Keine Angst, das soll qualmen
Freiburg, 01.08.2018
Stundenpläne, Klausuren, Programmiersprache und flüssiger Stickstoff: Masterstudentin Vivien Behrendt gibt an Schulen einen Einblick in das Physikstudium. Dabei stellt sie nicht nur Studieninhalte vor, sondern berichtet auch von Erlebnissen und Hürden in der ersten Zeit an der Universität – und zeigt dann, was im Labor geschieht.
Vivien Behrendt zeigt die Auswirkungen eines Bades in flüssigem Stickstoff auf Feststoffe und Gase. Foto: Jürgen Gocke
Durch das Treppenhaus wabert weißer Nebel. Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern filmt die Szene lachend mit den Handys. Am Städtischen Gymnasium in Ettenheim ist Vivien Behrendt zu Besuch. Und sie zeigt, mit welchen Experimenten sie in ihrer Masterarbeit versucht, Atome und Moleküle einzufangen und zu erforschen. Behrendt studiert angewandte Physik im fünften Fachsemester an der Albert-Ludwigs-Universität. Sie schreibt gerade ihre Abschlussarbeit und ist außerdem für das internationale Graduiertenkolleg „Kalte Kontrollierte Ensembles in Physik und Chemie“ tätig, an dem Freiburger Doktorandinnen und Doktoranden die Eigenschaften und die Dynamik von Quanten erforschen.
Behrendt ist im Auftrag des Graduiertenkollegs unterwegs. Sie will Abiturientinnen und Abiturienten in Physikkursen Einblicke in das Studium und den Arbeitsalltag einer Physikerin oder eines Physikers geben. Dafür hat sie ein 90-minütiges Programm erarbeitet, das sie an Gymnasien im südwestlichen Baden-Württemberg präsentiert. „So kann ich den Schülern auch erklären, wie hart der Studienbeginn sein kann“, sagt Behrendt. „Das ist mir wichtig, weil ich beim Studienanfang aus allen Wolken gefallen bin.“ Der Schwerpunkt ihres Vortrags liegt auf Physik: „Aber vieles trifft generell auf naturwissenschaftliche und technische Fächer zu.“
Wie von Zauberhand schweben die Bälle in der Luft – dahinter steckt eine Reaktion zwischen Lithium und Helium. Foto: Jürgen Gocke
Kompetenzen und Karrierewege
Behrendt beginnt ihren Vortrag stets mit persönlichen Eindrücken aus ihrer ersten Zeit an der Universität. Schon während der Schulzeit begeisterte sie sich für Technik und Physik, ein naturwissenschaftliches Studium stand für sie früh fest. Aber an der Universität musste sie zunächst einmal viele Themen vertiefen, die im Schulunterricht nur angerissen worden waren. Da galt es, zusammen mit den Kommilitoninnen und Kommilitonen die Zähne zusammenzubeißen. „Gruppenarbeit, damit müsst ihr früh anfangen“, erklärt sie den Schülern. Nicht nur den Studienverlauf, die Lerninhalte und notwendige, über das fachliche Wissen hinausgehende Kompetenzen führt die Freiburger Nachwuchswissenschaftlerin aus. Sie stellt auch die Karrierewege eines Physikers an und außerhalb der Universität vor.
Das erste Experiment steht auf dem Programm. Behrendt zeigt, wie mithilfe einer App auf die Sensoren eines Smartphones, das in einer Papprolle über den Schreibtisch gerollt wird, zugegriffen werden kann. Die aufgenommenen Daten über die Geschwindigkeit der Papprolle werden anschließend ausgelesen, an einem Laptop dargestellt und ausgewertet. „Das Aufnehmen und Auswerten von Daten ist ein wichtiger Bestandteil des Physikstudiums“, sagt die Studentin. „Der Einsatz einer App und das Auswerten mithilfe einer Programmiersprache verknüpfen den Alltag der Schüler mit dem eines Physikers.“
Lehrerin wollte Behrendt bisher nicht werden; dazu macht ihr die Forschung zu großen Spaß. Es gefällt ihr aber gut, auch mal aus dem Labor rauszukommen. Bei ihrem Besuch im Ettenheimer Gymnasium hören ihr zwei Schülerinnen und elf Schüler zu: „Ich finde es toll, dass an allen Schulen, an denen ich bisher war, die Physikkurse nie eine reine Männerveranstaltung waren.“
Schultreppe in Nebelschwaden: Für die Schüler ist der flüssige Stickstoff das Highlight des Vortrags.Foto: Jürgen Gocke
Rose, Schwamm und Patrone im Nebel
Für ihre Bachelorarbeit war die angehende Experimentalphysikerin am CERN, der weltweit bekannten Großforschungseinrichtung in Genf/Schweiz. In ihrer Masterarbeit erforscht Behrendt die kalte Reaktion zwischen Lithium und Helium. Zeit für Experiment Nummer zwei: Anhand eines Luftstrom-Modells, das zwei Bälle wie durch Zauberhand zum Schweben bringt, erläutert sie die Grundlagen von Teilchenfallen. Fairerweise betont Behrendt auch, dass es im Arbeitsalltag nicht immer so aufregend wie in dieser Schulstunde zugehe: „Man produziert nicht ständig neue Ergebnisse, sondern ist die meiste Zeit dabei, Probleme zu fixen.“
Der Höhepunkt für die Abiturienten ist der flüssige Stickstoff, durch den Behrendt ihnen Aspekte der Tieftemperaturphysik näherbringt und das physikalische Verständnis von Kälte erklärt. Die Studentin zeigt die Auswirkungen eines Bades in flüssigem Stickstoff auf Feststoffe und Gase. Begeistert lassen die Schüler Rosen, Tafelschwamm und Tintenpatrone im Nebel des Stickstoffs erhärten und zerspringen. Die Vorstellung, solche Experimente selbst häufiger machen zu können, weckt bei ihnen große Freude. Und deshalb geht Behrendt am Schluss des Vortrags gerne auf einen Wunsch ein: die Schultreppe mit flüssigem Stickstoff zu vernebeln.
Annette Kollefrath-Persch