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Weltmusik als problematisches Label für den „Rest der Welt“

Workshop am Zentrum für Populäre Kultur und Musik zur Spartenbezeichnung „Weltmusik“ in Kurationspraktiken, Ausbildung und konzertanter Praxis

Freiburg, 12.05.2022

„‚Weltmusik‘ in postkolonialer Perspektive – aktuelle Debatten in Forschung und Praxis“ heißt der Workshop, den das Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) an der Universität Freiburg am 13. Mai 2022 veranstaltet. Organisiert haben ihn die Musikwissenschaftlerin Dr. Maria Fuchs, die als Senior Postdoc an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) tätig ist und der Kulturanthropologe Dr. Johannes Müske, der am ZPKM forscht und lehrt. Thomas Goebel hat mit ihnen gesprochen.

Frau Fuchs, Herr Müske, was ist problematisch an der Spartenbezeichnung „Weltmusik“?

Müske: In dem Begriff steckt unausgesprochen eine Vorstellung der Welt als „Rest“: Es gibt den westlichen Kanon – und es gibt eben den Rest. Der Begriff bezeichnet letztlich unreflektiert und pseudoaffirmativ die Kultur der „Anderen“, was auch Vorstellungen des „Primitiven“ oder Exotischen umfasst. Und obwohl es dabei um eine sehr ausdifferenzierte musikalische Vielfalt geht, wird alles in einen Topf geworfen.

Welche Musik ist denn mit dem Begriff überhaupt gemeint?

Fuchs: Da gibt es ein schönes Zitat von David Byrne von den Talking Heads, der schon vor mehr als zwanzig Jahren in der New York Times einen Artikel mit dem Titel „I Hate World Music“ geschrieben hat: In der „Tonne“ der Weltmusik sei alles versammelt von kommerziell erfolgreicher Musik eines Landes wie Hindi-Filmmusik über anspruchsvollen, super-kosmopolitischen brasilianischen Art-Pop oder die Musik eines ehemaligen bulgarischen Staatschors bis zu millionenfach verkauften Alben von Ricky Martin und Feldaufnahmen in Thailand. Die Vielfalt der globalen Musik muss herhalten für die Kategorisierung des „Anderen“, also von allem, was nicht europäische oder US-amerikanische Musik ist.

Wie ist der Begriff denn entstanden?

Müske: Angeblich haben einige Plattenlabel-Chefs in den 1980er Jahren in einem Pub in London zusammengesessen und „Weltmusik“ erfunden, um ihre Musik besser vermarkten zu können. Der Begriff wurde auch schon früher verwendet – aber egal ob die Geschichte mit dem Pub stimmt oder nicht, der Begriff ist in den 1980er Jahren als kommerzielles Etikett groß geworden, um Musik zu verkaufen, die man im Plattenregal nicht richtig einsortieren konnte.

Wie sind Sie in Freiburg auf das Thema aufmerksam geworden?

Müske: Die Idee hatte Frau Fuchs – sie war ja Gastforscherin bei uns am Zentrum für Populäre Kultur und Musik. Und wir haben dann zusammen mit unserem Direktor Prof. Dr. Dr. Michael Fischer das Thema weiterentwickelt.

Fuchs: Das Zentrum will sich in gesellschaftliche Diskurse einbringen. Ich selbst beschäftige mich schon länger mit Musik im Heimatfilm und dabei auch mit dem Sujet der „Heimat“ in der „Fremde“, die tatsächlich in den Kolonien eingelöst werden sollte. Außerdem reflektieren ja viele Fächer gerade ihre Wissenschaftspraxis in einer postkolonialen Perspektive – und so entstand die Idee, dass wir uns am Zentrum in Freiburg auch kritisch mit Kategorien wie dem „Eigenen“ und dem „Fremden“ und eben speziell der Spartenbezeichnung „Weltmusik“ auseinandersetzen.

Müske: Das Freiburger ZPKM wurde ja 1914 als „Deutsches Volksliedarchiv“ gegründet, hier sollte die „eigene“ Kultur gesammelt werden, das „Erbe der Väter“, wie es damals hieß. In unserem Bestand finden sich tatsächlich auch Nachweise populärer Lieder, die extra für die Kolonien bestimmt waren.

