Hoch auf dem gelben Wagen durch Kirgisistan
Freiburg, 20.02.2018
Meere von Baumwolle, Stauseen, Herden von Schafen, Rindern, Ziegen, Yaks und Überreste maroder Märkte aus der Sowjetunion: Freiburger Studierende reisten zwei Wochen lang durch Kirgisistan, um zu erforschen, wie das Management natürlicher Ressourcen in Zentralasien funktioniert.
Die Gruppe legte mit einem alten gelben Lastwagen Hunderte von Kilometern durch schlammige Hochgebirgshänge zurück. Foto: Steffen Entenmann
Zwei Wochen durch Kirgisistan: Das klingt nach Abenteuer und Karl May. 14 Studierende der Forst- und Umweltwissenschaften hatten bei ihrer Exkursion in den zentralasiatischen Staat allerdings jede Menge wissenschaftliche Fragen im Gepäck. Was Abenteuer nicht ausschließt: In Bergen von frisch geernteter Baumwolle zu baden dürfte kaum zu den alltäglichen Erfahrungen mitteleuropäischer Studierender gehören. Oder Hunderte Kilometer auf lehmigen Hochgebirgspisten in einem alten Truck zurückzulegen, dessen sonnengelbe Lackierung dem Einheitsbraun der Landschaft trotzt.
Etwa fünf bis sechs Millionen Menschen leben in Kirgisistan (auch Kirgisien genannt) beziehungsweise der Kirgisischen Republik, deren Fläche mehr als zwei Dritteln des deutschen Staatsgebiets entspricht. Eine „gänzlich unbekannte Gegend“ für den aus Eberswalde stammenden angehenden Forstwissenschaftler Alfred Hesse. „Ich hatte immer den Traum, mal in die ehemalige Sowjetunion zu fahren.“ Kirgisien, das im Südosten an China, im Norden, Westen und Süden an die früheren Sowjetrepubliken Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan grenzt, war ein Teil davon. Was bei den Erkundungen der Freiburger Gruppe keine unwesentliche Rolle spielte.
Streit um gestautes Wasser
„Management natürlicher Ressourcen in Zentralasien“ heißt das Wahlpflichtmodul, das die Masterstudierenden belegt haben. Bevor sie nach Kirgisistan reisten, hörten sie eine Reihe von Vorlesungen externer Expertinnen und Experten und entwickelten die Hauptthemen, die sie dann in Kleingruppen bearbeiteten. Erste Ergebnisse – etwa zur Wassernutzung in dem reichlich mit Stauseen ausgestatteten Hochgebirgsland – stellten sie vor Ort kirgisischen Studierenden vor: „Die Auflösung der Sowjetunion führte zu tief greifenden Veränderungen in der Ressourcennutzung“, erklärt Dr. Steffen Entenmann, der gemeinsam mit vier Kollegen von der Professur für Waldbau die Exkursion begleitete.
Was vorher ein zusammenhängendes System war, wird heute zum Streitpunkt: Die Kirgisen stauen das Wasser und nutzen es für die Stromerzeugung. Doch in den Tälern Usbekistans wird es im Sommer dringend für die Bewässerung von Baumwollplantagen gebraucht. „Es gibt Konflikte um Mengen und Zeiten der Nutzung“, sagt Entenmann. 2010 machte die an der Grenze zu Usbekistan gelegene Stadt Osch mit Unruhen zwischen Kirgisen und der usbekischen Minderheit von sich reden.
Die Studierenden nutzten für ihre Recherche das Wissen lokaler Experten. Foto: Steffen Entenmann
Auch die Verteilung der Güter erfolge längst nicht mehr nach Plan wie zu Sowjetzeiten: Kirgisistan als Fleisch-, Usbekistan als Baumwolllieferant. Schafe, Rinder, Ziegen, Yaks: Unmengen von Tieren samt ihren Hinterlassenschaften sind den Reisenden aufgefallen. Wohin damit? Traditionell sind die Kirgisen ein Hirtenvolk, das den Besitz von Tieren als Zeichen des Wohlstands wertet. Erst zu Sowjetzeiten wurden die Nomaden sesshaft gemacht, aber in den warmen Monaten zogen sie mit ihren Herden zu den mitunter weit entfernten Sommerweiden. Alles nicht mehr lohnend: Die Märkte sind zusammengebrochen, die Preise verfallen, die Wege zu den Weiden sind beschwerlich und manchmal mit Grenzüberschreitungen verbunden. Das hat der Vorsitzende eines lokalen Weidekomitees den Studierenden erklärt. Ihnen fiel auf, dass vor dem Gebäude ein Bagger parkte: Die Tierhalter wollen sich selbst helfen, Wege und Brücken bauen, um ihre Sommerweiden leichter erreichen zu können.
Sich in eine andere Welt hineindenken
„Das Problem ist die Überweidung der übrigen Flächen“, erläutert Entenmann und zeigt Fotos von ökologisch wertvollen Sanddorn- und Walnusswäldern: alles kahl gefressen, bis in die Kronen hinein. Von einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung kann laut Hesse keine Rede mehr sein. Kaum ein Sämling hat die Chance, zu einem Baum heranzuwachsen. Der Blick auf das Fremde schärft den Blick für das Eigene: In Deutschland sind Wald- und Weidenutzung streng getrennt. Ein Modell für Kirgisistan? „Die Institutionen, die das durchsetzen könnten, sind zu schwach oder fehlen gänzlich“, resümiert der Student. Was ebenfalls fehle, sei die Einsicht, dass eine nachhaltige Holzwirtschaft lohnend sein könnte: „Die Menschen sind sehr arm und vorrangig daran interessiert, ihr Überleben zu sichern.“ Natur- und Landschaftsschutz haben vorerst das Nachsehen.
Was Alfred Hesse auf der Exkursion für seine berufliche Zukunft gelernt hat, hätte ihm kein Laborpraktikum vermitteln können: „Ich musste mich schnell in eine komplett andere Welt hineindenken und habe gelernt, dass bei der Nutzung natürlicher Ressourcen viele Interessen und Ansprüche zu berücksichtigen sind.“
Anita Rüffer