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Tierische Landschaftspfleger

Am Freiburger Schlossberg weiden Schafe und Ziegen – und fördern damit Forschung, Lehre und Naturschutz

Freiburg, 31.08.2017

Tierische Landschaftspfleger

Foto: Jürgen Gocke

„Hallo", ruft Nicolas Schoof, hängt zwei Seile des Elektrozauns aus und betritt die Weide – ein Hang am Freiburger Schlossberg, im unteren Teil Wiese, oben Wald. Stille. Dann streckt eine schwarze Ziege den Kopf zwischen den Bäumen hervor, schaut sich kurz um und stolziert den Hang herunter, dem Besucher entgegen. Frauke ist das Alphatier. Prompt folgen ihr nach wenigen Augenblicken vier weitere Ziegen. „Das ist der Herdentrieb", sagt Schoof und schmunzelt. Doch damit hat der Doktorand an der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Universität Freiburg noch nicht all seine Schützlinge um sich geschart. Also weiter in den Wald.

Die Tiere haben an vielen Bäumen die Rinde abgenagt und kleine Triebe abgefressen. Langfristig könnte dort wieder Lebensraum für Arten entstehen, denen es hier derzeit noch zu dunkel ist.
Foto: Jürgen Gocke

Im Wald befindet sich eine alte Pagode aus der Zeit, in der das Gelände noch ein Park war. Im Schatten auf dem kühlen Stein fläzen sich drei Schafe, gemütlich wiederkäuend. Damit sind sie komplett, die acht Landschaftspfleger im Dienst von Naturschutz, Forschung und Lehre: Ein Kooperationsprojekt mit der Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbandes, der die Fläche gehört, soll im Rahmen der Lehre in den kommenden Jahren zeigen, wie sich Flora und Fauna infolge der Beweidung langfristig verändern. Bei den Tieren handelt es sich um Waldschafe, Tauernschecken und eine Nera-Verzasca-Ziege – allesamt vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen.

Im Wald befindet sich eine alte Pagode aus der Zeit, in der das Gelände noch ein Park war.
Foto: Jürgen Gocke


Lieber Brombeeren als Brennnesseln

„Ich engagiere mich für den Naturschutz und hatte die Idee, auch an der Universität Freiburg ein Projekt anzustoßen", sagt Schoof. Den passenden Partner fand er im Juni 2016: Dr. Dirk Sichelschmidt, als stellvertretender Direktor der Fortbildungs-Akademie unter anderem für deren Qualitäts- und Umweltmanagement zuständig, war von dem Vorhaben sofort angetan. Zudem unterstützte der Studierendenrat der Universität Freiburg das Beweidungsprojekt mit 1.700 Euro und finanzierte damit den mit Solarzellen betriebenen Elektrozaun sowie den Kauf der Tiere von einem Abenteuerhof aus dem Neckartal.

Noch vor deren Ankunft erfassten Studierende die Vegetation auf der Fläche, um spätere Vergleiche zu ermöglichen. Die Wiese mit hüfthohem Gras, Moos und nahezu komplett bedecktem Boden befand sich schon im Übergang zum Wald – wäre sie sich selbst überlassen worden, wären in wenigen Jahren Büsche und Bäume gewachsen. Im Wald wiederum fanden sich Baumhöhlen und Totholz, die wertvolle ökologische Nischen bieten, aber insgesamt war es dort für viele Arten zu dunkel.

Im April 2017 war es schließlich so weit. „Es war schön, zu beobachten, wie die Tiere gleich alles auf dem Gelände erkundet haben", erzählt Sichelschmidt. Besonders machten sie sich über die Brombeeren her, weniger beliebt waren Brennnesseln. Und schon nach wenigen Wochen sind deutliche Unterschiede erkennbar: Auf der Wiese wirkt das Gras wie vom Rasenmäher gestutzt, der Boden ist durch Huftritte aufgelockert, sodass auch Samen anderer Pflanzen wieder eine Chance haben. Vermutlich werden Brombeeren und Moose weiter zurückgehen und stattdessen Blütenpflanzen wachsen, die für Insekten interessant sind. Diese wiederum könnten Tiere wie Schlingnattern, Mauereidechsen oder Fledermäuse anlocken. So würden naturschutzfachlich besonders wertvolle Pflanzen- und Tierarten, die wohl ursprünglich schon einmal hier beheimatet waren, auf die Fläche zurückkehren.


