Neue Regeln für die Digitalwirtschaft
Freiburg, 08.11.2019
Riesige Datenmengen bilden die Grundlage dafür, dass wenige Digitalunternehmen global führende Positionen einnehmen. Wie kann die Europäische Union (EU) den Wettbewerb in der Digitalwirtschaft und die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer sichern? Dazu hat eine Kommission aus Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern im September 2019 Vorschläge an Wirtschaftsminister Peter Altmaier übergeben. Jens-Peter Schneider, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg, war Mitglied der Kommission. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen deutsches und europäisches Informationsrecht, Energie- und Telekommunikationsrecht sowie europäisches Umweltrecht. Thomas Goebel hat mit ihm gesprochen.
Die Souveränität der Kunden stärken – und damit zugleich den Wettbewerb: Eine Plattform-Verordnung der Europäischen Union könnte der Tendenz zum Monopol der großen digitalen Akteure entgegenwirken. Foto: stock.adobe.com
Herr Schneider, Sie waren Mitglied der Kommission „Wettbewerbsrecht 4.0“, die der Bundesregierung neue Regeln für die Digitalwirtschaft vorgeschlagen hat. Ist die Marktmacht von Google, Facebook und Amazon dafür nicht schon zu groß?
Jens-Peter Schneider: Genau deshalb gab es diese Kommission: Weil der Bundesregierung die Probleme mit der Regulierung von Digitalunternehmen sehr bewusst sind. Die Kommission hat Vorschläge für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft gemacht, die im Herbst 2020 beginnt. Wir haben gefragt, was auf europäischer Ebene geschehen kann, damit die europäische Digitalwirtschaft eine Chance hat, auch im Verhältnis zu den dominierenden Playern aus den USA und China.
Und was sollte geschehen?
Eine wichtige Frage ist: Wie erlauben wir es kleineren europäischen Unternehmen, leichter miteinander zu kooperieren? Im Bereich der künstlichen Intelligenz braucht man möglichst viele unterschiedliche Daten – das ist in einer kleinteiligen digitalen Wirtschaft, wie wir sie in Europa haben, schwierig. Und bei Kooperation gibt es immer das Risiko, dass dahinter ein Kartell vermutet wird. Deshalb wollen wir die „guten“, technologiefördernden Kooperationen von denen unterscheiden, die nur darauf zielen, die Verbraucherinnen und Verbraucher auszubeuten.
Der öffentliche Nahverkehr ließe sich mithilfe künstlicher Intelligenz möglicherweise verbessern, wenn sich Digitalunternehmen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und Kommunen verbinden. Foto: Sandra Meyndt
Wie sähe so eine „gute“ Kooperation kleinerer Akteure denn konkret aus?
Es gibt zum Beispiel Versuche, den öffentlichen Nahverkehr mithilfe künstlicher Intelligenz zu verbessern, indem man verschiedenste Verkehrsträger integriert. Dafür könnten sich Digitalunternehmen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und Kommunen verbinden. Die brauchen aber die Handlungssicherheit, dass ihr Vorhaben nicht am Ende am Kartellrecht scheitert. Wir wollen deshalb, dass Unternehmen schon im Vorfeld bei der EU-Kommission anfragen können, ob das, was sie planen, zulässig ist.
Und wie ließe sich auf der anderen Seite die Dominanz der führenden Digitalkonzerne wirksam begrenzen?
Wir haben eine Plattform-Verordnung der Europäischen Union vorgeschlagen.
Klingt erst mal etwas sperrig…
Die großen digitalen Akteure wie Google oder Amazon sind klassische Plattformen, die etwa Händlerinnen und Händler mit Kundinnen und Kunden zusammenbringen. Hinter ihrer Marktmacht stehen so genannte Netzwerk-Effekte: Je mehr Händler bei Amazon sind, desto attraktiver ist es für die Kunden – was es wieder attraktiver für die Händler macht, dort auch hinzugehen. Deshalb haben Plattformen ökonomisch und sozial eine Tendenz zum Monopol oder Oligopol: Wenige große Firmen könnten ihre Stellung zu Lasten der Kunden ausnutzen. Und langfristig erlahmt der bisher hohe Innovationsimpuls, weil es keinen echten Wettbewerb mehr gibt.
