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Europäischer Blick für komplexe Fragen

Der Verbund Epicur erarbeitet einen Bachelorstudiengang, der sich am Konzept der Liberal Arts and Sciences orientiert

Freiburg, 17.05.2021

Insgesamt mehr als 300.000 Studierende, acht Partneruniversitäten, sechs Länder, ein virtueller Campus: Das EU-geförderte Projekt „Epicur – European Partnership for an Innovative Campus Unifying Regions“ möchte neue Akzente in der Lehre setzen. Gelingen soll dies unter anderem mit einem interdisziplinären europäischen Studiengang, der auf innovativen Lehrformaten basiert. An der Albert-Ludwigs-Universität entwickeln Dr. Kerstin Fest, Stefanie Klose und Dr. Steven Randall vom University College Freiburg (UCF) Inhalte für das internationale Projekt.


Epicur will Lehrformate anbieten, die Studierende darauf vorbereiten, fächerübergreifende Lösungsansätze für die vielschichtigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu entwickeln. Foto: smolaw11/stock.adobe.com

Kerstin Fest, Stefanie Klose und Steven Randall haben eine Vision: Sie möchten einen europäischen Bachelorstudiengang erarbeiten, der sich didaktisch und inhaltlich am Konzept der Liberal Arts and Sciences (LAS) – zu Deutsch der Freien Künste und Wissenschaften – orientiert und parallel in mehreren Ländern belegt werden kann. In dessen Zentrum sollen interaktive Lehrformate stehen, die Studierende darauf vorbereiten, fächerübergreifende Lösungsansätze für die vielschichtigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu entwickeln. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Karlsruher Instituts für Technologie, der Universitäten Strasbourg und Haute Alsace/Frankreich, der Universität von Amsterdam/Niederlande, der Adam Mickiewicz Universität Poznań in Polen, der Universität für Bodenkultur Wien in Österreich sowie der Aristoteles Universität Thessaloniki/Griechenland möchten sie diese Idee im Epicur-Projekt zum Leben erwecken.

Die Europäische Union hat Epicur 2019 bewilligt, 2020 ist das Vorhaben in die Pilotphase gestartet. Die unterschiedlichen Partner im Verbund bringen ihre jeweiligen Stärken bei Epicur ein – Freiburg ist auf dem Gebiet der LAS-Lehre federführend. Das Projekt habe mit einer großen Idee begonnen, und nun gelte es zu testen, wie dieses umfangreiche Projekt in der Praxis realisiert werden könne, erläutert das Projektteam. Als Lehrbeauftragte am UCF entwickeln sie jeweils einen Kursschwerpunkt für Epicur. Kerstin Fest erstellt Angebote zum Thema „Europäische Identitäten“, Stefanie Klose zu „Ökologischer und gesellschaftlicher Nachhaltigkeit“ und Steven Randall entwickelt Konzepte, die Kernkompetenzen wissenschaftlichen Arbeitens und Schreibens vermitteln.

Lehre neu denken

Wie unterscheiden sich Epicur-Kurse von anderen Lehrveranstaltungen? „Wir rücken von traditionellen Konzepten ab, indem wir zum Beispiel Frontalunterricht durch kompetenzbasierte Angebote ersetzen werden, die gezielt die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen internationalen Studierenden sowie deren lösungsorientiertes Denken fördern“, sagt Fest. „Dementsprechend vermitteln die Kurse, die primär online, aber auch in Form von Exkursionen und Summer Schools stattfinden sollen, nicht nur Fachwissen“, ergänzt Klose. „Zudem wird es kein klassisches Haupt- und Nebenfach geben. Wir möchten, dass sich die Studierenden freier entfalten. Dazu zählt für uns, dass sie den Lehrplan mitgestalten und die Schwerpunkte in ihrem Studium selbst wählen können,“ führt Randall aus. Als Studienleistungen seien anstelle von Klausuren, Haus- oder Seminararbeiten unter anderem benotete Abschlussprojekte und Gruppenarbeiten denkbar – zum Beispiel in Form von Präsentationen, Podcastreihen oder Videoclips.

Pilotkurse kommen gut an

Im Wintersemester 2020/21 wurden erstmals Epicur-Pilotkurse mit den Schwerpunkten „LAS“ sowie „Sprache und Kultur“ umgesetzt. Dabei handelte es sich zum einen um eigens konzipierte Angebote und zum anderen um bestehende Lehrveranstaltungen, die didaktisch an den Epicur-Gedanken angepasst wurden und ein Kontingent für Epicur-Studierende boten. Die Seminare waren für alle Studierenden der Epicur-Universitäten offen. Ein Beispiel ist der Pilotkurs „Mediated Modelling for Sustainability“, den Stefanie Klose zwischen Dezember 2020 und Februar 2021 gemeinsam mit Andreas Zitek, einem österreichischen Kollegen, veranstaltete.


