig etwas Befruchtendes in Gang zu setzen. Außerdem sollen Studierende ermuntert werden, sich zu bewerben und ihre Kompetenzen sichtbar zu machen, zum Beispiel in den Bereichen Flucht und Migration, Entwicklungszusammenarbeit, Bildung, Medien oder Museumsarbeit, Betriebskulturen, Umweltpolitik, Katastrophenhilfe, Gesundheit oder interreligiöser Dialog.
Wie wird die konkrete Umsetzung dieses Lehrkonzeptes aussehen?
Es wird immer ein Tandemseminar für Bachelor- und eines für Masterstudierende geben. Wir werden aber nicht unbedingt pro Semester eine Person einladen, die dann das ganze Semester mitbestreiten muss. Es können auch mehrere Personen aus der Berufswelt sein, die dann je zwei oder drei Sitzungen begleiten, je nachdem, wie viel Zeit sie haben. So können wir auch möglichst viele verschiedene Praxisbereiche abdecken. Seitens der Universität wird eine Professorin, ein Professor oder die dafür neu eingestellte Mitarbeiterin Saskia Walther die Veranstaltung über das ganze Semester hinweg betreuen und die Verantwortung übernehmen für Hausarbeiten, ECTS-Punkte, die Notengebung und so weiter. Im November 2017 wird es einen großen vorbereitenden Workshop geben, zu dem wir alle Interessierten aus unserem noch zu erweiternden Berufsnetzwerk einladen. Dort wird besprochen, wie sie sich in den Seminaren und anderen gemeinsamen Angeboten wie öffentliche Veranstaltungen, neue Dialogräume oder wissenschaftlich eingebundene Praktika einbringen und was wir ihnen aus den akademischen Wissens- und Analysebereichen bieten können.