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Zwischen Markt und Schattenmarkt

In Kambodscha untersucht Robert John die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Aspekte rund um den Sandhandel

Freiburg, 10.10.2019

Überall, wo Städte wachsen, ist Sand begehrt. Robert John hat alle Vorgänge, die mit Sandhandel zusammenhängen, am Beispiel Kambodschas erforscht. Dort boomt das Baugewerbe. Um die Nachfrage zu decken, rieselt Sand manchmal auch durch dubiose Kanäle. Johns Erkenntnisse könnten dabei helfen, negative Folgen des Geschäfts abzumildern.


Sand gehört zu einer der am meisten bewegten Ressourcen weltweit. Foto: finwal89/stock.adobe.com

„Beamte in Ministerien haben sich vor mir versteckt“, sagt Robert John. Am Beispiel Kambodschas untersucht der Freiburger Doktorand vom Institut für Geographie derzeit den Handel mit Bau- und Füllsanden: Kambodscha gehört zu den größten regionalen Förderern von Sand. Von dem Stoff hängen dort zahlreiche Bauprojekte, Unternehmen und Jobs ab. John interessieren die Prozesse der so genannten Vermarktlichung: Welche sozialen, politischen, wirtschaftlichen, geologischen und ökologischen Faktoren und Folgen stehen mit dem Gut in Verbindung? Kitzelige Forschung: Im Geschäft mit Sand gibt es neben legalen auch mafiaähnliche Strukturen. Wer zu viel sagt, riskiert Ärger.

Schuften für Vertrauen

Einige Beamte tauchten darum ab. Doch John traf auch auf kooperative Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ministerien, hilfreiche Aktivistinnen und Aktivisten sowie Sandarbeiter. Der Doktorand fand Wege, neue Einblicke in die Prozesse der Vermarktlichung zu gewinnen. Er berücksichtigte die Sicht von Teilnehmern am Markt ebenso wie die von Gegnern des Sandgeschäfts, das sich nicht nur positiv auswirkt. John bindet daher auch sozio-politische und geo-ökologische Folgen in seine Analysen ein. Für die nutzt er einen großen Mix an Methoden. Er erkundet Daten aus der Ferne, führt Interviews vor Ort und nimmt selbst an Marktprozessen teil, um sie genau beobachten zu können. Deshalb, und weil er sich an viele Informationsquellen herantasten musste, hat er mit Sandarbeitern in der Hitze Kambodschas geschuftet.


Robert John hat selbst in der Hitze Kambodschas geschuftet – die Arbeiter fassten Vertrauen zu ihm und belohnten ihn mit Informationen über den Sandhandel. Foto: Robert John

„Den vollen Arbeitstag habe ich nicht geschafft“, erzählt John. Abbau, Verladung und Verfüllung von Sand sind harte Arbeit. Zwar übernehmen Maschinen viele Aufgaben, doch trotzdem bleibt reichlich Handarbeit zu tun: schaufeln, schleppen, Schläuche bändigen, durch die mit hohem Druck ein Sandbrei rauscht. „Der Verdienst ist vergleichsweise gut. Die Arbeiter bezahlen jedoch mit ihrer Gesundheit.“ Lohn bekommen sie pro Kubikmeter geförderten Sand: Sandarbeiter rackern nicht nur körperlich hart, sondern auch schnell und ausdauernd – täglich bis zu zwölf Stunden. Nach sechs bis acht Stunden war für John, einen kräftig gebauten Mann von 1,84 Meter, Schichtende: „Dann taten mir Hände und Rücken weh.“

Unterstützung und Widerstand

Wozu die Schinderei? „Gemeinsam zu arbeiten baut Vertrauen auf und ermöglicht es, den Arbeitsalltag im Sandgeschäft kennenzulernen“, erklärt John. Wo gibt es technische Probleme? Wo fallen welche Kosten an? Beim geselligen Abendessen erhielt der Doktorand Informationen, an die er sonst nicht erhalten hätte: „Konkrete Zahlen etwa zur Höhe der Transportkosten und der Bezahlung hätte ich sonst nie bekommen.“ Nur wenige, die am Sandgeschäft verdienen, sind an Transparenz interessiert.

