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Ruft der jetzt schon wieder an?

Wie Arbeitnehmer mit der ständigen Erreichbarkeit umgehen können – und wie ein Unternehmen die Situation verbessern kann

Freiburg, 07.09.2017

Ruft der jetzt schon wieder an?

Foto: apopium/Fotolia

Rund um die Uhr erreichbar sein, sich immer schneller auf wechselnde Anforderungen einstellen: Kein Wunder, dass psychische Erkrankungen inzwischen zu den häufigsten Ursachen für Fehltage in Betrieben zählen. Dagegen lässt sich etwas tun. Anita Rüffer sprach mit den Freiburger Wirtschaftspsychologen Dr. Nina Pauls und Dr. Christian Schlett. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen anderer Universitäten haben sie in zwei Forschungsprojekten Instrumente zur Förderung der psychischen Widerstandskraft entwickelt und mit Unternehmen neue Spielregeln für den Umgang mit der ständigen Erreichbarkeit erprobt.

Foto: apopium/Fotolia

Lassen Sie im Urlaub oder am Wochenende Ihr Handy ausgeschaltet?

Christian Schlett: Mein privates Handy ist für dienstliche E-Mails gar nicht eingerichtet.

Warum ist es wichtig, in der Freizeit für den Arbeitgeber unerreichbar zu sein?

Nina Pauls: Wir wissen aus unserer Forschung, dass es sonst schwierig wird, gedanklich abzuschalten und zwischen Arbeit und Privatleben zu trennen.

Schlett: Wenn ich immer auf Abruf wäre und Bedenken hätte, ob vielleicht ein Anruf oder eine Mail kommt, könnte ich mich schlechter auf meine Freizeit einlassen. Mit der Folge, dass ich mich schlechter erholen und von der Arbeit regenerieren könnte. Ich wäre dann weder hier noch dort.

Nina Pauls und Christian Schlett erproben neue Spielregeln für den Umgang mit der ständigen Erreichbarkeit.
Foto: Patrick Seeger

Manche haben vielleicht Angst vor Nachteilen und bleiben in einer Art vorauseilendem Gehorsam immer auf Empfang.

Pauls: Das darf und wird ein Arbeitgeber gar nicht erwarten. Aber es hängt von der Unternehmenskultur ab, ob so ein Gefühl begünstigt wird. Auch der eigene Leistungsanspruch spielt eine Rolle: Weil man die Arbeit gut machen will, arbeitet man eben zu Hause weiter, wenn man es während der regulären Arbeitszeit im Betrieb nicht schafft. Das ist häufig ein Zeichen von Überlastung.

Kann das nicht auch Vorteile haben, sich die Zeit zwischen Arbeits- und Privatleben frei einteilen zu können?

Schlett: Nur, wenn ich selbst darüber bestimmen kann. Wenn ich immer ein Getriebener meiner Arbeit bin, können Stress, Burnout und körperliche Probleme wie Schlaflosigkeit dabei herauskommen.

Welche praktischen Lösungen sind Ihnen eingefallen?

Pauls: Wir haben gemeinsam mit ausgewählten Betrieben Regelungen erarbeitet, wie Beschäftigte besser zwischen Arbeit und Freizeit trennen können. Bevor neue Projekte begonnen werden, schaut ein Unternehmen beispielsweise, ob überhaupt Kapazitäten dafür frei sind, sodass niemand gezwungen ist, Arbeit mit nach Hause zu nehmen.

Schlett: Unsere Studien haben gezeigt, dass zwei Drittel der Beschäftigten nicht sicher sind, ob und in welchem Zeitraum sie auf betriebliche Anfragen in der Freizeit reagieren müssen. Wir haben daran gearbeitet, diese Erwartungen zu klären: Wenn etwas wirklich dringend ist, kann per SMS darum gebeten werden, eine wichtige Mail zu lesen. Auch wenn eine Person dreimal versucht hat, eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter zu erreichen, kann man davon ausgehen, dass es wirklich wichtig ist, und zurückrufen.

Kann sich der einzelne Beschäftigte darüber hinaus psychisch besser gegen überfordernde Arbeitsbedingungen wappnen?

Pauls: Ja. In Kooperation mit dem Freiburger Softwarehaus Haufe-Lexware haben wir ein webbasiertes Training entwickelt, das die psychische Widerstandskraft stärkt.

Diese so genannte Resilienz ist also nicht angeboren – man kann sie üben?

Schlett: Es gibt eine Grundveranlagung, aber es gibt Aspekte, die sich mit Blick auf die Arbeit gut trainieren lassen.

Welche?

Pauls: Wer im Arbeitsalltag oft zerstreut und geistesabwesend und damit für das Erledigen der wirklich wichtigen Dinge blockiert ist, kann von einem Achtsamkeitstraining profitieren. Bei angeleiteten Konzentrationsübungen auf unserer Internetplattform lernt man, sich selbst beim gedanklichen Abschweifen zu beobachten. Das bewusste Wahrnehmen ermöglicht eine bewusste Entscheidung: Mit dem Abschweifen aufhören und sich dem Eigentlichen zuwenden.

Schlett: Oder nehmen wir einen Kundenberater, dem ein unangenehmes Gespräch mit einem unzufriedenen Kunden bevorsteht. Statt zu verzagen, könnte er sich seine Stärken bewusst machen und sich erfolgreich bewältigte vergleichbare Situationen ins Gedächtnis rufen. Das stärkt seine Selbstwirksamkeit. Dazu gehört auch die Körperhaltung: Wer bei einem Vorstellungsgespräch mit hängenden Schultern auftritt, wird weniger Chancen haben als jemand, der offen und aufrecht auf sein Gegenüber zugeht.

Beschäftigte fit machen, damit sie noch höheren Arbeitsbelastungen gewachsen sind: Könnten Arbeitgeber das nicht auch missbrauchen?

Pauls: Das Training ist keine isolierte Maßnahme, sondern Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Dazu gehören auch Kurse zur gesunden Mitarbeiterführung.

www.resilire.de