Gute Laune kommt vor dem Fall
Freiburg, 18.09.2018
Beim Lernen kann man störenden Ablenkungen wie Lärm aus der WG-Küche meistens entgehen. Doch die eigene Gefühlslage – ob glücklich, gestresst oder betrübt – lässt sich nicht so einfach abschalten. Zwei Freiburger Forschende untersuchen, welchen Einfluss Emotionen auf den Lernerfolg haben und wie Menschen ihr dabei erworbenes Wissen einschätzen. Sarah Schwarzkopf hat Anja Prinz und Prof. Dr. Jörg Wittwer vom Institut für Erziehungswissenschaft zu ihrem aktuellen Studienprojekt befragt.
Gute Laune kann beim Lernen zur Selbstüberschätzung führen: Die Studierenden verlassen sich auf eine positive Emotion, anstatt kritisch zu hinterfragen, wie viel sie nach einer Textlektüre tatsächlich verstanden haben. Foto: Priscilla du Preez/Unsplash
Frau Prinz, der jüngst veröffentlichte Artikel, in dem Sie Ihre Studie beschreiben, trägt den Titel „Glücklich, aber zu selbstsicher“. Was genau haben Sie untersucht?
Anja Prinz: Wir forschen im Bereich der Selbstregulation: Uns interessiert, wie gut Lernende ihr eigenes Wissen oder ihr Verständnis von Texten einschätzen – und wie das das weitere Lernen beeinflusst. Wir haben uns angeschaut, inwiefern Emotionen die Selbsteinschätzung beim Lernen mit Texten beeinflussen. Dafür haben wir bei den Lernenden verschiedene Stimmungen ausgelöst: Sie hörten ein positives, neutrales oder negatives Musikstück und mussten dabei an ein Lebensereignis denken, das bei ihnen einmal eine entsprechende Emotion hervorgerufen hat. Danach mussten sie einen Text aus dem biologischen Bereich lesen, ihr erworbenes Wissen einschätzen und einen Verständnistest machen.
Was war das Ergebnis?
Anja Prinz: Wir haben herausgefunden, dass die positiven Emotionen dazu führen, dass die Lernenden die Texte schlechter verarbeiten – und sich gleichzeitig mehr überschätzen. Das heißt, sie erkennen nicht, dass sie wenig verstanden haben. Mit einer negativen oder einer neutralen Emotion dagegen schätzten sich die Lernenden relativ genau ein.
Nachdem die Forschenden die Probanden in unterschiedliche Stimmungen versetzt hatten, mussten diese einen Text lesen, ihr erworbenes Wissen einschätzen und einen Verständnistest machen. Foto Jessica Castro/Unsplash
Wie lässt sich das erklären?
Anja Prinz: Positive Emotionen können zu einer eher oberflächlichen kognitiven Verarbeitung führen. Dadurch verstehen die Lernenden einen Text schlechter und treffen eine heuristische Einschätzung, für die sie diese positive Emotion heranziehen.
Jörg Wittwer: Man kann das auch evolutionstheoretisch erklären: Fühlt man sich gut, muss man die aktuelle Situation nicht analysieren, denn man möchte daran nichts ändern. Wenn man sich aber schlecht fühlt, hilft es sich zu fragen, warum das so ist. Daher fördern negative Emotionen eher einen analytischen Denkstil. Man nimmt die Emotion nicht so sehr als Hinweisreiz wie bei positiver Stimmung, sondern beurteilt kritischer, was man genau verstanden hat.
Warum interessiert Sie gerade die Selbsteinschätzung?
Jörg Wittwer: Sie ist ein Teil des Lernprozesses. Zum Verstehen eines Textes gehört, dass man ständig überwacht, was man daran verstanden hat. Wer sich genau einschätzt und weiß, was er noch nicht begriffen hat, liest die entsprechenden Stellen nochmal. Wer sich überschätzt, würde hingegen nicht weiterlesen, sondern glaubt, alles verstanden zu haben. Der kritische Aspekt ist also das Weiterlernen auf Grundlage des eingeschätzten Wissens. Vor unserer Studie wurde der Einfluss von Emotionen auf diese Selbsteinschätzung kaum untersucht.
Die Emotionen in der Studie haben Sie künstlich hervorgerufen. Kann man das mit einer echten Emotion vergleichen?
Jörg Wittwer: Da es noch nicht viele Studien zu dem Thema gibt, haben wir zunächst versucht, unter standardisierten Bedingungen herauszufinden, inwieweit eine Stimmung die Selbsteinschätzung beim Textverstehen beeinflusst. Die Emotionen haben wir daher induziert, also eine künstliche Situation im Labor geschaffen. Gerade untersuchen wir auch, wie es im Gegensatz dazu mit den natürlich vorliegenden Emotionen aussieht und welchen Einfluss diese auf das Textverstehen und auf die Selbsteinschätzung haben.
Anja Prinz: In der laufenden Studie erfragen wir die natürlich während des Lernens und des Testens empfundenen Gefühle. Dabei zeigt sich eine Tendenz zu negativen Emotionen wie Angst, Langeweile oder Hoffnungslosigkeit, die sich auf das Lernmaterial beziehen: Je stärker so eine Emotion ausgeprägt ist, umso mehr unterschätzen sich die Lernenden.
Jörg Wittwer und Anja Prinz gehören zu den ersten Forschenden, die den Einfluss von Emotionen auf die Selbsteinschätzung untersuchen. Foto: Patrick Seeger
Das bedeutet, negative Emotionen sind teilweise gut, manchmal aber auch schlecht für den Lernerfolg?
Jörg Wittwer: Genau. Man kann nicht pauschal sagen, dass positive Emotionen immer schlecht oder negative Emotionen immer gut für das Lernen sind. Das hängt sehr vom Kontext ab und davon, welchen Lernbereich man sich anschaut. Es ist eine große Frage in der Emotionsforschung, unter welchen Bedingungen positive Emotionen gut sind und unter welchen nicht. Man muss außerdem unterscheiden zwischen Emotionen als Eigenschaft, also ob man beispielsweise morgens melancholisch ist, und Emotionen als Zustand, wie wir sie untersucht haben – so kann man zwar zu Melancholie neigen, aber in einer bestimmten Situation trotzdem besonders glücklich sein. Die Einflüsse einer Emotion als Eigenschaft oder einer Emotion als Zustand können sehr unterschiedlich sein.
Was können Studierende aus Ihren Studienergebnissen für die nächste Lernphase mitnehmen?
Jörg Wittwer: Manche haben die Vorstellung, man darf beim Lernen gar keine Emotion haben, sondern sollte ganz neutral und fokussiert sein. Wenn die positiven Emotionen mit dem Lernmaterial zu tun haben, ist das aber gar nicht schlecht. Nur wenn man gute Laune hat, die nichts mit dem Lernen an sich zu tun hat, kann das zu einer Überschätzung führen. Das ist auch für Lehrkräfte interessant: Wenn sie versuchen, ihre Schülerinnen und Schüler in eine positive Stimmung zu bringen, die nichts mit dem Lerngegenstand zu tun hat, dann könnte das nach den Ergebnissen unserer Studie abträglich sein.
Anja Prinz: Eine Implikation der Studie ist vor allem, dass man auf seine Emotionen achten, aber sie nicht für die Selbsteinschätzung heranziehen sollte. Wenn man gut drauf oder das Wetter besonders toll ist, signalisiert das nicht automatisch, dass man etwas verstanden hat. Man sollte sein Verständnis direkt am Text prüfen, anstatt sich vom eigenen Optimismus fehlleiten zu lassen.