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Recht, Freiheit, Friedensbewahrung

Die Bundeswehr braucht neue Vorbilder, sagt der Historiker Wolfram Wette

Freiburg, 12.06.2017

Recht, Freiheit, Friedensbewahrung

Foto: Patrick Seeger

Das Interesse von Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten an der Wehrmacht als Vorbild ist gestiegen: Zu diesem Befund kommt der Historiker Prof. Dr. Wolfram Wette, der sich in seiner Forschung intensiv mit der politischen Rolle der deutschen Streitkräfte vom Kaiserreich bis in die Gegenwart befasst hat. Über Rechtsradikalismus in der Bundeswehr sprach Verena Adt mit dem langjährigen Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamts in Freiburg und nachmaligen Professor am Historischen Seminar der Universität Freiburg.


Tickt die Bundeswehr anders als die Zivilgesellschaft? Wolfram Wette sieht einen unauflösbaren Strukturunterschied: mit Befehl-Gehorsam-System und Gewaltbereitschaft auf der einen, demokratischen Spielregeln und friedlicher Konfliktlösung auf der anderen Seite. Foto: Patrick Seeger

Herr Wette, geht es bei dem offenbar rechtsextremen, unter Terrorverdacht stehenden Bundeswehrsoldaten Franco A. um den berühmten Einzelfall?

Wolfram Wette: In der Geschichte der Bundeswehr gab es immer wieder rechtsradikale Vorfälle. Die verantwortlichen Minister haben in aller Regel abgewiegelt unter Hinweis darauf, es handele sich um einzelne Fälle. Man hat sich nie offen die Frage gestellt, ob es wirklich nur einzelne Fälle sind oder ob die Bundeswehr insgesamt anders tickt als die Zivilgesellschaft.

Tickt denn die Bundeswehr anders als die übrige deutsche Gesellschaft?

Zur Bundeswehr geht  jemand, der sich dem Befehl-Gehorsam-System leicht unterordnen kann, der eine starke Führung braucht, um selbst Halt zu gewinnen, der eine Affinität zu Waffen hat, der sich vorstellen kann, zu schießen, zu töten, für den also Gewalt nichts Ungewöhnliches ist. Dabei stellen wir uns unter dem Zivilisten, dem demokratischen Staatsbürger, das genaue Gegenteil vor. Er lernt von Kindesbeinen an, Konflikte gewaltfrei und nach bestimmten Spielregeln auszutragen. Insofern gibt es einen unauflösbaren Strukturunterschied zwischen ziviler Gesellschaft beziehungsweise demokratischem System und dem Militär.

Welche Rolle spielt die Abschaffung der Wehrpflicht? Hätten die „Bürgerinnen und Bürger in Uniform“ Fehlentwicklungen verhindert?

Es ist die alte Hoffnung der Demokraten, schon des 19. Jahrhunderts, gewesen, mit einer  allgemeinen Wehrpflicht habe man der Politik in den Arm gegriffen und es könne keine kriegerischen Auseinandersetzungen mehr geben, weil es der Wunsch eines jeden Menschen sein muss, am Leben zu bleiben. Wenn man sich die Militärgeschichte anschaut, muss man sehen: Das war eine Illusion. In einer militärischen Hierarchie gilt immer, was oben befohlen wird. Die Abschaffung der Wehrpflicht hatte nicht die Bedeutung, wie viele meinen.

Hat sich in der Bundeswehr ein „Kämpferkult“ entwickelt?

Bis 1990 saß die Bundeswehr in den Kasernen. Dann gab man ihr neue Aufgaben mit Auslandeinsätzen. Das hat einiges umgekrempelt. Hatte bis dahin die Hierarchie der Dienstgrade eine große Rolle gespielt, so entwickelte sich nun eine neue Hierarchie an der Zahl von Auslandseinsätzen. Die Innere Führung, die die Bundeswehr demokratieverträglicher machen sollte, ließ man schleifen, und das Interesse der Soldaten an der Wehrmacht als Vorbild ist gestiegen. 


27 Liegenschaften der Bundeswehr tragen Namen von Wehrmachtoffizieren – viele Soldaten sind offensichtlich nicht in der Lage, die Traditionsunwürdigkeit dieser Personen zu erkennen, sagt Wolfram Wette. Foto: Patrick Seeger

Ist die Wehrmacht bei der Bundeswehr salonfähig geworden?