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern Südostasiens gibt es in Kambodscha Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Aktivisten, die dem Sandgeschäft und besonders Sandexporten kritisch gegenüberstehen. Befreundete Aktivisten haben John geholfen und oft für ihn übersetzt – trotz des Risikos: Einige waren bereits im Gefängnis, weil sie Abbaustellen fotografiert oder Firmengelände betreten hatten. „Das schlimmste, was mir als Ausländer passieren könnte, wäre ein Landesverweis“, so der Geograph. In Behörden verschwanden seine offiziellen Interviewanfragen teils, oder sie blieben unbearbeitet liegen. Wenn er persönlich erschien, wurden ihm die Türen vor der Nase zugeschlagen. Über private Kontakte lernte der Forscher aber auch kritische Beamte kennen, die bereit waren, ihn mit Informationen zu versorgen.


Die Arbeiter verladen den Sand: „Der Verdienst ist vergleichsweise gut. Die Arbeiter bezahlen jedoch mit ihrer Gesundheit“, betont Robert John. Foto: Robert John

In zwei Aufenthalten von insgesamt gut einem Jahr hat John unterschiedliche Daten zusammengetragen – beispielsweise mehr als 70 Stunden Aufzeichnungen von Interviews, vertrauliche Gesetzestexte, mehr als 100 Zeitungsartikel und zahlreiche Satellitenaufnahmen. „Mit denen lässt sich etwa feststellen, wie viel Fläche ein See durch Aufschüttungen verloren hat und wie viel Sand das verbraucht hat.“ Jetzt sitzt John an der Auswertung. Zum Abschluss will er ein Buch veröffentlichen, indem er aufzeigt, wie die Vermarktlichung von Sanden in Urbanisierungsprozesse und Kapitalkreisläufe eingebunden ist. Darüber hinaus gestaltet er zusammen mit der Künstlerin Michelle Reutter ein Installationsprojekt: „Das bietet neue Zugänge und vermittelt eine Vorstellung des Themas, die nicht auf Texten basiert.“

Eine bewegte Ressource

„Auf das spannende Thema Sand hat mich erst Robert gebracht“, sagt Annika Mattissek, Professorin für Wirtschaftsgeographie und Nachhaltige Entwicklung, die Johns Arbeit betreut. „Gleichzeitig ist es fast erstaunlich, dass die Ressource bislang so wenig untersucht ist.“ Schließlich handele es sich bei Sand nach Wasser um die am meisten bewegte Ressource weltweit. Sand macht den Löwenanteil von Beton und Asphalt aus. Er dient dazu, durch Aufschüttung an Gewässern oder Meeresküsten neue Nutzflächen zu gewinnen. Überall, wo Städte wachsen oder die städtische Lebensweise zunimmt wie in Kambodscha, braucht es massenhaft Sand.

Exzessiver Sandabbau kann andererseits Ökosysteme zerstören, die Erosion von Ufern beschleunigen, Grundwasserspiegel absenken und viele andere negative Folgen für die Umwelt haben. „Bei uns und den Gesellschaftswissenschaften stehen gesellschaftliche Konflikte im Vordergrund“, erklärt Mattissek. Das Projekt solle aber alle Zusammenhänge aufzeigen. Abschließend möchte Robert John bei einem Workshop in Kambodscha seine Erkenntnisse allen zentral Beteiligten vorstellen. „Wir wollen unsere Ergebnisse an sie zurückspielen“, erläutert Annika Mattissek, „Zudem wollen wir einen Dialog zwischen Befürwortern und Kritikern, Beamten und Aktivisten anregen.“ Vielleicht finden sie ja Wege, Schäden durch Sandhandel zu verringern, ohne den Aufschwung des Landes zu gefährden.

Jürgen Schickinger