Messen mit dem Meteobike
Freiburg, 22.08.2018
Aus Microcomputer, SD-Karte, GPS-Empfänger, Temperatursensor, Powerbank, Fahrradtasche, Rohrstück und Schaumgummi bastelt der Freiburger Meteorologe Prof. Dr. Andreas Christen mit seinen Studierenden eine mobile Wetterstation, die mit dem Smartphone verbunden ist. Die Studierenden klemmen sie sich ans Rad, kurven auf ausgeklügelten Strecken durch Freiburg und erheben und übermitteln so in Echtzeit meteorologische Daten. Knapp 60 Euro kostet das Gerät, und Christens Idee könnte weltweit Schule machen.
Startklar für die Stadt: Die mobile Wetterstation kostet etwa 60 Euro und liefert zuverlässige Daten. Foto: Jürgen Gocke
Wenn jede Revolution mit einem Auflauf beginnt, wie die Fertiggerichtindustrie einmal geworben hat, kann die Freiburger Umweltmeteorologie jetzt sogar die Geschmacksrichtung vorgeben. Es ist Himbeere, präziser gesagt: Raspberry Pi Zero W. Das ist nicht etwa die Bezeichnung für ein neues künstliches Aroma, sondern der Name eines zu drahtloser Kommunikation fähigen Microcomputers. Der revolutioniert bisherige Standards und braucht auch einen gewissen Auflauf an Studierenden. Damit enden die Parallelen zum Werbespruch auch schon, denn es geht mitnichten um Ernährungswissenschaft, sondern um die Datenerhebung in der Meteorologie. Und da hat der Raspberry das Zeug zum Helden der Datenerfassung. Allerdings kommt es, wie seit dem berüchtigten Ei des Kolumbus bekannt, nicht nur auf die verwendete Technik, sondern auch auf eine zündende Idee an. Die hatte Andreas Christen, Professor für Umweltmeteorologie an der Universität Freiburg.
Klassischerweise werden Wetterdaten weltweit vor allem an Flughäfen gemessen. Schließlich braucht der Flugverkehr möglichst präzise Daten für die Routen. Für Meteorologinnen und Meteorologen ist aber auch die Tatsache wichtig, dass an Flughäfen und über Freilandflächen überall etwa gleiche Bedingungen vorherrschen: eine weite, flache Landschaft, kurz gemähter Rasen und keine Strömungshindernisse. Das macht Klimadaten weltweit besser miteinander vergleichbar.
Andreas Christen betreut die neue Wetterstation, die sich auf dem Dach des Chemie-Hochhauses befindet. Foto: Jürgen Gocke
„Andererseits wohnen mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung in Städten“, sagt Christen. „Die möchten über Wetter und Klima in ihrem Lebensumfeld Bescheid wissen und weniger, was draußen auf dem Flugfeld vorgeht.“ Das Klima unterscheidet sich auch in Freiburg durchaus von den Gegebenheiten am Flugplatz. Seit 1999 betreibt die Universität daher eine Wetterstation auf dem Chemie-Hochhaus im Institutsviertel, die inzwischen durch eine neue Station mit erweiterten Funktionen ersetzt wurde und nun auch einen neuen Internetauftritt bekommen hat. Auf die Website greifen täglich mehr als tausend Interessierte zu, und im Vergleich zu den am Flugplatz erhobenen Daten lässt sich gut der Effekt nachvollziehen, dass Städte so genannte Wärmeinseln bilden, in denen die Temperatur bis zu fünf Grad wärmer sein kann als im Umland.
Kühler Höllentäler
Nun ist aber auch innerhalb der Stadt das Klima nicht überall gleich. Da kommen die digitale Himbeere und Christens bestechende neue Idee ins Spiel. Der Forscher kombinierte die Fähigkeiten des Raspberry Pi Zero W und die ortsflexible Datensammlung zu einer mobilen Wetterstation in Gestalt eines Meteobikes. Das funktioniert so: Aus Microcomputer, SD-Karte, GPS-Empfänger, Temperatursensor, Powerbank, Fahrradtasche, Rohrstück und Schaumgummi basteln Christens Studierende sich eine mobile, mit dem Smartphone verbundene Wetterstation, klemmen sie sich ans Rad, kurven auf ausgeklügelten Strecken durch Freiburg und erheben und übermitteln so in Echtzeit meteorologische Daten, die die Unterschiede zwischen Münsterplatz, Sonnhalde und Schwarzwaldstraße unmittelbar sichtbar machen.
Wenn 25 Studierende anderthalb Stunden mit diesen Meteobikes kreuz und quer durch die Stadt radeln, ergibt sich aus den gesammelten Daten ein sehr differenziertes Bild des Stadtklimas – das übrigens ganz nebenbei die jüngst von Promi-Meteorologe Jörg Kachelmann aufgestellte Behauptung widerlegt, der Höllentäler wirke wie eine nächtliche Heizung: „Im Dreisamtal, das unter dem Einfluss des Höllentälers steht, haben die Studierenden nachts eine drei Grad tiefere Temperatur als im restlichen Stadtgebiet gemessen“, bestätigt Christen das subjektive Empfinden der Freiburgerinnen und Freiburger, die den Wind schon immer als Abkühlung wahrgenommen haben.
Freiburg auf einen Blick: An den blauen Punkten haben die Studierenden tiefere Temperaturen gemessen, die roten Farbtöne zeigen Orte, an denen der Effekt der städtischen Wärmeinsel besonders ausgeprägt ist. Quelle: Andreas Christen
Preiswert und einfach nachzubauen
„Das Meteobike ist gerade in der Lehre eine ungewöhnliche und spannende Methode, Klima wirklich erfahrbar zu machen, also das, was die Studierenden an Witterung auf dem Rad empfinden, direkt über das Smartphone mit den erhobenen Daten abgleichen zu können“, sagt der Forscher. „Gleichzeitig schult es sie darin, auszuarbeiten, wie diese Daten beispielsweise aussagekräftig zu visualisieren sind.“
Es gibt noch ein anderes Argument für die mobile Datenerfassung: Ein komplettes Meteobike-Set inklusive Tasche kostet 60 Euro, eine hochwertige Wetterstation wie die auf dem Chemie-Hochhaus um die 10.000. „Natürlich gibt es bei dem niedrigen Preis qualitative Abstriche, aber die Studierenden müssen sich dadurch auch darin üben, Abweichungen zu kalibrieren und mit Messfehlern zurechtzukommen“, bekräftigt Christen den Nutzen für die Lehre.
Doch auch in der Forschung kann das Meteobike weltweit Schule machen: Gerade Großstädten in weniger wohlhabenden Ländern bietet es die Möglichkeit, bisher noch fehlende, für die Erforschung des Stadtklimas aber wichtige Daten, etwa aus tropischen Regionen, kostengünstig beizusteuern. Auch das ist ein Grund, warum Christen sowohl den Bastelplan für die mobile Wetterstation als auch die erhobenen Daten als Open Source frei im Netz zur Verfügung stellt.
Jürgen Reuß