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Irrwitzige Gesetze

Albert Einstein nannte Quanten einst „gruselig“ – Forschende des European Campus wollen ergründen, nach welchen Regeln diese unbekannte Welt funktioniert

Freiburg, 01.08.2019

Etwa 100 Jahre alt sind die ersten Überlegungen zur Quantenmechanik – „trotzdem wirken ihre Erkenntnisse auch heute oft noch irritierend oder gar verstörend“, sagt Tobias Schätz, Professor für Experimentalphysik an der Universität Freiburg: So stark klingen sie nach Science-Fiction, so sehr widersprechen sie dem Alltagswissen und den Gesetzen der klassischen Physik, so viel ist noch unbekannt. Gleichzeitig knüpfen sich große Hoffnungen an mögliche technologische Anwendungen wie etwa den immer wieder beschworenen Quantencomputer.


EUCOR – The European Campus hat die Quantenphysik als einen Forschungsschwerpunkt definiert. Foto: Ezume Images/stock.adobe.com

EUCOR – The European Campus, der Universitätsverbund am Oberrhein, hat die Quantenphysik als einen Forschungsschwerpunkt definiert. In Freiburg laufen dazu zwei große Projekte, die der Nachwuchsförderung und der Grundlagenforschung dienen. Er selbst, sagt Tobias Schätz, bevorzuge allerdings den Begriff „curiosity-driven research“: von Neugier getriebene Forschung. Es gehe dabei nicht in erster Linie darum, konkrete Patente zu entwickeln: „Meine Idee von diesem Quantenschwerpunkt ist es, dass wir eine nächste Generation von Physikerinnen und Physikern so ausbilden, dass sie in der Lage sind, die richtigen Fragen zu stellen und selbst Ideen zu entwickeln.“

Die Väter der Quantenmechanik

Zu den Urhebern quantenmechanischer Theorien gehören Physiker wie Albert Einstein, Erwin Schrödinger und Werner Heisenberg. „Sie befassten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem mit Gedankenexperimenten“, sagt Schätz; eine experimentelle Erforschung sei damals gar nicht vorstellbar gewesen. Ihre Grundannahme war, dass für Prozesse in der Quantenwelt, der „kleinen“ Welt im Größenbereich von Atomen und darunter, andere Gesetze gelten als in der „großen“ Welt, die die klassische Physik beschreibt. So kann in der Quantenwelt zum Beispiel ein Objekt Wellenform annehmen und an verschiedenen Orten zugleich sein.

Heute, etliche Jahrzehnte und Nobelpreise später, lassen sich viele quantentheoretische Annahmen im Labor überprüfen. Zumindest in kleinen, sauber kontrollierten und stabilen Systemen könne man beobachten, dass die irrwitzigen Annahmen, die die Väter der Quantenmechanik formuliert hatten, tatsächlich zutreffen, sagt Schätz. „Und inzwischen geht die Forschung wieder einen Schritt weiter und versucht, die Prozesse aus der ungestörten Umgebung des Labors herauszunehmen und in Anwendungen zu bringen.“

Gleichzeitig aus und an

Ein berühmtes Beispiel hierfür ist der Quantencomputer, an dem weltweit geforscht wird. Frühestens in 20 bis 30 Jahren sei er einsatzfähig – wenn überhaupt, betont Schätz. Trotzdem fasziniert die Idee Forschende und Firmen: Die kleinste Informationseinheit eines klassischen Computers, das Bit (von „binary digit“), kennt nur zwei Zustände: 0 und 1, aus und an. Ein Quantencomputer dagegen soll mit so genannten Qubits oder Quantenbits arbeiten. Diese könnten sich dank quantenmechanischer Prozesse zugleich in zwei Zuständen befinden, die einander ausschließen – also gleichzeitig 0 und 1 sein. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nennen das Superposition. „Für Ingenieurinnen und Ingenieure, die einen klassischen Computer bauen, ist das ein Albtraum“, sagt Schätz. „Aber wenn man diese Prozesse nutzt, könnte ein Quantencomputer unglaubliche Leistungen erbringen.“