Das Herzstück des University College Freiburg ist der Studiengang Liberal Arts and Sciences. Foto: Jürgen Gocke

Ziel des Onlinekurses war es, den Blick der Teilnehmenden auf aktuelle Nachhaltigkeitsprobleme zu erweitern und ihr Verständnis für kausale Zusammenhänge zu stärken. „Die Studierenden sollten mithilfe eines neuen Softwaretools reale Fallstudien aus dem Nachhaltigkeitsbereich analysieren und anschließend Modelle zu den bearbeiteten Herausforderungen erstellen und präsentieren“, fasst Klose den Kursinhalt zusammen. Um die Eigenmotivation der Teilnehmenden zu stärken, blieb es ihnen überlassen, Themen für Fallstudien vorzuschlagen. Der kollaborative Lehransatz wurde unter anderem dadurch realisiert, dass die internationalen Studierenden in Gruppen zusammenarbeiteten und die Teams die Möglichkeit hatten, sich untereinander auszutauschen und gegenseitig Tipps zu geben.

Das Konzept der Lehrenden ging auf, wie die Rückmeldungen der Studierenden zeigten: In einem Fragebogen vermerkten manche, dass der Kurs ihre Erwartungen vollständig erfüllt oder sogar übertroffen habe – etwa, weil verschiedene Werkzeuge vorgestellt wurden, um Modelle anzufertigen und über räumliche Distanzen hinweg gemeinsam Aufgaben zu lösen. Einige gaben an, das Erlernte weiterhin anwenden zu wollen. Auch die hilfreiche Unterstützung und Erreichbarkeit der Lehrenden, die für Rückfragen per Videokonferenz ansprechbar waren, wurde wertschätzend hervorgehoben. Dass Epicur die Chance böte, Kurse mit Lehrenden von anderen Universitäten zu besuchen, haben die Studierenden zudem als großen Gewinn gewertet.

In Freiburg sowie an der polnischen und griechischen Partneruniversität sind die Epicur-Pilotkurse bereits in die zweite Runde gegangen. In Kooperation mit Poznań bietet Steven Randall seit Anfang März 2021 den Kurs „Eine mehrsprachige Karte von Europa“ an. Der Name ist Programm: In drei Modulen lernen die Studierenden Mehrsprachigkeit in Europa mit Blick auf Vielfalt, Identität und ihre örtliche Ausbreitung kennen. Am Ende werden die Ergebnisse ihrer Gruppenarbeiten zu einer großen europäischen Karte zusammengefügt. Randall sieht einen Pluspunkt darin, dass internationale Studierende gemeinsam komplexe Themen erarbeiten: „Alle bringen unterschiedliche Erfahrungen, Hintergründe und Lösungsansätze mit und lassen diese in die Kurse einfließen. Dadurch lernen Studierende, ihre länderspezifische Perspektive zu hinterfragen.“

Viel vor in der zweiten Halbzeit

Die bisherigen Ergebnisse der Pilotphase sieht Kerstin Fest positiv: „Als Verbund haben wir Regelungen zur gegenseitigen Anerkennung von Studienleistungen getroffen und einen Rechtsrahmen geschaffen, der die Freizügigkeit der Studierenden zwischen den beteiligten Ländern gewährleistet. Vor allem dieser Schritt war wichtig, damit Studierende auch vor Ort an mehreren Epicur-Universitäten Kurse belegen können.“ Sofern sie wegen der Coronapandemie nicht verlängert wird, endet die Pilotphase im November 2022. Bis dahin soll der in allen beteiligten Ländern akkreditierte Bachelorstudiengang auf den Weg gebracht, ein gemeinsames didaktisches Verständnis von LAS geschaffen und ein für alle Verbunduniversitäten anwendbarer Kriterienkatalog für Epicur-Kurse erstellt worden sein. Um das Projekt gemeinsam voranzutreiben, treffen sich alle Beteiligten in monatlichen Meetings und thematischen Besprechungen per Video. Fest, Klose und Randall sind optimistisch, dass in ein bis zwei Jahren alle Prozesse flüssig laufen.

Kristin Schwarz

 

Epicur – European Partnership for an Innovative Campus Unifying Regions