Artikelaktionen

Sie sind hier: Startseite Online-Magazin forschen & entdecken Impfstoffe könnten besser …

Impfstoffe könnten besser schützen als eine Erkrankung

Virologe Hartmut Hengel vermutet, dass Antikörper gegen Sars-CoV-2 schnell abnehmen, weil das Virus das Immunsystem manipuliert

Freiburg, 03.08.2020

Werden Corona-Impfstoffe schützen oder nicht? Während mehrere Hersteller erste, gute Ergebnisse zu Impfstoffen vermelden, berichten renommierte Forschungsgruppen, dass Antikörper nach Infektionen rasch wieder verschwinden. Hinter Letzterem vermutet Prof. Dr. Hartmut Hengel, Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie des Universitätsklinikums Freiburg, eine Strategie des Virus. „Vakzinen können einen besseren Schutz bewirken als Infektionen mit den Erregern selbst“, sagt Hengel. Ob das auch Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 gelingt, lässt sich noch nicht absehen. Versagen sie, droht Corona zu einem Dauerbegleiter zu werden, befürchtet der Fachmann: Das biologische Programm des Virus scheint darauf ausgelegt zu sein, dass Menschen sich mehrmals damit anstecken.

Die Welt ist auf der Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus. Vorläufige Erfolgsmeldungen stimmen optimistisch, sind bisher aber keine Garanten für eine sichere Vakzine. Foto: Leigh Prather/stock.adobe.com

Die Lage scheint widersprüchlich. Einerseits mehren sich vorläufige Erfolgsmeldungen: Impfstoffe mit mRNA und Virusvektoren hätten in ersten klinischen Tests viele Antikörper gegen Sars-CoV-2 hervorgerufen, und dabei nur wenige Nebenwirkungen verursacht. Davon berichten Hersteller aus China, Deutschland, England und den USA in renommierten Fachmagazinen. Andererseits haben mehrere Forschungsgruppen beobachtet: Nach Infektionen nimmt die Menge der Antikörper gegen das Coronavirus teils rasch und deutlich ab. Dahinter vermutet Hartmut Hengel eine Strategie von Sars-CoV-2: „Meine Hypothese ist eine deutliche Interferenz des Virus mit Immunzellen.“ Einfach gesagt: Der Erreger manipuliert offenbar das menschliche Immunsystem.

Ein Griff in die molekulare Trickkiste

Viren greifen gerne in die molekulare Trickkiste, um die Immunantwort bei Infektionen zu stören. HIV zum Beispiel legt bestimmte wichtige Immunzellen lahm, Ebola fängt mit Virusattrappen, den „Virosomen“, Antikörper ab, der Schnupfenverursacher Rhinovirus veranlasst Immunzellen dazu, irritierende Signale abzugeben. Wie Sars-CoV-2 möglicherweise das Immungedächtnis schwächt, ist unklar. „Wir haben noch nicht einmal komplett verstanden, welche Immunzellen in dieser konkreten Situation die Antikörper produzieren“, bedauert Hengel, der amtierende Präsident der Gesellschaft für Virologie. Als Kandidaten kämen B-Gedächtniszellen oder Plasmazellen in Betracht. Doch er folgert aus der raschen Abnahme der Antikörper: „Das biologische Programm von Sars-CoV-2 scheint auf Reinfektionen angelegt zu sein.“

Menschen sollen sich möglichst mehrmals anstecken. Deshalb sorgt das Coronavirus offenbar dafür, dass gewisse Zellen des Immungedächtnisses schlechter kooperieren, ihre Funktion verlieren oder eventuell sogar sterben. Das Immungedächtnis wird quasi dement: Die Zahl der Antikörper gegen Sars-CoV-2 lässt nach. Auch andere Viren setzen am Immungedächtnis an. „Wie lange Antikörper nachweisbar sind, hängt offensichtlich von der Art der Erreger ab.“ Bei Masern und Gelbfieber genügt eine überstandene Infektion oder Impfung bestenfalls lebenslang. Im Fall der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) empfiehlt die Ständige Impfkommission STIKO, den Impfschutz alle drei bis fünf Jahre aufzufrischen. An einem Impfstoff gegen HIV beißt sich die Fachwelt bisher die Zähne aus.

