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Willenskraft bewegt

Das Team von NeuroBots entwickelt Roboter, die sich mit Gedankenkraft steuern lassen

Freiburg, 01.03.2017

Willenskraft bewegt

Foto: Mathilde Bessert-Nettelbeck

In einem ehemaligen Hangar auf dem Campus der Technischen Fakultät rotiert ein Roboterarm hin und her. Er reicht einem Probanden einen Becher mit Orangensaft – nur durch Gedankenkraft gesteuert. Hinter dem Manöver steckt Spitzenforschung aus dem Exzellenzcluster BrainLinks-BrainTools, die den Alltag von Menschen mit körperlichen Einschränkungen erheblich erleichtern könnte.

Proband Nicolas Riesterer trinkt einen Schluck Orangensaft aus einem Becher und lächelt. Aus gutem Grund, denn das Experiment war ein voller Erfolg. Um in den Genuss des Getränks zu kommen, musste er keinen Finger rühren. Riesterers einzige Anstrengung war gedanklicher Natur. Nachdem seine Hirnströme ausgelesen und über Computerschnittstellen in Maschinenbefehle umgewandelt wurden, suchen Roboter selbstständig den Saft, schenken ihn in einen Becher ein und führen das Gefäß an seinen Mund. Er selbst bleibt die ganze Zeit über ruhig auf seinem Stuhl sitzen.

Die Experimente finden in einer Halle auf dem Gelände der Technischen Fakultät statt, in der vor einigen Jahrzehnten noch Fluggeräte untergebracht waren. Die Kulisse erinnert an einen Science-Fiction-Film: Computeranlagen, Laserkameras, überdimensionierte Roboterarme, seltsam anmutende Fahrzeuge. Sie alle sind Arbeitsgeräte verschiedener Projekte, die Roboter erforschen. Eines davon ist NeuroBots aus dem Exzellenzcluster BrainLinks-BrainTools der Universität Freiburg unter der Leitung des Robotik-Spezialisten Prof. Dr. Wolfram Burgard. Bei NeuroBots, das Expertinnen und Experten aus Medizin, Biologie und Informatik zusammenbringt, geht es um autonom handelnde Maschinen, die sich mit dem Gehirn steuern lassen. „Unser Ziel ist, ein Assistenzsystem für gelähmte und anderweitig körperlich beeinträchtigte Menschen zu entwickeln, das unter verschiedenen Alltagsbedingungen robust bleibt", sagt Burgard. Im Gegensatz zu Prothesen, die durch motorische Signale steuerbar sind, nutzt das Freiburger Team ein erweitertes Verfahren auf Grundlage des menschlichen Vorstellungsvermögens.


Wer hat aus meinem Becher getrunken? Mit Gedankenkraft steuert Nico Riesterer den Roboterarm, der ihm das Gefäß an den Mund führt.

Foto: Mathilde Bessert-Nettelbeck

Nach derzeitigem Forschungsstand geht das vereinfacht dargestellt so: Mentale Bilder einer Finger- oder Handbewegung werden per Elektroenzephalogramm (EEG) aufgezeichnet, von einer Software entschlüsselt und in Computersprache übersetzt. Der Proband legt damit zunächst fest, an welchem Objekt er interessiert ist. Danach gibt er die Befehle „Annähern", „Greifen" und „Bringen". Ein Planungsmodul zerlegt das Kommando dann in logisch aufeinanderfolgende, physikalisch machbare Einzelschritte und gibt es an die Maschinen weiter. Innerhalb weniger Sekunden startet der mobile Roboter omniRob und holt das Getränk. Er weiß, wo er hinfahren muss, findet sich eigenständig in seiner Umgebung zurecht, erkennt die Flasche und bringt sie einem „Kollegen", dem aus der industriellen Fertigung bekannten Roboterarm LBR iiwa. Dieser greift die Flasche, schenkt das Getränk in einen Becher ein und gibt dem Probanden zu trinken. Die Interaktion zwischen den Maschinen, ihrer Umwelt und der menschlichen Versuchsperson wirkt filigran, manchmal fast kunstvoll. Nicht nur Riesterer lächelt. Auch die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind zufrieden. „Ist das Setup erst einmal installiert, kann die Demonstration mehr oder weniger flüssig umgesetzt werden. Man darf allerdings nicht vergessen, dass die Vorarbeit dafür einige Jahre betrug", kommentiert der Informatiker Dr. Joschka Bödecker, der zusammen mit dem Neurologen Dr. Tonio Ball das Experiment koordiniert.

Trinken mit dem Roboterarm – das Video zeigt, wie das Experiment funktioniert:

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Die Fragen, an denen das elfköpfige Team arbeitet, sind vielfältig. Sie decken einige Kernthemen und Verfahren künstlicher Intelligenz ab: So müssen beispielsweise aus der Flut an Informationen, die das EEG aus dem Gehirn des Probanden aufnimmt, genau diejenigen gefunden und herausgefiltert werden, die den richtigen Befehlen entsprechen. Besonders fordert die Forscherinnen und Forscher die Frage heraus, wie omniRob in einer ihm unbekannten Umgebung mit ihm ebenfalls unbekannten Gegenständen zurechtkommen kann. Und auch der Roboterarm ist kompliziert. Die Wissenschaftler müssen ihn mit einem Algorithmus auf realistische menschenähnliche Bewegungen trainieren, sodass er den Saft gleichmäßig und ohne ihn daneben zu schütten aus der Flasche in den Becher gießt. Außerdem sollte er sich besonders sanft bewegen, wenn er den Becher an den Mund des Probanden führt.

Trotz mehrerer erfolgreicher Versuchsaufbauten steckt NeuroBots noch in den Kinderschuhen. „Erst wenn das System den Unvorhersehbarkeiten des echten Lebens gewachsen ist, können wir es bei Patientinnen und Patienten anwenden", sagt Burgard.

Das Projekt läuft Ende 2018 aus, mit einer neuen Exzellenzförderung wäre eine Fortführung bis zum Jahr 2025 möglich. Dass Riesterer dann noch als Proband bei den Experimenten mitmacht, ist eher unwahrscheinlich. Nach seinem Master in Kognitionswissenschaft tritt er demnächst eine Promotionsstelle am Freiburger Institut für Informatik an – und könnte dann sogar bald zum Forschungsteam von NeuroBots gehören.

Levin Sottru

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