Ein Haus, viele Botschafter
Freiburg, 31.07.2020
Flexible Lernformate, die auf die vielfältigen Bedürfnisse von Studierenden eingehen, ein Online-Studium über Ländergrenzen hinweg, Botschafterinnen und Botschafter in den Fakultäten und ein „Haus des Lehrens und Lernens“, das alle Ressourcen und Kompetenzen unter einem Dach vereint: Diese Ziele setzt sich die Albert-Ludwigs-Universität in ihrer jüngst veröffentlichten Strategie zur Digitalisierung in der Lehre. Die Vorarbeit zu dem Papier begann lange vor der Corona-Pandemie, und in der Krise hat sich gezeigt: Die Universität Freiburg hat die richtigen Weichen für die Entwicklungen der nächsten Jahre gestellt.
Kamera und Schnitt: Lehrende nutzen das Ministudio an der Fakultät für Biologie, um ihren Unterricht mit digitalen Elementen anzureichern. Foto: Thomas Kunz
Das Virus schlug zu, und eine große Hektik befiel die Campus: Nicht nur in Baden-Württemberg standen die Hochschulen im März 2020 von einem Tag auf den anderen vor einem Problem ohne Präzedenz. Vorlesungen, Seminare, Laborpraktika, Exkursionen, Sprechstunden, kurzum alle Formen des üblichen Studienbetriebs wurden aufgrund der Corona-Pandemie unmöglich und der rasante Umstieg auf ein digitales Semester unausweichlich. Allein im Freiburger Rechenzentrum (RZ) pumpten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in wenigen Wochen weit mehr als 1.000 Überstunden in den Ausbau einer Infrastruktur, die flächendeckend die digitale Lehre ermöglichen sollte. Immerhin: Von null auf hundert musste die Universität nicht beschleunigen, „eher von 20 auf 100“, sagt Prof. Dr. Gerhard Schneider, Leiter des RZ und Prorektor für digitale Transformation. „Das Wissen war hier bereits vorhanden, wir mussten es aber blitzschnell in die Breite skalieren.“
Das RZ beschaffte Laptops, Videokameras und Lizenzen für Online-Plattformen; die Abteilungen E-Learning, Campus-Management und das Medienzentrum der Universitätsbibliothek (UB) nahmen innerhalb weniger Wochen mehr als ein Dutzend Web-Seminare auf, in denen das Team das Einmaleins der Fernlehre erklärte – von Anregungen für unterschiedliche didaktische Szenarien über Anleitungen zur Aufzeichnung von Vorlesungen bis hin zur Verhaltensetikette in Online-Diskussionen. Auch dafür musste die Albert-Ludwigs-Universität nicht bei null starten, betont Prof. Dr. Juliane Besters-Dilger, Prorektorin für Studium und Lehre. „Projekte und Konzepte, die sich mit dem Potenzial von E-Learning befassen, werden bei uns seit Jahren erprobt, prämiert und gelebt.“ Die Universität trage den tief greifenden Veränderungen der Digitalisierung für die Arbeits- und Lebenswelt Rechnung. Bereits vor mehreren Jahren habe die Aufwertung und Verstärkung der digitalen Lehre begonnen; Anfang 2019 startete eine Co-Creation-Group, die sich mit dem Entwerfen einer Strategie befasste. „Von dieser Vorarbeit haben wir im Sommersemester 2020 massiv profitiert“, betont Besters-Dilger.
Flexibler, vielfältiger, vernetzter
Vor einigen Wochen ist die Strategie verabschiedet und veröffentlicht worden. Sie benennt Ziele und die entsprechenden Maßnahmen, mit denen die Digitalisierung nachhaltig verankert werden soll. „Damit ist keinesfalls gemeint, dass Lehrende zukünftig Inhalte statt in Präsenz per Videokonferenz abspulen“, sagt Dr. Nicole Wöhrle, Leiterin der Abteilung E-Learning. Ebenso käme es nicht infrage, digitale Lehre gegen Präsenzunterricht auszuspielen, hebt Besters-Dilger hervor. Stattdessen gehe es um einen grundlegenden Wandel in der Wissensvermittlung, um das Definieren von digitalen Formaten, die einen Mehrwert gegenüber der Präsenzlehre bieten. Wöhrle zählt einige Leitplanken der Strategie auf: Lehre soll flexibler werden, auf die Vielfalt der Studierendenschaft eingehen und das Lernen und Studieren im internationalen Verbund von Anfang an mitdenken und stärken.
Wie kann das gelingen? Seit einigen Semestern bietet etwa das Seminar für Politikwissenschaft eine prämierte Lehrveranstaltung an, an der mehrere deutsche Hochschulen teilnehmen. „Die Studierenden können in Echtzeit miteinander diskutieren und gemeinsam an Projekten arbeiten, obwohl sie in acht unterschiedlichen Städten sitzen“, berichtet Wöhrle. Dieses Modell sei auch für den europäischen Raum, etwa für den European Campus oder den EPICUR-Verbund, denkbar. Von solchen ortsunabhängigen Formaten könnten darüber hinaus auch Studierende profitieren, die aus unterschiedlichen Gründen nicht den Hörsaal aufsuchen können. Die nötigen Lernmaterialien könnten sie über die Plattform ILIAS beziehen.
Bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie hätten immer mehr Lehrende mit digitalen Elementen experimentiert, hat Wöhrle beobachtet. Unterschiedliche Stellen an der Universität, ob das Medienzentrum oder die so genannten Ministudios, bieten die nötige Technik, um unkompliziert Videos aufzuzeichnen oder Powerpoint-Präsentationen zu vertonen. In der wissenschaftlichen Weiterbildung, die sich an Berufstätige richtet, werden zeit- und ortsunabhängige Formate bis hin zu ganzen Online-Studiengängen sogar schon seit 2006 angeboten.
Das Wintersemester naht: Eine Task Force erarbeitet Szenarien, wie die Erstsemester in Zeiten von Corona an das universitäre Lernen herangeführt werden können.
Foto: Sandra Meyndt
Support für den gesamten Prozess
In den nächsten Jahren sollen die Ressourcen und Kompetenzen für die Digitalisierung in der Lehre unter einem Dach zusammengeführt werden. In der Werthmannstraße, in unmittelbarer Nähe zur UB, soll das „Haus des Lernens und Lehrens“ entstehen. „In der Co-Creation-Group wurde deutlich, wie wichtig es ist, allen Interessierten eine zentrale Anlaufstelle zu bieten“, führt Besters-Dilger aus. „Eine Lehrperson könnte sich mit einer Idee für ein didaktisches Format in das Haus begeben und würde dort den notwendigen Support für den gesamten Prozess bekommen.“ Ein Service, der mehr Fachbereiche ermutigen soll, mit digital gestützten Lehrformaten zu experimentieren.
Welche Bedarfe und Erwartungen die Fachbereiche haben, will die Universität unter anderem mit einem neuen Netzwerk ermitteln, auch das sieht das Strategie-Papier vor: Seit Juni 2020 gibt es an jeder Fakultät so genannte Digitalisierungsbotschafter. Dieser Verbund hat die Aufgabe, Anforderungen aus den Fachbereichen zu ermitteln und an das Rektorat zurückzuspielen. „Gleichzeitig koppeln wir die Angebote der zentralen Stellen an die Fakultäten zurück“, sagt Dr. Carolin Neuber, Digitalisierungsbotschafterin für die Theologie.
Task Force für das Wintersemester
Neuber hat im vergangenen Wintersemester das E-Learning-Zertifikat der Universität Freiburg erhalten und nutzt bereits seit einigen Jahren digitale Lehre in ihren Seminaren und Vorlesungen, etwa in der zur Geschichte Israels. Die vielen historischen Daten und Fakten könnten leicht dazu verleiten, die Vorlesung im Frontalmodus zu halten. „Es kann aber nicht der Sinn der Veranstaltung sein, dass die Studierenden nur Wissen anhäufen, sie sollen auch bestimmte Kompetenzen erwerben – und das geht am besten in der gemeinsamen Textarbeit.“ Den reinen Wissenserwerb hat Neuber deswegen als Online-Einheit auf ILIAS vorgeschaltet, die Studierenden machen sich selbstständig mit dem Stoff vertraut. In den Sitzungen hingegen vermittelt sie der Gruppe ein Verständnis für die Entstehung biblischer Texte im geschichtlichen Kontext und diskutiert zum Beispiel Fragen der historischen Einordnung von bestimmten Bibelpassagen. Von ihren Studierenden habe Neuber durchweg positive Rückmeldungen für diesen Ansatz des „flipped classroom“ erhalten. Für sie ist das Konzept ein gutes Beispiel für einen Fall, in dem die digitale Lehre den Präsenzunterricht bereichere. Zwar sei die Vorbereitung ungleich aufwendiger, doch der Gewinn für die Studierenden liege auf der Hand.
Über den Verbund der Digitalisierungsbotschafter will Carolin Neuber sich für ihre Fakultät einen Eindruck davon verschaffen, wie ihre Kolleginnen und Kollegen unterschiedliche didaktische Konzepte für die jeweiligen Fach- und Lerninhalte nutzen. Sie sieht das Netzwerk als willkommene Möglichkeit, sich gegenseitig zu informieren und zu unterstützen: „Wir können einen großen Austausch in Gang setzen.“ Beim ersten Treffen im Juni stand bei allen Fakultäten vor allem die Frage nach dem Wintersemester in Zeiten von Corona im Vordergrund, berichtet Neuber: „Wie gehen wir mit den Erstsemestern um, und wie führen wir sie an das universitäre Lernen heran, wenn der Austausch vorwiegend digital stattfinden wird?“ Die Digitalisierungsbotschafter haben das Thema in die Zentrale gespeist. Dort befasst sich eine Task Force mit dieser Frage und nahm bei der Ausarbeitung unterschiedlicher Szenarien die Ideen aus dem Netzwerk auf. Der große Austausch hat begonnen.
Rimma Gerenstein
Tag der digitalen Lehre
Am 24. November 2020 findet der universitätsweite „Tag der digitalen Lehre“ statt, an dem die Digitalisierungsstrategie vorgestellt wird. Es wird mehrere Workshops geben, die sich mit den Zielen und Maßnahmen des Papiers beschäftigen. Der Workshop findet online statt und ermöglicht auch externen Hochschullehrenden die Teilnahme. Weitere Informationen gibt es bald im Newsletter für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ab Oktober 2020 auf der Lernplattform ILIAS.
Strategie zur Digitalisierung in der Lehre