Der Soldat, der im Ausland eingesetzt wird und der sich darauf einstellen muss, dass er in kriegerische Kämpfe verwickelt wird, sucht von sich aus Vorbilder. Weil er weiß, dass die Politik eine Vorbildrolle der Wehrmacht wegen deren Verbrechen ablehnt, spaltet er diese Verbrechen ab und behält nur den Soldaten übrig, der, wie es heißt, „ewige soldatische Werte“ verkörpert. Genau das erleben wir zurzeit bei den Auseinandersetzungen um die Kasernen, die noch immer nach Wehrmachtoffizieren heißen – Generalmajor Marseille, Oberst Lent, Generalfeldmarschall Rommel. Da erfahren wir, dass die Soldaten einer Garnison an diesen Namen hängen, als ob sie aus ihnen die Kraft saugen könnten für das eigene Tun. Sie sind offensichtlich nicht in der Lage, die Traditionsunwürdigkeit dieser Personen zu erkennen.

Was hat die Politik hier getan?

Es gibt seit 1982 den vom damaligen Verteidigungsminister Hans Apel verfügten und von seinen Nachfolgern bestätigten Traditionserlass, der die Kontinuitätslinie zur Wehrmacht kappt. Doch heute gibt es immer noch 27 Liegenschaften der Bundeswehr, die Namen von Wehrmachtoffizieren tragen.

Sind Namen von Kasernen nicht eher nebensächlich?

Nein! Leute wie Lent, Marseille oder Rommel waren daran beteiligt, dass Nazi-Deutschland alle europäischen Nachbarn überfallen, mit Krieg überzogen und ausgebeutet hat, Teile der Zivilbevölkerung erschossen hat, Millionen von Kriegsgefangenen verrecken ließ, den Holocaust ermöglicht hat. Aus diesem Kontext kann man nicht herauslösen, dass jemand so gut im Abschießen anderer Flieger war, so dass man ihn als Flieger-As verherrlicht. Zu begreifen, dass diese Abspaltung nicht sein darf und dass man das Gesamte sehen muss, fällt vielen Soldaten sehr schwer.

Dabei sind die Erkenntnisse über die Wehrmacht ja nicht neu.

Das ist richtig. Die Vorgaben der Politik beruhen auch auf unseren Forschungen, auch des Militärgeschichtlichen Forschungsamts hier in Freiburg. Sie haben es schon zu Apels Zeiten unmöglich gemacht, eine Traditionslinie von der Bundeswehr zur Wehrmacht zu ziehen.

Gäbe es denn überhaupt Vorbilder in der deutschen Militärgeschichte?

Wenn wir in der Demokratie Streitkräfte haben, sollte klar sein, dass diese für die Ziele von Recht, Freiheit und Friedensbewahrung da sind. Dass Frieden und nicht Krieg als Ernstfall angesehen wird. In der deutschen Geschichte finden wir durchaus Menschen, die diesem Anspruch entsprechen. In der Weimarer Republik beispielsweise ist eine Reihe von Offizieren aus der Kaiserzeit für den demokratischen Staat eingetreten. Sie haben sich nach Kräften bemüht, zur Friedensbewahrung und zur Friedensgestaltung beizutragen, wie wir schon in den 1990er Jahren untersucht und in einem dicken Buch dargelegt haben.

Gibt es Vorbilder auch in der Wehrmacht?

In der Nazizeit konnten Offiziere nicht öffentlich für Frieden eintreten. Aber wir haben ermitteln können, dass Menschen, die so dachten, Verfolgten geholfen und zum Beispiel Juden gerettet haben. Daraus ist ein großes Forschungsprojekt entstanden über Helfer und Retter in Uniform. Wir haben durchaus ein Potenzial an Namen aus der jüngeren deutschen Geschichte, die sich weit besser für eine Traditionsbildung eignen würden als die unseligen Namen von kaiserlichen Generälen und von Wehrmachtgenerälen.

 

Zum Weiterlesen

Wolfram Wette: Pazifistische Offiziere in Deutschland 1871 bis 1933. Unter Mitwirkung von Helmut Donat. Bremen 1999.

Wolfram Wette (Hrsg.): Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht. Mit einem Geleitwort von Fritz Stern. Frankfurt 2002, 3. Aufl. 2003.