Fuchs: Auch bei Schlagern, wie beispielsweise „Schiheil“ aus einem Luis-Trenker-Film, steht im Verlagsvertrieb explizit die Anmerkung: „Für die Kolonien“.

Müske: Das ist ein Thema, das wir noch intensiver erforschen wollen. Ich selbst habe zu ähnlichen Heimatthemen gearbeitet, speziell zum Schweizer Auslandsradio, also zu europäischer populärer traditioneller Musik, die in der Welt verbreitet wird. Jetzt finde ich es sehr spannend, dass wir uns sozusagen umgekehrt mit der Musik der Welt in Europa beschäftigen und nach aktuellen Tendenzen in Praxis und Forschung fragen.

Wie wirkt sich die Kategorie „Weltmusik“ praktisch auf das Musikbusiness aus, also auf Aufnahmen, Konzerte, Festivals?

Müske: Der so genannte Ethno-Boom hat seit den 1980er Jahren einerseits dazu geführt, dass Festivals mit Weltmusik überhaupt stattfinden, erfolgreich sind und besucht werden. Andererseits kann man fragen: Wer wählt denn da eigentlich wen aus? Wenn europäische Festivalorganisatoren, die berühmten „weißen Männer“, meinen, sie bieten jetzt marginalisierten Gruppen aus der ganzen Welt ein Forum, dann ist das eine problematische Grundhaltung, die mittlerweile auch kritisch hinterfragt wird.

Fuchs: Die Kuratierung, also die Auswahl von Musik ist häufig auf nationale und regionale Stile ausgerichtet. Dadurch läuft man Gefahr, klangliche Erwartungshaltungen zu reduzieren – es spiegelt sich darin oft die eurozentristische Vorstellung von traditioneller, exotischer Musik wider: Man sucht nach dem vermeintlich Ursprünglichen und benennt die Musik nach der Herkunft der Musiker*innen. Dabei sind diese ja oft vielfältig sozialisiert, es gibt Diskussionen um Hybridität und so weiter. Andererseits lässt sich auch ein Wandel beobachten, zum Beispiel durch den kreativen Widerstand postmigrantischer Netzwerke gegen institutionelle Erwartungen, etwa in interkulturellen Musikprojekten, worüber Rim Jasmin Irscheid vom King’s College in London bei unserem Workshop sprechen wird.

Und in der Wissenschaft?

Fuchs: So vielseitig die Gegenstände in der Beschäftigung mit „Weltmusik“ sind, so vielfältig sind natürlich auch die Theorien und Methoden der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Die Musikwissenschaft im deutschsprachigen Raum ist teilweise noch recht konservativ ausgerichtet, was auch mit der disziplinären Ordnung und den jeweiligen Zuständigkeiten des Fachs zu tun hat.

Müske: In einzelnen Teildisziplinen des Fachs wie der Ethnomusikologie, Musiksoziologie, mit fließenden Grenzen zur Kultur- und Sozialanthropologie, werden diese Debatten um kulturelle Diversität in der musikalischen Praxis und der damit zusammenhängenden Ausbildung und Forschung schon länger geführt. Dort wird das Label „Weltmusik“ sehr kritisch gesehen. Auch darum geht es an unserem Workshop.

Ist denn die Bezeichnung „Weltmusik“ überhaupt noch sinnvoll zu verwenden – oder was wären Alternativen?

Fuchs: Es kursieren alternative Begriffe wie „Global Pop“ oder „Fusion“, aber die fassen letztlich auch wieder nur den „Rest“ der Welt unter ein Label. Man sollte auf die Akteur*innen selber hören, wie sie ihre Musik stilistisch bezeichnen. Damit kommt es dann auch zu einer Ausdifferenzierung – und das ist ja letztlich ein Ziel der Kritik an dem „Weltmusik“-Label.

 

Workshop (hybrid): „‚Weltmusik‘ in postkolonialer Perspektive – aktuelle Debatten in Forschung und Praxis“
Freitag, 13. Mai 2022, 10.30 Uhr bis 19 Uhr