„Wir brauchen einfach noch Geduld“

„Wenn es nicht gelingt, Sars-CoV-2 durch Impfungen einzudämmen, wird das Virus in Zukunft wahrscheinlich permanent zirkulieren“, sagt Hengel, der zehn Jahre lang STIKO-Mitglied war und aktuell Stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesinstituts für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (Paul-Ehrlich-Institut) ist. Doch er macht auch Hoffnung: Antivirale Impfstoffe enthalten erlesene Teile der Erreger oder ihres Erbguts, also üblicherweise nicht ihre molekulare Trickkiste. Sie kurbeln die Immunreaktion an, behindern sie aber nicht. „Deshalb können Vakzinen viel stärkere Immunantworten erzeugen als die Erreger selbst.“ Ein Zusatz von Immunverstärkern, so genannten Adjuvantien, kann den Impfschutz darüber hinaus noch verbessern.

 „Um die Qualität und Sicherheit unter Beweis zu stellen, müssen sehr viele Menschen einen Impfstoff bekommen haben und seine Wirkungen und Nebenwirkungen lange verfolgt werden“, sagt Hartmut Hengel. Foto: Universitätsklinikum Freiburg

Allzu hoch schießen sollten die Erwartungen dennoch nicht: Gegen Coronaviren, die Tiere infizieren können, hat bisher kein Impfstoff einen befriedigenden anhaltenden Schutz erzielt. Die aktuellen Studienergebnisse zu Sars-CoV-2-Impfstoffen bei Menschen sind erfreulich, aber noch keine Erfolgsgaranten. „Die Entscheidung fällt wie beim Fußball nicht unter kontrollierten Trainingsbedingungen, sondern im Spiel auf dem Platz“, vergleicht Hengel. Und wer Meister werden will, muss am Ende einer ganzen Saison an der Spitze stehen. „Um die Qualität und Sicherheit unter Beweis zu stellen, müssen sehr viele Menschen einen Impfstoff bekommen haben und seine Wirkungen und Nebenwirkungen lange verfolgt werden – am besten über mehrere Jahre“, betont der Wissenschaftler. „Wir brauchen einfach noch Geduld.“

Gehilfen und Abwehrtruppen

Eine weitere Konsequenz hat die teils kurze Haltbarkeit der Antikörper gegen Sars-CoV-2: „Ein Immunitätsausweis, der darauf basiert, ist gegenwärtig nicht sinnvoll.“ Zu schnell könnten Ausweisinhaberinnen und Ausweisinhaber wieder gefährdet sein und infolge andere gefährden. „Außerdem ist es gar nicht sicher, dass einzig die Anwesenheit und Menge von Antikörpern mit einem Immunschutz korreliert“, gibt Hengel zu bedenken. Antikörper, speziell vom Typ IgG, stehen hier meist deshalb im Vordergrund, weil sie leicht im Blut nachweisbar sind und Infektionen oft aufhalten können. Im Alleingang tun sie das aber nicht. Sie benötigen dazu weitere Proteine oder Zellen als Gehilfen. Ist diese Zusammenarbeit gestört, können selbst Massen an Antikörpern nutzlos sein.

Nicht zuletzt bildet ein Teil der Infizierten gar keine Antikörper, erzählt Hengel, „viele hatten trotzdem eher leichte Verläufe.“ Er zieht einen militärischen Vergleich heran, um das Abwehrsystem des Körpers zu beschreiben: Angenommen, die menschlichen Antikörper entsprächen den Panzerbrigaden einer Verteidigungsarmee. Wenn sie stehen bleiben, können immer noch Luftwaffe, Artillerie oder Flotte in die Schlacht ziehen. Sie ist keinesfalls verloren. „Man ist nicht gleich tot, wenn eine Funktion im Immunsystem ausfällt“, bringt es der Virologe auf den Punkt.

Die Körperabwehr besitzt neben Antikörpern weitere Truppen, beispielsweise das angeborene Immunsystem oder im adaptiven Immunsystem die T-Zellen. „Es gibt die Idee, über ihre Immunantwort einen Impfschutz zu erzeugen.“  Zur Not ließe sich gegen Sars-CoV-2 vielleicht diese Abwehrreihe mobilisieren? „T-Zellen bilden auch ein Gedächtnis“, sagt der Experte, nennt aber gleich einen Nachteil: „Im Gegensatz zu Antikörpern greifen sie die Feinde erst später im Körper an.“ Hartmut Hengel setzt darum auf einen klassischen Schutz durch beständige Antikörper: „Ich hoffe, dass es einigen Impfstoffen glücken wird, ein dauerhaftes immunologisches Gedächtnis gegen Sars-CoV-2 herzustellen.“

Jürgen Schickinger

 

Dossier zum Coronavirus im Forschungsmagazin uni’wissen