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Schnelle Heliumatome

Experimentalphysiker Frank Stienkemeier untersucht rasante Energieübertragung

Freiburg, 01.07.2022

Rekordverdächtige 400 Femtosekunden: In dieser unglaublich kurzen Zeitspanne hat der Experimentalphysiker Prof. Dr. Frank Stienkemeier eine Energieübertragung zwischen zwei Heliumatomen erreicht. Und zwar mit Nanoblasen in Nanotröpfchen und XUV-Lasern. Laut bisheriger gängiger Theorie müssten solchen Übertragungen zehnmal länger dauern.

Heliumatome übertragen untereinander in unglaublich kurzen Zeitspannen Energie. Foto: Aleksander/Adobe Stock

„Kann doch gar nicht sein“, staunte Prof. Dr. Frank Stienkemeier zunächst etwas ratlos. Der Experimentalphysiker vom Physikalischen Institut der Albert-Ludwigs-Universität hat Nanoblasen an zwei Heliumatomen erzeugt. Untereinander tauschten diese dann Energie zehnmal schneller aus als laut Theorie erwartet. Der Freiburger Forscher schickte seine Ergebnisse nach Barcelona/Spanien zu Forschenden. Sie entwickelten eine Theorie, woraufhin die Freiburger in einem Computermodell den blasenvermittelten Energietransfer berechnen konnten. „Damit ergab sich ein stimmiges Bild“, stellte Stienkemeier fest.

Dicht an dicht im Nanotröpfchen

Wie Atome Energie austauschen, ist nur zum Teil bekannt, was auch an der Geschwindigkeit liegt. Kürzer als ein Wimpernschlag dauert der Prozess schon bei nicht-blasierten Atomen. „Vereinfacht kann man sich das so vorstellen, dass ein Atom seine Energie wie einen Ball an ein anderes übergibt“, erklärt Stienkemeier. Für seine Arbeit mit den Nanoblasen hat er ein Modellsystem verwendet, die so genannten Helium-Nanotröpfchen. Darin befinden sich nur Heliumatome. Das Tröpfchen ist mit einem Zimmer vergleichbar, in dem sich statt Menschen viele dieser Atome dicht an dicht drängen. Würde ein Helium hier Energie an ein bestimmtes zweites übergeben wollen, müsste sich der Geber zum Empfänger hin quetschen. Je dichter das Gedränge ist, desto mühseliger wird es.

Alle Tröpfchen-Heliumatome befinden sich im Grundzustand: mittendrin der Kern, den zwei Elektronen auf Normalbahn umschwirren. So hat Helium keine Lust, Energie weiterzugeben. Darum feuert Stienkemeiers Team mit einem XUV-Laser auf die Tröpfchen. XUV steht für extreme ultraviolette Strahlung. Ihre energiereichen Photonen regen einzelne Heliumatome elektronisch an. Dann klettert eines der Elektronen auf eine höhere Bahn: Die Elektronenhülle der angeregten Heliumatome plustert sich auf. Das angeregte Helium wird „dicker“ und jedes bildet eine Privatblase. So wächst die Bedrängnis im Helium-Zimmer, dem Nanotröpfchen.

Abneigung der Atome

„Helium mag keine fremden Elektronen“, erkläutert Stienkemeier. Schon unangeregte Heliumatome halten möglichst viel Abstand zueinander. Die XUV-Anregung erhöht diese Abneigung enorm und die kleineren unangeregten Heliumatome schieben die angeregten, aufgeblasenen Atome zusammen. „Zur Energieübertragung stehen sie plötzlich direkt nebeneinander.“ Nun liegt nichts mehr zwischen den Atomen, das den Transfer behindert. Von einem Heliumatom geht Energie über auf ein anderes. Dadurch ist dort so viel Energie gebündelt, dass ein Elektron herausgeschossen wird. Und das dauert gerade mal 400 Femtosekunden – also vier Mal den 1.000.000.000.000.000sten Teil einer Sekunde.

