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„Unsere Stärke ist es, Popkultur und die darin verhandelten gesellschaftlichen Fragen zu analysieren“

Im Interview spricht der Direktor Prof. Dr. Dr. Michael Fischer über das zehnjährige Bestehen des Zentrums für Populäre Kultur und Musik der Universität Freiburg

Freiburg, 25.04.2024

Prof. Dr. Dr. Michael Fischer ist seit 2014 Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Populäre Kultur und Musik der Universität Freiburg. Seit 2021 ist er zugleich Honorarprofessur für Geschichte und Theorie der populären Musik an der Musikhochschule Freiburg.

Prof. Dr. Dr. Michael Fischer, Foto: Johannes Müske

Prof. Dr. Dr. Michael Fischer, Foto: Johannes Müske

Das Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) wurde vor zehn Jahren gegründet. Hervorgegangen ist es aus dem 1914 gegründeten Deutschen Volksliedarchiv. Was waren die Gründe für diesen Schritt?

Mit dem ZPKM wollten wir inhaltlich über den Bereich des Volkslieds hinausgehen und den wissenschaftlichen Fokus erweitern. Dabei hatten wir zunächst im Blick, was die meisten Menschen unter populärer Musik verstehen, nämlich Pop und Rock seit den 1950er Jahren. Dieser Perspektivenwechsel zeigt sich auch beim Deutschen Musicalarchiv, an dem wir schon seit 2010 – also noch zu Zeiten des Deutschen Volksliedarchivs – gearbeitet haben. Das war ein erster Schritt, Forschung, Sammlung und Lehre unserer Einrichtung zu reformieren. Diese Entwicklung begann aber bereits vor der Anbindung an die Universität.

Historisches Audiogerät, Foto: Klaus Polkowski

Die Audiogeräte-Sammlung des ZPKM umfasst Aufnahme- und Wiedergabegeräte aus den letzten einhundert Jahren. Foto: Klaus Polkowski

Diese erfolgte 2014 durch die Gründung des ZPKM als Einrichtung der Universität Freiburg. Wie hat sich ihre Arbeit durch diese Anbindung verändert?

Wir wollten näher an die universitäre Forschung heranzurücken und, was mir persönlich sehr wichtig ist, auch an die akademische Lehre. Studierende sollten stärker eingebunden sein und diese auch am Zentrum selbst unterrichtet werden.

Konnten Sie diese Ziele in den vergangenen zehn Jahren erreichen?

Ja, davon bin ich überzeugt. Wir haben inhaltliche Kooperationen mit der Medienkulturwissenschaft, der Empirischen Kulturwissenschaft, der Musikwissenschaft und auch mit der Hochschule für Musik. Mit dieser betreibt die Universität das gemeinsame Forschungs- und Lehrzentrum Musik. Dadurch sind alle musikbezogenen Institute in Freiburg miteinander vernetzt, wovon alle Partner profitieren. Wir haben einen Rahmen geschaffen, in dem sich Studierende in einem interdisziplinären Rahmen mit populärer Kultur und Musik auseinandersetzen können. Das ist eine Stärke unseres Zentrums, die durch die Anbindung an die Universität gestärkt wurde.

Es gab Stimmen, die der Einrichtung des ZPKM kritisch gegenüberstanden und anführten, es würde sich dem Volkslied ab- und stattdessen dem Kommerz zuwenden.

Wenn man das Kommerzielle kritisieren möchte, dann muss man verstehen, wie Musikwirtschaft funktioniert. Wir wollen mit unserer Arbeit auch analysieren, welche Rolle populäre Musik in verschiedenen Gesellschaften spielt und welche Fragen in ihr verhandelt werden. Ob in der populären Musik der Frühen Neuzeit, im Schlager der 1920er Jahre oder im Hip-Hop der 2000er Jahre: Ich kann immer ähnliche Fragen stellen: Wie konstituiert sich Gesellschaft? Wie wird diese musikalisch repräsentiert? Welches Verhältnis zu Sexualität kann ich aus der populären Musik ablesen? Wie werden Geschlechterrollen definiert oder wie grenzen sich soziale Milieus voneinander ab? Diese Fragen stellen zu können, ist eine Stärke unseres Zentrums.

Sie sprechen die historische Perspektive an. Aber auch hinsichtlich aktueller Themen, die stark diskutiert werden, lässt sich Popkultur analysieren.

Exakt. Und nun ist es vielleicht so, dass sich diese Diskurse einmal in Volksliedern spiegelten. Um diese Diskurse jetzt zu analysieren, muss ich selbstverständlich andere Genres in den Blick nehmen. Volkslieder stehen heute eher am Rande der Musikkultur, nicht im Zentrum.

Rolling Stones Flipper, Foto: Sandra Meyndt

Das Archiv für Popmusikkulturen beheimatet u.a. die Reinhold Karpp Rolling Stones Collection. Foto: Sandra Meyndt

Die Überführung des Volksliedarchivs ins ZPKM war vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen unumgänglich?

Ja. Gleichzeitig ging und geht es nicht darum, ein musikalisches Genre durch ein anderes zu ersetzen, sondern unseren Forschungsgegenstand zu weiten. Wir haben das traditionsreiche Deutsche Volksliedarchiv mit seinen historisch einmaligen Sammlungen weiter im Blick. Und es ist uns gelungen, dieses unter staatlichen Denkmalschutz zu stellen. Im Bereich der universitären Sammlungen ist das ein Alleinstellungsmerkmal und unterstreicht die kulturelle Bedeutung des Archivs.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung im archivarischen Bereich?

Wir haben in den letzten Jahren intensive Anstrengungen unternommen und verfügen nun über eine große Digitale Bibliothek mit tausenden Objekten, die wir auch weiter ausbauen wollen. Einerseits möchten wir die digitalisierten Objekte der Forschung zur Verfügung stellen, andererseits dient die Digitalisierung auch der Bestandserhaltung.

Neben der Forschung, wollen Sie die Arbeit des ZPKM auch Bürger*innen zugänglichen machen. Wie gelingt das?

Wir betreiben drei Online-Lexika: seit 2005 das Historisch-kritische Liederlexikon; dann das Songlexikon und als jüngstes Projekt das Musicallexikon mit über 1.300 Einträgen. Mit unseren Online-Lexika richten wir uns einerseits an ein Fachpublikum, andererseits auch explizit an interessierte Bürger*innen.

Mit welchen Themen befasst sich die Forschung am ZPKM aktuell?

Neben unseren Schriftenreihen ist unsere Forschung stark mit Tagungen verknüpft. Dieses Jahr befassen wir uns mit Religion im populären Musiktheater und mit dem Phänomen „Clubsterben“. Dabei geht es um die Veränderung von urbanen Strukturen in ökonomischer und sozialer Hinsicht − und wie sich dies in der Veränderung der Clubkultur niederschlägt.

Wie blicken Sie in die Zukunft des ZPKM?

Meine Vision ist, dass sich das ZPKM als führendes Zentrum in der deutschen Forschungslandschaft für den Bereich populäre Kultur und Musik behaupten kann und über ausreichend Ressourcen verfügt, dieses Ziel dauerhaft umzusetzen.

Mehr Informationen: https://www.zpkm.uni-freiburg.de

 

Kontakt:

Prof. Dr. Dr. Michael Fischer
Geschäftsführender Direktor
Zentrum für Populäre Kultur und Musik
michael.fischer@zpkm.uni-freiburg.de
Tel. +49 (0) 761 / 203-95281