Schneiden in Leiharbeit
Freiburg, 19.06.2018
Mit CRISPR/Cas-Systemen, so genannten Genscheren, lässt sich das Erbgut eines jeden Organismus – sei es von Pflanzen, Tieren oder Menschen – verändern, untersuchen und auch optimieren. Eine Freiburger Arbeitsgruppe aus der Genetik und Bioinformatik erforscht an Cyanobakterien, welche Möglichkeiten das Verfahren bietet. Dabei haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jüngst eine überraschende Entdeckung gemacht: In dem Modellorganismus leihen sich CRISPR/Cas-Systeme die fleißigen Enzyme als Werkzeuge für ihre Arbeit aus.
CRISPR/Cas kann an jede denkbare Zielsequenz der DNA geführt werden und dort durch Schneiden einen Doppelstrangbruch herbeiführen. Der natürliche Reparaturmechanismus der Zelle behebt den Schaden sogleich – doch bietet man gezielt veränderte DNA-Vorlagen an, können die gewünschten Abschnitte in das Erbgut eingebaut werden.
Foto: Gernot Krautberger/Fotolia
Seit mehr als drei Milliarden Jahren bevölkern sie die Welt: Cyanobakterien kommen meist dort vor, wo es Licht gibt – in Wüstengebieten, in Flüssen und Seen, aber auch an Hauswänden und in Aquarien. Die Bakterien sind kleine Wunderwerke: „Sie sind die einzigen Mikroorganismen, die durch ihr Chlorophyll zur oxygenen Photosynthese fähig sind“, erklärt der Freiburger Molekularbiologe Prof. Dr. Wolfgang Hess. Mit anderen Worten: Die Winzlinge produzieren Sauerstoff. Das macht sie zu besonders geeigneten Modellorganismen. „Doch auch diese Bakterien können sich Viren einfangen und krank werden“, sagt Hess. Gemeinsam mit der Doktorandin Juliane Behler erforscht der Molekularbiologe, welche Möglichkeiten das CRISPR/Cas-System in Anwendung auf Cyanobakterien bereithält. „CRISPR/Cas-Systeme sind extrem vielseitig und bieten für Biologen die besten Werkzeuge, auf unterschiedliche Arten in die Steuerung von biologischen Prozessen eingreifen zu können“, betont der Forscher.
Ein Cyanobakterium ist in der Lage, sich ein einst eingefangenes Virus zu merken und beim nächsten Infekt zu zerstören. Es erntet sozusagen die virale DNA und integriert sie ins eigene Erbgut, wo sie einen festen Platz bekommt. Im CRISPR-Gedächtnis finden sich regelmäßig auftretende Wiederholungssequenzen. Zwischen diese werden kleine zerschnittene DNA-Schnipsel des Virus wie Bücher in ein Regal geschoben. Die Zelle produziert RNA-Gegenstücke zur Erbinformation des Virus, die sich mit den Cas-Proteinen zu Kontroll- und Schneideeinheiten verbinden. Diese Teams gehen in der Zelle auf Patrouille und erkennen anhand der archivierten DNA, welcher Erreger erneut zuschlägt. Die Cas-Schere beginnt, seine DNA zu zerschneiden. Dieses schlaue System kann zwischen gefährlich – wird abgebaut – und ungefährlich – wird nicht angegriffen – unterscheiden.
Genome Editing leichtgemacht
CRISPR/Cas kann an jede denkbare Zielsequenz der DNA geführt werden und dort durch Schneiden einen Doppelstrangbruch herbeiführen. Der natürliche Reparaturmechanismus der Zelle behebt den Schaden sogleich – oft wird alles wie vorher. Doch bietet man gezielt veränderte DNA-Vorlagen an, können die gewünschten Abschnitte in das Erbgut eingebaut werden. Das Ergebnis ist einer Mutation ähnlich, nur viel kontrollierter. Bei natürlichen Mutationen löst etwa UV-Strahlung zahlreiche Brüche im Erbgut aus, bei der CRISPR/Cas-Methode hingegen geschieht das mit zuvor unerreichter Genauigkeit an der gewünschten Stelle. Das Editieren von Genomsequenzen funktioniert damit – obwohl es aus Bakterien stammt – prinzipiell in allen Zellen und Organismen, auch bei Menschen.
In dem Fotobioreaktor befinden sich Cyanobakterien, die in der Lage sind, sich ein eingefangenes Virus zu merken und beim nächsten Infekt zu zerstören. Dem Freiburger Forschungsteam dienen sie als Modellorganismus.
Foto: Dominik Kopp
Der Umbau von DNA jedoch ist nur eine Facette von vielen. „CRISPR/Cas ist eins der vielfältigsten in der Biologie eingesetzten Systeme, die wir überhaupt kennen“, sagt Hess. Für ihre Versuche nutzen die Forscherinnen und Forscher einen Vertreter der Cyanobakterien: Das Modell Synechocystis wächst in Erlenmeyerkolben und Photobioreaktoren zu dunkelgrünen oder blaugrünen Kulturen heran und bietet eine besonders hohe Zelldichte und Ausbeute an Stoffen, die durch Photosynthese gebildet werden.
Ein Enzym geht fremd
Synechocystis ist für eine Überraschung gut: Bei einem der CRISPR-Systeme, die bei dem Modellorganismus angewendet werden, entdeckten die Forscher, dass es zusammen mit einem bestimmten Enzym funktioniert, das dort eigentlich nicht hingehört. Das Enzym heißt RNase E. Mit bioinformatischen Methoden stellte die Gruppe fest, dass das Enzym, das normalerweise mit CRISPR arbeitet, nicht mehr da war. „Stattdessen hat das CRISPR-System diesen neuen Typ RNase für seine Zwecke rekrutiert“, erklärt Hess. Man weiß, dass es Gene gibt, die quasi zur Grundausstattung eines Organismus gehören und sich seit Milliarden von Jahren in Aufbau und Funktion gehalten haben. Die RNase E ist ein fester Bestandteil im Cyanobakterium und hat festgelegte Aufgaben: „Sie ist ein sehr altes, etabliertes Schlüsselenzym, dessen Funktion in der Genregulation bereits gut erforscht ist.“ Da das passende Enzym nun aber fehlte, bediente sich CRISPR der RNase, die eigentlich im Cyanobakterium unter anderem für den Abbau von überschüssiger RNA zuständig ist. Das Enzym verhält sich nun aber sehr ungewöhnlich: Es schneidet beim neuen Auftraggeber die Abschnitte aus der CRISPR-RNA, die für die Viruserkennung zuständig sind und die mit dem Cas-Protein zum Abwehrkomplex fusionieren.
Der Funktionswandel der RNase E hat die Forscher zu neuen Ideen inspiriert: Sie möchten die Bakterien in Photobioreaktoren im großen Umfang Substanzen produzieren lassen. Denkbar wären Ethanol, Biokraftstoffe oder Nahrungsergänzungsmittel in Form von Carotinoiden. Solche Produzentenstämme sind für Virusinfektionen äußerst anfällig. Mit dem neuen Wissen allerdings lässt sich die CRISPR-Aktivität in der Zelle besser steuern. Damit steigt auch die Chance, dass die Abwehrsysteme stabil funktionieren und bei Bedarf sofort anspringen, betont Hess: „Bisher gibt es weltweit kein erfolgreiches System, das die Stämme gegenüber Viren resistent macht.“ Vielleicht wird es in den Laboren der Freiburger Forscher entstehen.
Stephanie Heyl