Wie würde eine Plattform-Verordnung das verhindern?
Sie würde festlegen, dass solche marktmächtigen Plattformen schärferen Anforderungen unterliegen. Uns war wichtig, diese wirklich auf marktmächtige Plattformen zu beschränken und nicht die Entwicklungschancen von kleinen Start-ups, die vielleicht auch Plattformen sind, durch Regulierung zu verhindern.
Und wozu würden die großen Player dann verpflichtet?
Unter anderem sollen Menschen, die ihre Daten diesen Plattformen zur Verfügung gestellt haben, mehr Rechte bekommen, dass andere Plattformen ihre Daten mitnutzen und eine Echtzeit-Verkoppelung stattfindet. Das nennt man technisch „Multihoming“. Im Finanzsektor gibt es das schon: Meine Bank muss es laut einer Richtlinie der App eines Finanztechnologie-Unternehmens gestatten, Einblick in meine Kontodaten zu nehmen – natürlich nur mit meiner Genehmigung. So kann ich mehrere Konten in einer einzigen App verwalten.
Der Umgang mit der Digitalwirtschaft ist eine der großen wirtschaftspolitischen Fragen des 21. Jahrhunderts, sagt Jens-Peter Schneider. Foto: Patrick Seeger
Nutzer bekämen mehr Macht über ihre Daten – und würden damit den Wettbewerb unter den Digitalunternehmen fördern...
Genau, die Kundensouveränität wird gestärkt und dadurch der Wettbewerb – was wieder im Interesse der Kunden ist. Wir haben dabei allerdings ein Problem: Viele unserer Daten beziehen sich gleichzeitig auf andere. Bei WhatsApp zum Beispiel geht es nicht nur um meine Kommunikation, ich habe immer einen Kommunikationspartner. Die Übertragung solcher Daten berührt den Datenschutz. Deswegen haben wir auch die Einrichtung so genannter Daten-Treuhänder vorgeschlagen.
Und so ein Daten-Treuhänder passt dann auf meine Daten auf?
Ja, ich könnte als Nutzer bei einem professionellen Akteur meine Daten bündeln. Er würde mein Datenschutzprofil abfragen, das ja je nach Nutzer ganz unterschiedlich ist, und bei anderen Akteuren für dessen Durchsetzung sorgen.
Wenn große Digitalunternehmen in Europa ihre Daten unter bestimmten Bedingungen teilen müssen, wäre das eine gewichtiger Eingriff. Für wie realistisch halten Sie es, dass die EU das durchsetzt?
Der Umgang mit der Digitalwirtschaft ist eine der großen wirtschaftspolitischen Fragen des 21. Jahrhunderts. Im Datenschutzrecht hat Europa schon eine Position definiert, die inzwischen teilweise von anderen Ländern oder Regionen übernommen wird. Unsere Hoffnung ist, dass die EU auch wirtschaftspolitisch ein eigenständiges Modell entwickelt. Wir haben übrigens auch eine EU-Agentur vorgeschlagen, die europaweit Wissen über die digitale Entwicklung sammelt. Das iPhone gibt es erst seit gut zehn Jahren – seitdem ist die Entwicklung explosiv. Ich halte eine bessere Beobachtung dieses Prozesses für zwingend geboten.
Was denken Sie, wie werden Google oder Amazon 2029 in Europa agieren?
August von Hayek hat über die „Anmaßung von Wissen“ geschrieben, einer solchen Anmaßung möchte ich mich nicht schuldig machen. Die Digitalisierung wird uns aber auf jeden Fall weiter vor enorme Fragen stellen. Deshalb ist es wichtig, dass Europa hier eine Stimme hat und sich nicht ausklinkt – sonst werden wir zerrieben zwischen dem amerikanischen Ansatz des „anything goes“ und dem chinesischen Modell, dass der Staat für die Bürger entscheidet, was geht und was nicht.