„Wir Quantenphysiker sind eher enttäuscht, wenn bei unseren Experimenten etwas herauskommt, was wir uns vorher schon gedacht haben“, sagt Tobias Schätz. Foto: Jürgen Gocke

Schätz sieht die Aufgabe einer Universität allerdings nicht darin, mit Technologiekonzernen in einen Wettlauf um den ersten Quantencomputer einzusteigen. An der Universität Freiburg bestehe ein guter Austausch mit Wissenschaftlern wie Prof. Dr. Andreas Buchleitner, die sich mit der Theorie der komplexen Quantensysteme beschäftigen, und Kolleginnen und Kollegen, die sich experimentellen Realisierungen widmen. Gerade die Albert-Ludwigs-Universität habe aufgrund ihres Schwerpunktes die Chance, sich weiter der Grundlagenforschung und der Ausbildung zu widmen – und dabei auch forschungspolitische und ethische Fragen zur künftigen Nutzung von Quantentechnologien zu stellen. „Ich denke, dafür ist die EU ein guter Ort“, sagt Schätz.

Start für „QUSTEC“

Im Frühjahr 2019 hat die Europäische Kommission den Antrag zur Unterstützung eines internationalen Doktorandenprogramms in den Quantenwissenschaften bewilligt. Es heißt „QUSTEC“, die Abkürzung steht für „Quantum Science and Technologies at the European Campus“. Beteiligt sind neben Freiburg die Universitäten Basel und Strasbourg, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie die Forschungsabteilung des IT-Konzerns IBM in Zürich. Das Programm soll 40 Quantenforscherinnen und -forschern eine Promotion finanzieren; die beteiligten Hochschulen bieten weitere 40 Doktorandenstellen. Es läuft fünf Jahre und wird mit 9,1 Millionen Euro gefördert. 4,2 Millionen kommen von der EU, der Rest von den Partnern und weiteren Geldgebern.

Schon seit zwei Jahren beherbergen die Universitäten Freiburg und Basel das gemeinsame Exzellenzzentrum „Quantum Science and Quantum Computing“. Es bietet zehn Forschungsstellen für Postdocs, die von der Schweizer Georg-H.-Endress-Stiftung finanziert werden. „Das sind insgesamt 100 Postdoc-Jahre“, sagt Schätz, „und diese sind nicht an Patententwicklungen gebunden – so etwas wird man in der Wirtschaft selten finden.“

Atom um Atom

In den Freiburger Forschungsprojekten wolle man unter anderem untersuchen, was passiert, wenn man im Labor sehr kleine, kontrollierte quantenmechanische Systeme erweitert. „Wir fügen Atom um Atom hinzu und schauen, was sich verändert.“ Als Beispiel nennt Schätz ein Projekt zu ultrakalter Chemie. Nach klassischen naturwissenschaftlichen Gesetzen bewegen sich Atome umso langsamer, je kälter es wird, sodass sich die Zahl der chemischen Reaktionen entsprechend reduziert. Aber werde der quantenmechanische Wellenaspekt dominant, seien die Atome überall: „Sie überlappen sich, ohne sich zu bewegen – und lassen Chemie passieren.“

Solche Effekte habe schon Einstein „spooky“, gruselig, genannt: „Natürlich verwirrt es einen, wenn man sich Atome nicht gemäß dem klassischen Atommodell als Kugeln, sondern als Wellen vorstellt“, sagt Schätz. Aber genau darum gehe es: Nach dem zu fragen, was man noch nicht weiß und versteht, und darum, Modelle zu entwickeln, die bisher nicht vorstellbar waren. „Es geht um einen Paradigmenwechsel“, sagt Schätz. „Wir Quantenphysiker sind eher enttäuscht, wenn bei unseren Experimenten etwas herauskommt, was wir uns vorher schon gedacht haben.“

Thomas Goebel