Belohnung vom Baum: Nicolas Schoof, Initiator des Beweidungsprojekts, erfreut zwei Tauernschecken mit einem Leckerbissen.
Foto: Jürgen Gocke

Im Wald wiederum haben die Tiere an vielen Bäumen die Rinde abgenagt und kleine Triebe abgefressen. Langfristig könnte dort wieder Lebensraum für Arten entstehen, denen es hier derzeit noch zu dunkel ist – wie Aronstab, Perlgras, Kaisermantel oder Waldbrettspiel. „Das Gesetz, dass im Wald ohne Sondergenehmigung keine Beweidung stattfinden darf, ist aus Sicht des Naturschutzes ein echtes Problem", sagt Schoof. „Die Tiere fördern die Artenvielfalt auf natürliche Weise – das ist viel besser als jede Biotoppflege mit der Maschine." Die langfristigen Veränderungen von Flora und Fauna will er in den kommenden Semestern in Lehrforschungsprojekten gemeinsam mit Studierenden untersuchen. Außerdem sind weitere Maßnahmen zum Naturschutz vorgesehen, an denen sich Studierende ebenfalls beteiligen können: Möglichkeiten wären unter anderem ein Amphibienteich, Steinhaufen für Eidechsen oder ein Bienenhotel.

Erlebnisraum für Gäste

Und damit nicht genug. „Das Vorhaben schafft einen neuen Erlebnisraum für die Gäste der Fortbildungs-Akademie und alle Menschen aus Freiburg und der Region", sagt Schoof. Besonders deutlich zeigt sich das bisher an der Akademie selbst, die jährlich etwa 24.000 Tagungs- und Übernachtungsgäste begrüßt. Sie zählt zur Pilotgruppe von fünf Caritas-Organisationen, die für ihr Umweltmanagement im Juni 2017 das EMAS-Zertifikat der Europäischen Union erhalten haben – das Beweidungsprojekt spielt dabei als Beispiel für die schonende, nachhaltige Bewirtschaftung eines Grundstücks eine wichtige Rolle. „Die Tiere kommen bei unseren Gästen ebenso wie bei unseren Beschäftigten sehr gut an und lösen sehr unterschiedliche Reaktionen aus", berichtet Sichelschmidt. Unter anderem plant er eine Befragung der Gäste, um genauere Informationen über deren Umweltwahrnehmung zu erheben.

„Die Weide ist ein kleines Beispiel, mit dem sich die naturschutzfachlich wie kulturell ungemein wertvolle, aber mühsame und ökonomisch kaum entlohnte Arbeit von Schäfern und Ziegenhirten veranschaulichen lässt", sagt Schoof. Um dies zu vermitteln, möchte das Team Informationstafeln für Besucherinnen und Besucher aufstellen. Zudem sei das Projekt ein Juwel für die Umweltpädagogik: „Unsere Tiere bauen Beziehungen zu Menschen auf und wirken beruhigend, sind aber auch in ihrem Temperament ganz unterschiedlich."

Neugierig und zutraulich präsentiert sich dieses Schaf, ebenso wie die anderen Tiere auf der Beweidungsfläche, bei einem Vor-Ort-Pressetermin im Juni 2017.
Foto: Jürgen Gocke

Schaf Lewi etwa, ein verschmuster Rabauke, knufft Menschen gerne mit dem Kopf leicht ans Bein, um zu signalisieren: Ich will gekrault werden. Ziege Franz dagegen möchte sich lieber nicht anfassen lassen – ist aber sonst so neugierig, dass er an allem herumknabbert, sogar an Eiben, die für ihn eigentlich giftig sind. Ideen, um die Begegnung von Mensch und Tier zu fördern, reichen von der Möglichkeit für Studierende, das Projekt als Teilzeithirten über ein volles Semester zu begleiten, bis hin zu einem erlebnis- und umweltpädagogischen Angebot für Kinder, berichten Schoof und Sichelschmidt: „Die Begeisterung und der Wille, das Potenzial dieses Projekts auszuschöpfen, sind bei allen Beteiligten groß."

Nicolas Scherger