Das war aber eben, nach den gängigen Theorien, viel zu flott. Theoretische Physikerinnen und Pysiker um Prof. Dr. Manuel Barranco der Universität Barcelona lösten den Widerspruch auf. Sie entwickelten eine Theorie, wie sich Heliumblasen im Computer simulieren lassen. Damit konnte das Team um Stienkemeier in einer Simulation den blasenvermittelten Energietransfer modellieren. Und damit fügte sich alles zu einer runden Sache. „Das war eine tolle Leistung und Zusammenarbeit,“ lobt der Freiburger Forscher.

Experimentalphysiker Frank Stienkemeier untersucht die rasante Energieübertragung von Heliumatomen mit Nanoblasen in Nanotröpfchen und XUV-Lasern. Foto: Universität Freiburg

Präzise Kurzzeitmessung mit Sinn

Sein Team hat im Labor am Physikalischen Institut die Experimentierstation für die Versuche gebaut, in denen die Laserstrahlen die Heliumtröpfchen treffen. Die Station umfasst auch die Quelle, die vor Experimenten die Nanotröpfchen herstellt. Ebenso enthält sie Detektoren für die Elektronen, die im Zug der Energieübertragungen frei werden. „Die Energie dieser Elektronen müssen wir sehr genau messen“, sagt Stienkemeier. Nur dieser Wert verrät, dass es sich um die richtigen, gesuchten Teilchen handelt. Inzwischen ist die gesamte Station fester Bestandteil einer Großforschungsanlage in Italien. Dort steht auch der XUV-Laser. Als Ergebnisse werfen die Experimente Zahlenkolonnen ab. Sie dienen als Vergleichswerte für die Theorie und Simulation, die, wie erwähnt, wieder woanders läuft.

„Wir wollen damit zeigen, dass solche Experimente mit Nanoteilchen und präziser Zeitmessung möglich sind und etwas Sinnvolles dabei rauskommt“, sagt der Physiker. „Bei Energieübertragungen zwischen Atomen und Molekülen müssen wir auch das Verhalten der Umgebung und ihre Dynamik mit einbeziehen.“ Die unangeregten Heliumatome im Nanotropfen beeinflussen den Ablauf der Energieübertragung, obwohl sie gar nicht direkt daran teilnehmen Solche Transfers kommen etwa vor, wenn Röntgenlicht Schäden an biologischen Geweben verursacht. Doch Stienkemeier ist Grundlagenforscher. Ihn reizt es, ultrakurze Vorgänge zeitlich immer feiner aufzulösen: „Dafür brauchen wir sehr kurze Laserimpulse.“ Die könnten auch interessant sein bei Quantentechnologien. „Mit denen verbinden sich Phänomene wie Interferenz und Verschränkung“, sagt der Physiker, „Die sind noch Neuland bei der Forschung im Kurzzeitbereich mit XUV-Laser.“

Immer kürzere Zeitzonen

Dafür werden wohl erneut Großforschungsanlagen und -kooperationen nötig sein. „Solche Zusammenarbeiten dauern manchmal sehr lang“, sagt Stienkemeier. Seine zwei Koordinatoren des Experiments mit den Nanoblasen, die damaligen Postdoktoranden Dr. Aaron C. LaForge und Dr. Marcel Mudrich, sind bereits fort, der eine in den USA, der andere als Professor in Dänemark. Doch in der rund 25-köpfigen Forschungsgruppe der Freiburger Experimentalphysikers arbeiten aussichtsreiche Nachwuchskräfte. Selbstverständlich haben Stienkemeier und sein Team vor, in kürzere Zeitzonen vorzudringen: Mit noch präziseren und schnelleren Methoden wollen sie sich bemühen, weitere Vorgänge zu verstehen, die Mensch und Natur ausmachen.

Jürgen Schickinger