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Tod auf den Tag genau?

Warum Forschende schon länger am Zerstörungsdatum der antiken Stadt Pompeij zweifeln

Freiburg, 06.12.2018

Tod auf den Tag genau?

Foto: BlackMac/Fotolia

Von einem „Sensationsfund“ war kürzlich in Medien die Rede und davon, dass die Geschichtsbücher umgeschrieben werden müssten: Die antike Stadt Pompeji sei später zerstört worden, als bisher gedacht. So sensationell sei der Fund aber gar nicht, sagt Dr. Jens-Arne Dickmann. Zweifel am bisher verbreiteten Zerstörungsdatum hätten er und andere Forschende auch schon früher geäußert. Dickmann, Kurator der Archäologischen Sammlung der Universität Freiburg, kennt Pompeji seit den späten 1980er Jahren. Thomas Goebel hat mit ihm über Datierungsfragen und die anhaltende Faszination von Pompeji gesprochen.


Erstarrt für die Ewigkeit: Durch Gipsabgüsse der Hohlräume im erkalteten Gestein konnten Forscher die Opfer des Vulkanausbruchs visualisieren. Foto: BlackMac/Fotolia

Herr Dickmann, bisher galt der 24. August 79 n. Chr. als der Tag, an dem die antike Stadt Pompeji vom Vesuv verschüttet wurde. Vor einiger Zeit berichteten die Medien, es sei doch der 24. Oktober gewesen – warum?

Jens-Arne Dickmann: Es gibt einen Neufund, der einen späten Terminansatz für den Ausbruch des Vesuvs unterstützt. Aber die Überlegung, dass der Ausbruch erst zwei oder sogar drei Monate später stattgefunden haben könnte, ist schon viel älter – das ist mitnichten so neu, wie es behauptet wird. Ich habe selbst ein Büchlein zu Pompeji publiziert und in der dritten Auflage, die 2017 erschienen ist, auch schon einen späten Datierungsansatz vertreten.

Was ist das für ein Neufund?

Seit zwei Jahren werden bislang unausgegrabene Areale der Stadt systematisch freigelegt. Dabei hat man im Spätsommer 2018 einen kleinen Kohle-Graffito auf einer Wand gefunden: eine Art Kritzelei, die ein Datum im Oktober enthalten könnte. Da Kohleschrift flüchtig ist, vermutet man, dass die Schrift nicht Jahre alt sein kann, sondern aus dem Jahr der Zerstörung stammen muss.

Als voriges Jahr Ihr Buch erschien, kannten Sie dieses Graffito ja noch gar nicht. Warum haben Sie trotzdem schon für eine Zerstörung Pompejis erst im Herbst des Jahres 79 argumentiert?

Weil viele archäologische und historische Zeugnisse Zweifel am 24. August erlauben. In der Regel wird nicht genau beschrieben, wie wir überhaupt auf dieses Datum kommen. Man verweist nur auf einen Brief von Plinus dem Jüngeren, der die Zerstörung beschreibt – aber dieser Brief ist gar nicht im Original überliefert, sondern nur in verschiedenen mittelalterlichen Abschriften, die nicht alle identisch sind. Und die Handschrift, die als die verlässlichste gilt, weist dort, wo das Zerstörungsdatum Pompejis genannt wird, eine Lakune auf, also eine Leerstelle: Der Monat ist dort nicht eindeutig zu lesen, auch der August ist also nur eine Annahme.

Ausgrabungen haben Reste des Forums in Pompeij freigelegt.
Foto: Cezary Wojtkowski/Fotolia

Warum wurde dann bisher immer wieder dieses Datum genannt?

Das ist eine Unschärfe bei der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnis in die Öffentlichkeit. Man hat das bereitwillig so weitergegeben, Pompeji ist ja sehr populär...

...da macht sich ein konkreter Tag natürlich gut.

Ja, gerade in der medialen Vermittlung: Man kann vermeintlich unmittelbar in die Geschichte hineinschauen, auf den Tag genau.

Was spricht aus Ihrer Sicht denn für eine Zerstörung Pompejis erst im Herbst 79?

Einzelne Beobachter haben sich schon bei Ausgrabungen im 19. Jahrhundert gewundert, dass in den Vorhallen der Häuser bronzene Heizbecken für Holzkohle standen, die offensichtlich benutzt wurden, weil es kalt war. In jüngeren Grabungen sind zunehmend Früchte gefunden worden, die erst im Spätsommer oder frühen Herbst geerntet wurden, wie etwa Wein. Darunter sind auch Importwaren wie Datteln – es ist unwahrscheinlich, dass man Ende August in Pompeji schon über frische Datteln aus Syrien verfügte, die ja vorher geerntet und verschifft worden sein mussten. In Pompeji sind auch zwei römische Münzen gefunden worden, auf denen wohl eine Magistratur für Kaiser Titus genannt wird, von der man aufgrund anderer Quellen vermuten kann, dass er sie erst Mitte September 79 erhalten hat.

Klingt nach Detektivarbeit.

Absolut. Wir verfügen nicht über Zeugnisse, die uns sofort das beantworten, was wir wissen wollen. Wir müssen immer kombinieren.

Würde ein späteres Zerstörungsdatum den Blick auf Pompeji verändern?

Soweit ich es erkennen kann, eher nicht. Es geht ja nur um zwei oder drei Monate – für das Verständnis etwa der Stadtgesellschaft oder des Städtebaus hat das keine gravierenden Folgen. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass das Datum für bestimmte Detailuntersuchungen einmal Auswirkungen haben könnte. Wir untersuchen zum Beispiel immer genauer bestimmte organische Reste und versuchen so, Erkenntnisse über Ernährungsgewohnheiten und saisonale Einflüsse zu gewinnen. Da könnte das Datum irgendwann einmal eine Rolle spielen.

Jens-Arne Dickmann forscht seit den 1980er Jahren immer wieder in Pompeij und wird im Frühjahr 2019 für ein neues Projekt in die antike Stadt reisen. Foto: Jürgen Gocke

Sie waren gerade in Pompeji und werden im Frühjahr 2019 wieder dort sein – was interessiert Sie immer noch daran?

Ich bin zurzeit Fellow am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) und kann seit Langem wieder forschen. Das ist für mich ein riesiger Glücksfall. Ich will ein kleines Buch zu Fragen des städtischen Verkehrs schreiben. Das Thema ist bislang nicht wirklich untersucht.

War Verkehr schon vor 2.000 Jahren ein städtisches Reizthema?

Mit Sicherheit. Wir können eine ganze Reihe von Stellen in Pompeji fassen, an denen man nachträglich in den Verkehrsfluss eingegriffen hat, zum Beispiel, indem Straßen stark verengt oder Poller aufgestellt wurden – eventuell von Privatleuten, die sich vom Verkehr gestört fühlten.