Überraschen und überzeugen
Freiburg, 27.09.2017
Ob per Smartphone, Tablet oder PC: Mit dem Debat-O-Meter können Zuschauerinnen und Zuschauer während eines TV-Duells die teilnehmenden Politikerinnen und Politiker sowie deren Aussagen bewerten – über die Tasten „Doppel-Plus“, „Plus“, „Minus“ und „Doppel-Minus“. Ein Team um den Politikwissenschaftler Prof. Dr. Uwe Wagschal und den Informatiker Prof. Dr. Bernd Becker von der Universität Freiburg hat die App entwickelt und sie bei den TV-Duellen zu den wichtigsten Wahlen des Jahres 2017 in Deutschland eingesetzt: den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und im Saarland sowie der Bundestagswahl. Nicolas Scherger hat sich bei Uwe Wagschal nach den Resultaten erkundigt.
Das Debat-O-Meter kann ein hilfreiches Tool für die Wahlentscheidung sein, sagt Uwe Wagschal. Foto: Patrick Seeger
Herr Wagschal, wie viele Menschen haben sich bisher am Debat-O-Meter beteiligt?
Uwe Wagschal: Bei den drei TV-Debatten zur Bundestagswahl hatten wir insgesamt 65.000 Teilnehmende, allein beim Duell zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Martin Schulz waren es mehr als 40.000. Im Vergleich zu den Landtagswahlen war das eine enorme Steigerung: Dort hatten wir das beste Ergebnis in Schleswig-Holstein – mit 860 Teilnehmenden.
Welche Themen haben beim Publikum besonders den Nerv getroffen?
Flüchtlingsdebatte und das Thema innere Sicherheit haben besonders viel Zustimmung bei den einen, Ablehnung bei den anderen hervorgerufen. Beim TV-Duell Merkel-Schulz kamen noch die Außenpolitik und dort vor allem die Türkei dazu. Über Rente wurde zwar ebenfalls diskutiert, und in der Vorbefragung haben die Leute es auch als wichtiges Thema genannt, aber es hat deutlich weniger Klicks hervorgerufen.
Welche Argumentationsmuster der Politiker wurden positiv bewertet?
Wir haben im Debat-O-Meter ein Tool, mit dem wir Kommunikationsstrategien messen, aber diese Daten haben wir noch nicht ausgewertet. Auf die Schnelle kann man sagen: Die meisten Ausschläge gab es bei überraschenden Aussagen. Am stärksten gezogen hat die Aussage von Schulz, wenn er Bundeskanzler werde, werde er die Beitrittsverhandlungen der Türkei zur Europäischen Union beenden. Das war der Knaller des Abends – und einer der wenigen Momente, in denen er Merkel einmal direkt angegriffen hat.
Es kommt also gut an, wenn die Politiker miteinander diskutieren und nicht nur auf Fragen der Moderatorinnen und Moderatoren antworten.
Ja, und wir haben in der letzten Debatte vor der Bundestagswahl damit begonnen, auch die Moderation bewerten zu lassen. Die öffentlich-rechtlichen Sender behaupten natürlich, ihre Moderatoren seien neutral, aber die Zuschauer sehen das offensichtlich anders. Sie hatten das Gefühl, dass die Politiker am linken und rechten Rand – Sahra Wagenknecht von der Linken und Alexander Gauland von der AfD – benachteiligt waren, weil sie oft unterbrochen wurden.
Sie haben die Teilnehmenden unter anderem gefragt, welche Partei sie bevorzugen und vermutlich wählen. Entscheidet diese Prägung nicht darüber, wie die Nutzer die Politiker bewerten?
Wir sehen schon, dass es Parteisoldatinnen und -soldaten gibt, die ausschließlich ihrer Favoritin oder ihrem Favoriten die Treue halten. Aber der Mehrheit der Teilnehmenden bewertet die Politiker durchaus differenziert – also einige Argumente positiv, andere negativ. Das ist ein gutes Zeichen, weil wir es dann offensichtlich nicht mit starrem Machtdenken zu tun haben, sondern die Menschen sich mit den Inhalten auseinandersetzen.
Mit dem Debat-O-Meter können Zuschauer bei einer Fernsehdebatte die Politiker live bewerten. Quelle: Debat-O-Meter
Wie repräsentativ war der Kreis der Teilnehmenden?
Nach Bundesländern waren wir bei den TV-Debatten zur Bundestagswahl ziemlich gut aufgestellt. Allerdings hatten wir überdurchschnittlich viele Männer, jüngere Menschen und höher Gebildete. Politisch waren die Debatten in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und das Duell Merkel-Schulz recht ausgeglichen, aber wir haben in der ersten Debatte zur Bundestagswahl sehr viel Zustimmung für die AfD, in der dritten für die Linke gesehen. Solche Faktoren gleichen wir in der Statistik aus, indem wir die Personen unterschiedlich gewichten.
Wie verhalten sich die Zuschauer – wenige, ausgewählte Klicks an besonders wichtigen Stellen oder Dauerfeuer zugunsten des bevorzugten Politikers?
Diejenigen, die Dauerfeuer machen, können wir in der Analyse leider nicht berücksichtigen, weil sie die Statistik vollkommen verzerren würden. Von den 40.000 Teilnehmenden beim TV-Duell Merkel-Schulz waren das etwa 400.
Welchen Wert messen Sie TV-Debatten generell bei?
Die TV-Debatte Merkel-Schulz hatte mehr als 16 Millionen Zuschauer. Sie war das Hauptereignis des Wahlkampfs, auch wenn sie angesichts des Wahlausgangs offensichtlich beiden nichts genützt hat. Laut unserer Umfrage sagen etwa elf Prozent der Wahlberechtigten, dass die TV-Debatten für ihre Wahlentscheidung wichtig gewesen seien. Das ist also eine relevante Größe.
Was kann das Debat-O-Meter in diesem Zusammenhang bewirken?
Es ist aus unserer Sicht ein Tool, mit dem wir dazu beitragen können, Interesse an Politik zu wecken oder zu steigern. Eine Neuerung ist, dass die Teilnehmenden ein Feedback bekommen, wie sie die Politiker zu den einzelnen Themenblöcken bewertet haben – ähnlich wie beim Wahl-O-Mat. Wir werden jetzt unter anderem untersuchen, welchen Einfluss die Bewertung während der TV-Debatte auf die spätere Wahlentscheidung hat.
Mitmachen
Das Debat-O-Meter kommt auch beim TV-Duell zur Landtagswahl in Niedersachsen zum Einsatz: Sendetermin ist der 10. Oktober 2017 ab 21 Uhr, die Wahl selbst findet am 15.Oktober statt.
www.debatometer.com