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Viele junge Deutsche und Österreicherinnen suchten in der Schweiz als Hausangestellte das Glück

Freiburg, 30.05.2017

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Foto: Hilde Grangl

Die Freiburger Historikerin Dr. Andrea Althaus ist den Gründen für die hohe Migration junger Frauen nachgegangen, die im Laufe des 20. Jahrhunderts in die Schweiz auswanderten. Da der Mangel an Dienstmädchen und Servicekräften in den Privathaushalten und Hotelbetrieben so immens war, arbeiteten zwischen 1920 und 1960 jährlich geschätzt 30.000 Migrantinnen in der Eidgenossenschaft. Warum nutzten so viele diese Chance?


Idyllische Landschaften, hohe Löhne und gutes Essen: Die Schweiz lockte im Laufe des 20. Jahrhunderts viele junge Frauen an – darunter auch 1952die Hotelangestellte Hilde Grangl.

Foto: Hilde Grangl

Gutes Essen, hohe Löhne, idyllische Landschaften und von den zwei Weltkriegen verschont gebliebene, unzerstörte Städte: Die Schweiz lockte im Laufe des 20. Jahrhunderts viele junge Frauen aus Deutschland und Österreich zu sich. Allerdings waren es nicht nur die paradiesischen Vorstellungen von leckeren Speisen und viel Geld, die die Frauen zum Auswandern bewogen. Viel eher war es ihre einzige Möglichkeit, dem strengen Elternhaus oder einer unbefriedigenden Arbeit in einer Fabrik zu entfliehen und etwas Neues kennenzulernen.

Endlich unabhängig und frei: Für die meisten Frauen war die Zeit in der Schweiz auch eine Zeit des Erwachsenwerdens.
Foto: Christa Strack

„Wir wollten einfach weg", hieß es häufig in den Gesprächen, die Andrea Althaus mit den Frauen führte. Die meisten von ihnen waren zwischen 18 und 25 Jahre alt, als sie in die Schweiz auswanderten. Die Historikerin widerlegt in ihrer Dissertation, die auf 79 lebensgeschichtlichen Interviews und schriftlichen Erinnerungsberichten basiert, die gängige Vorstellung, dass die Frauen als „Dienstmädchen" und Migrantinnen vor allem Opfer gewesen wären. „Die Frauen erinnern sich gern an ihre Jahre in der Schweiz. Viele sagten, es sei ihre schönste oder beste Zeit gewesen", berichtet die Historikerin. Dazu gehört auch Maja Pichler. Die Österreicherin war von 1957 bis 1964 als Hotelangestellte in der Schweiz. „Es war für mich das Paradies", erinnert sie sich.

Privathaushalte und Gastgewerbe

Im Fokus der Analyse standen Privathaushalte und das Gastgewerbe. Der Alltag der Frauen war sehr unterschiedlich, je nachdem, wo sie arbeiteten. „Vor allem in der Saisonhotellerie waren die Arbeitsbedingungen miserabel. Zwar gab es einen gesetzlich festgelegten Ruhetag, doch der wurde in der Hochsaison häufig ausgesetzt", sagt Althaus. Die Arbeitsbelastung in den Privathaushalten sei zwar auch hoch gewesen, jedoch wurden die zwei gesetzlich vorgeschriebenen freien Nachmittage meistens eingehalten. „Insbesondere Frauen, die in einem bäuerlichen Milieu aufwuchsen, haben diese knapp bemessene Freizeit äußerst positiv in Erinnerung", betont die Forscherin. Auf dem elterlichen Bauernhof hatten sie stets mithelfen müssen – als Hausangestellte in der Schweiz verfügten sie zum ersten Mal frei über ihre Zeit.

Die Wahrnehmung der Freizeit sei ein gutes Beispiel dafür, dass Migrationen auch eine biografische Dimension haben. Für Althaus umfasst der Begriff „Migration" mehr als nur den geografischen Weg von A nach B. „Auch die Kindheits- und Jugenderfahrungen prägten das Erleben des Schweizaufenthaltes. Der Ortswechsel wirkte auf das Selbst- und Weltbild der Migrantinnen. Das veränderte ihre biografischen Perspektiven."
Der hohe Mangel an Personal in der Schweiz begünstigte die Migrationsbewegung, die sich über die Jahre aufgrund der persönlichen Netzwerke zu einem Wanderungssystem verfestigte. Viele Frauen zogen ihren Freundinnen und Bekannten nach, die bereits in der Schweiz waren. Die persönlichen Kontakte erklären nach Althaus auch, warum noch bis in die 1960er Jahre deutsche Frauen auswanderten – trotz des Wirtschaftswunders in der Heimat.

Die meisten Frauen seien nach einigen Jahren wieder zurück in ihre jeweilige Heimat gegangen und hätten geheiratet. Für andere hingegen sei die Schweiz nur der erste Schritt der Migration gewesen – sie gingen anschließend zum Beispiel nach England oder in die USA.

Angriff auf die Schweizer Souveränität?

Nicht verursacht, aber stark geprägt hätten die jungen Deutschen und Österreicherinnen den Schweizer Überfremdungsdiskurs. Dieser sei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorwiegend antideutsch ausgerichtet gewesen. „Die Schweizer hatten große Angst vor Überfremdung und sahen in den deutschen ‚Dienstmädchen' aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts und ihrer beruflichen Tätigkeit eine besondere Überfremdungsgefahr", erläutert Althaus. Es wurde ihnen vorgeworfen, dass sie als Hausangestellte und als potenzielle Ehefrauen von Schweizern fremdes, also monarchisches oder nationalsozialistisches, Gedankengut sowie ansteckende Krankheiten in die Familien tragen würden. Man fürchtete, die Schweizer Souveränität könne von innen heraus geschwächt werden. Der Diskurs wurde zum Politikum und führte schließlich zu einer restriktiveren Einwanderungspolitik.


Der Mangel an Haus- und Hotelangestellten war in der Schweiz so groß, dass die Einreise vieler junger Frauen aus Deutschland und Österreich bewilligt wurde. Rasch bildeten sich persönliche Netzwerke unter den Frauen aus, die die Migrationsbereitschaft bis in die 1960er Jahre hinein förderten.
Foto: Margarete Simhofer

In dieser Zeit wurden sie oft als „Ausländerinnen" angefeindet und gehässig behandelt, berichteten die Frauen. Doch die meist verbalen Angriffe kamen eher von außen – in der Arbeitgeberfamilie erfuhren sie vielfach Unterstützung. Dabei wird den Schweizer Arbeitgeberinnen eine wichtige Rolle zugeschrieben. Manche der Migrantinnen sagten, ihre Chefin sei wie eine zweite Mutter gewesen, von der sie viel gelernt hätten. „Eine Frau berichtete etwa davon, sich das Durchsetzungsvermögen ihrer Arbeitgeberin abgeschaut zu haben", erzählt die Historikerin.

Ob die Frauen ihr Glück in der Schweiz gemacht haben? Andrea Althaus bejaht es. „Aus emanzipatorischer Sicht gewiss. Berücksichtigen muss man allerdings auch, dass erzählte Lebensgeschichten fast immer auch als Erfolgsgeschichten präsentiert werden."

Judith Burggrabe


Ausstellung

Die Ausstellung „Mädchen, geh' in die Schweiz und mach dein Glück" im Dreiländermuseum Lörrach zeigt noch bis zum 1. Oktober 2017 die Ergebnisse von Andrea Althaus' Studie.