Arbeitskultur greifbar machen
Freiburg, 10.08.2017
Die Landesinitiative „Kleine Fächer“ des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK) fördert Fächer mit geringer Studierendenzahl oder wenig Universitätsstandorten. Ziel ist, die Leistungsfähigkeit der Fächer zu sichern. Im Bereich Lehre werden drei Freiburger Projekte mit einer Laufzeit von zwei Jahren gefördert. Julia Dannehl hat mit den Initiatorinnen und Initiatoren gesprochen und stellt die Vorhaben in einer Serie vor.
Aus den Beständen zum Arbeiterlied im Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Universität Freiburg lassen sich Aussagen darüber ableiten, welche Bedeutung Menschen der Erwerbsarbeit beimessen. Foto: Jürgen Gocke
Das Projekt „Vernetzt lernen, forschen, vermitteln: Arbeit in Sammlungen“ wurde von Prof. Dr. Markus Tauschek vom Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie gemeinsam mit Partnern aus Tübingen, Stuttgart, Karlsruhe und Staufen konzipiert. Die Zusammenarbeit von sammlungsorientierten und forschenden Institutionen ermöglicht es, bereits vorhandene Sammlungen als Ressource für Lehre und Wissenstransfer zu nutzen. Die Fördersumme beträgt rund 250.000 Euro.
Herr Tauschek, Sie sind Professor für Europäische Ethnologie. Was macht ihr „kleines Fach“ so besonders?
Markus Tauschek: Zunächst macht unser Fach besonders, dass wir uns für den Alltag von Menschen interessieren. Wie leben Menschen? Welche Bedeutung geben sie sich selbst? Wie handeln und interagieren Menschen? Wir betrachten das Ganze mit einer historischen Perspektivierung, fragen also, woher kulturelle Ausdrucksformen stammen und wie sie sich im Lauf der Zeit entwickelt haben. Daraus resultiert dann oft auch die Frage, warum wir heute so handeln, wie wir handeln. Ebenfalls besonders ist unser Interesse an populärer Kultur – der Kultur der Vielen – , an Alltagskultur und an materieller Kultur, also der Bedeutung von Gegenständen und die Art und Weise, wie Menschen mit Dingen umgehen.
Gibt es entsprechend den Unterschieden im Forschungsgegenstand auch andere Forschungsmethoden?
Das Fach arbeitet traditionell historisch-archivalisch mit Archivmaterialien mit dem Ziel, historische Lebenswelten und Alltagskultur in der Vergangenheit besser verstehen zu können – und genau das möchten wir im Rahmen des geförderten Projekts stärken und ausbauen. Besonders ist auch die Art der Datenerhebung in der Gegenwartsforschung, hier arbeiten wir unter anderem mit teilnehmender Beobachtung. Das bedeutet, dass wir wirklich mit Menschen interagieren, dass wir kulturelle Praktiken mitmachen, unsere eigenen Beobachtungen und Eindrücke festhalten und das Ganze dann mit Interviewforschung ergänzen. Was uns außerdem auszeichnet, ist der hohe Grad an Selbstreflexion, also das Nachdenken darüber, wie unsere wissenschaftlichen Ergebnisse auch von der Art und Weise abhängen, wie wir Daten erheben.
Das Interesse am Alltag von Menschen und an populärer Kultur zeichnet die Kulturanthropologie und die Europäische Ethnologie besonders aus, sagt Markus Tauschek. Foto: Klaus Polkowski
Wodurch zeichnet sich das geförderte Projekt aus?
Das Besondere ist die Zusammenarbeit mit außeruniversitären Forschungs- und Sammlungsinstitutionen. Projektpartner sind das Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen, das Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) der Universität Freiburg und zwei Landesstellen für Volkskunde, die an die jeweiligen Landesmuseen in Stuttgart und in Karlsruhe angegliedert sind. Diese Landesstellen zum Beispiel haben unglaublich wertvolle, historische Bestände zur Alltagskultur im jeweiligen Landesteil, also in Württemberg beziehungsweise Baden: Bestände zu historischer Volkskultur, zum Leben auf dem Land, zur Arbeitskultur et cetera. Im Zeitraum der Förderung möchten wir uns vor allem den Beständen zur Arbeit widmen. Arbeit ist gerade heute – das glauben wir jedenfalls – ein unglaublich relevantes Thema. Und ein Blick in die Geschichte kann uns beispielsweise helfen zu verstehen, wie wir Arbeit heute bewerten.
Es handelt sich um ein Lehrprojekt. Bedeutet das, dass Studierende diese Bestände wissenschaftlich aufarbeiten?
Genau, wir werden forschungsorientierte Seminare anbieten. Sowohl Bachelor- als auch Masterstudierende können dann an kleineren Beständen ihre Fragestellungen bearbeiten. Es wäre beispielsweise möglich, sich im Archiv Dokumente von Arbeiterinnen und Arbeitern aus dem 19. Jahrhundert anzuschauen und nach den Effekten der Industrialisierung in Baden-Württemberg zu fragen. Das ZPKM hat große Bestände zum Arbeiterlied, auch hier wäre ein Forschungsprojekt denkbar. Die Studierenden sollen möglichst früh lernen, mit dem Material zu arbeiten und es auch so aufzubereiten, dass es für eine größere Öffentlichkeit interessant ist.
Es wird also keine Protokolle und Hausarbeiten geben?
Wir möchten innovativere Formate des Transfers erproben, das ist neben der möglichst frühen Forschungserfahrung ein weiteres Ziel des Projekts. Wir könnten uns beispielsweise einen Blog vorstellen, in dem die Studierenden ihre Forschungsergebnisse präsentieren oder kleinere Ausstellungen in den jeweiligen Instituten und Landesstellen. Vorstellbar ist auch, dass wir am Ende eine größere Ausstellung mit allen am Projektbeteiligten auf die Beine stellen. Aber die Studierenden haben auch die Chance, in den Archiven und Sammlungen bisher unentdeckte Themen zu finden, zum Beispiel für Abschlussarbeiten.