Niederschwelliges Angebot: Untersuchungsstelle für Gewaltbetroffene
Freiburg, 21.02.2022
Prof. Dr. Ulrike Schmidt ist sich sicher: Wer die Folgen körperlicher Gewalt zeitnah rechtssicher dokumentieren lässt, der stärkt seine Position – insbesondere, wenn eine Anzeige gegen den oder die Täter*in erst später erfolgt. Die Oberärztin am Freiburger Institut für Rechtsmedizin leitet seit 2021 die Untersuchungsstelle für Gewaltbetroffene (USG) am Universitätsklinikum Freiburg. Kristin Schwarz hat mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.
Auch Blessuren, die medizinisch nicht versorgungspflichtig sind, können in der Untersuchungsstelle für Gewaltbetroffene dokumentiert werden. Foto: Ekaterina/stock.adobe.com
Anfang 2021 eröffnete das Institut für Rechtsmedizin die Untersuchungsstelle für Gewaltbetroffene. Was ist deren Ziel und Aufgabe?
Ulrike Schmidt: Schon immer untersuchen und dokumentieren wir im Auftrag von Strafverfolgungsbehörden die Folgen äußerer Gewalteinwirkungen auf Menschen. Aufgrund unseres Fachwissens werden wir zum Beispiel hinzugezogen, wenn geschädigte Personen Anzeige bei der Polizei erstatten und deren Verletzungen erfasst und beziehungsweise oder DNA-Spuren gesichert werden müssen. Seit das Fünfte Sozialgesetzbuch angepasst wurde, ist die Versorgung und Dokumentation nach Gewalt- und Sexualdelikten Teil der Krankenbehandlung, die von den Krankenkassen getragen wird. Die USG erfüllt den daraus entstandenen Anspruch.
Wie sieht die Arbeit von Ihnen und Ihrem Team konkret aus?
Wir inspizieren die Körperoberfläche von Betroffenen akribisch auf Kratzer, blaue Flecken und andere Folgen äußerer Gewalteinwirkung. Bereits geringe Verletzungen können wesentlich sein, um den Tathergang zu belegen. Gewaltbetroffene können nicht „zu wenig“ haben, um zu uns zu kommen. Bei dem Verdacht, dass einer Person körperfremde Substanzen verabreicht wurden, sichern wir auch Blut- und Urinproben. Zudem unterstützen wir die Mitarbeiter*innen der Klinik für Frauenheilkunde, die Frauen nach akuten Sexualstraftaten gynäkologisch untersuchen, versorgen und deren Verletzungen aufnehmen. Wenn diese einverstanden sind, kommen wir zur frauenärztlichen Untersuchung dazu und sichern die Befunde außerhalb des Genitalbereichs. All unsere Befunde halten wir sowohl schriftlich als auch fotografisch rechtssicher fest. Wichtig zu erwähnen ist, dass wir vor Ort weder akute Verletzungen behandeln noch Diagnosen stellen. Wer zum Beispiel verwundet ist und medizinisch versorgt werden muss, muss zuerst in die Notaufnahme oder zu niedergelassenen Ärzt*innen gehen. Wir verstehen uns als Ergänzung zur Akutversorgung, da den Kolleg*innen dort im Arbeitsalltag häufig die Zeit für den aufwendigen Dokumentationsprozess fehlt.
Was geschieht im Anschluss mit den Befunden?
Sofern wir diese nicht im Rahmen unserer Tätigkeit als Sachverständige, also im Auftrag der Polizei erheben, bleiben sie bei uns. Sie unterliegen – wie jede andere ärztliche Untersuchung auch – der ärztlichen Schweigepflicht. Stellt die untersuchte Person eine Anzeige und entbindet uns von dieser Schweigepflicht, händigen wir die Unterlagen auf Anfrage der Polizei oder Staatsanwaltschaft aus. Andernfalls bewahren wir alle Dokumente gemäß den gesetzlichen Vorschriften auf. Blut- und Urinproben, die nachträglich nicht mehr analysiert wurden, vernichten wir nach zwei Jahren.
Warum kann es für Gewaltbetroffene, die erst mal keine Anzeige erstatten wollen, dennoch sinnvoll sein, die USG aufzusuchen?
Folgendes Szenario: Eine Person wird in ihrer Partnerschaft geschlagen, lässt die Folgen durch uns dokumentieren, ohne rechtliche Schritte einzuleiten. Ein späterer Vorfall führt zur Anzeige und zur Gerichtsverhandlung. Mit rechtssicher dokumentierten Verletzungen kann sie vergangene Übergriffe gerichtsfest belegen und ihre Ausgangssituation stärken. Ansonsten steht Wort gegen Wort. Das gilt insbesondere, wenn vorherige Blessuren medizinisch nicht versorgungspflichtig waren und sich daher keine Hinweise darauf in einer Krankenakte befinden.
Das Team der USG arbeitet montags bis freitags von 8 bis 16.30 Uhr. Gewalttäter*innen halten sich aber nicht an Dienstzeiten. Wie hilft die USG Betroffenen zum Beispiel am Wochenende?
Wir arbeiten mit den lokalen Hilfsstrukturen zusammen, vor allem mit den Beratungsstellen Frauenhorizonte e.V. gegen sexuelle Gewalt und mit der Freiburger Fachstelle Intervention gegen häusliche Gewalt. In besonderen Fällen ist es den dortigen Akteur*innen möglich, uns auch außerhalb der Kernzeiten zu kontaktieren. Dann können wir gemeinsam über die notwendigen und sinnvollen Schritte entscheiden.
Wie wird Ihr Angebot bislang angenommen – und von wem?
Wir sind mit der Resonanz zufrieden. Unsere Hauptklientel sind Menschen, die bereits mit Initiativen gegen häusliche oder sexualisierte Gewalt sowie Fachstellen für Frauen- und Kinderschutz in Kontakt stehen und hierüber an uns verwiesen wurden. Andere kommen über niedergelassene Kolleg*innen.
Es bedarf aber keiner ärztlichen Überweisung oder eines Vorgesprächs bei einer Beratungsstelle, um einen Termin mit der USG vereinbaren zu können?
Nein, unser Angebot ist niederschwellig und an keine Bedingungen geknüpft. Wer einen Termin möchte, muss diesen vorab nur telefonisch vereinbaren. Es besteht auch weder die Pflicht, uns den Sachverhalt zu schildern, noch den oder die Täter*in anzuzeigen. Darüber hinaus entscheiden die Betroffenen auch selbst, wie umfassend sie versorgt werden wollen. Auf Wunsch vermitteln wir diese an Beratungsstellen und Initiativen aus unserem Netzwerk, die ihnen weiterhelfen können. Das Hauptaugenmerk der USG liegt, wie gesagt, nicht unbedingt auf Personen, die sich ohnehin in ärztliche Behandlung begeben müssen. Natürlich können diese zusätzlich zu uns kommen. Wir wollen vor allem aber auch eine Anlaufstelle für diejenigen sein, deren Gewaltfolgen am Körper keinen Arztbesuch erfordern.
Untersuchungsstelle für Gewaltbetroffene