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Grüne Wirtschaft auf Holzbasis?

Die globale Ökonomie könnte ökologischer gestaltet sein – ein europaweites Projekt untersucht, ob dieser Wechsel bei der Gesellschaft auf Akzeptanz stoßen würde

Freiburg, 27.10.2020

Mehrstöckige Gebäude, T-Shirts oder Nahrungsergänzungsmittel: Sie alle können ganz oder zu Teilen aus Holz oder holzbasierten Stoffen bestehen. Sein vielseitiger Einsatz macht das Naturmaterial zu einem beliebten Rohstoff. Doch kann dieser die weitverbreitete fossile Ressource Erdöl in der Produktionskette langfristig ersetzen? Das hänge auch von der Gesellschaft ab, betont Daniela Kleinschmit, Professorin für Forst- und Umweltpolitik. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen (UNR) stellt eine Artikelserie deren unterschiedliche Fachbereiche und Forschungsprojekte vor. Der sechste Teil – Mensch – beschäftigt sich mit der Frage, wie die Gesellschaft dazu steht, das globale Wirtschaftssystem ökologischer zu gestalten.

Vielseitiger Rohstoff: Mehrstöckige Gebäude können ganz oder zu Teilen aus Holz bestehen. Foto: Joaquin Corbalan/stock.adobe.com 

Als Energielieferant, Treibstoff und Basis verschiedener Kunststoffe ist der fossile Rohstoff Erdöl eine der wichtigsten Ressourcen der Weltwirtschaft. Damit geht einher, dass ganze Wirtschaftszweige in weiten Teilen auf eine endliche, nicht nachwachsende Ressource angewiesen sind, deren Abbau zumeist negative Umweltfolgen bewirkt. Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erforscht die Disziplin der Bioökonomie, wie und welche regenerativen Rohstoffe Erdöl ablösen können, um das globale Wirtschaftssystem ökologischer zu gestalten.

Eine vielseitig einsetzbare Alternative ist Holz: Es eignet sich gleichermaßen als Werk- und Brennstoff, ist Bestandteil medizinischer Produkte und von Textilien. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich die Forstwirtschaft zu einem wichtigen Treiber der Bioökonomie. „Ob dieser Strukturwandel gelingt, entscheidet sich jedoch nicht alleine aufgrund technologischer Faktoren. Welche Veränderungen möglich sind, hängt auch von der gesellschaftlichen Akzeptanz ab“, betont Daniela Kleinschmit. „Daher gilt es, sozial- und politikwissenschaftliche Perspektiven ebenso wie sozio-ökonomische Effekte im Transformationsprozess mitzudenken.“

Europaweite Bestandsaufnahme

Daniela Kleinschmit erforscht in dem internationalen Projekt „PerForm – Perceiving the Forest-based Bioeconomy“ anhand vergleichender Studien, wie forstbasierte Bioökonomie in Deutschland und anderen europäischen Ländern wahrgenommen wird. Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Schweden, Finnland, Italien, Frankreich, Österreich, Russland und der Slowakei analysiert sie zudem regionale Unterschiede und deren Ursachen. Start des vom European Forest Institute geförderten Projekts war im Frühjahr 2018. Bis zum Ende des Vorhabens im März 2020 oblag die Leitung der Universität Freiburg. Um aussagekräftige Antworten zu erhalten, hat das Team unter anderem politische Strategien einander gegenübergestellt und verschiedene Akteurinnen und Akteure aus den beteiligten Ländern zu ihren Kenntnissen befragt. Angesprochen wurden Waldeigentümer, Naturschützer, Studierende der Forstwissenschaften ebenso wie Förster und Verbraucher. „Wir haben Online-Umfragen gemacht, Telefoninterviews geführt und Kundinnen und Kunden einer Möbelhaus-Kette befragt“, erläutert Kleinschmit.

Gut informiert und unbedarft

Ihre Auswertung hat große Wissensunterschiede zwischen den Gruppen offenbart: Studierende waren erwartungsgemäß gut über den Einsatz von Holz im Wirtschaftssystem informiert, ebenso wie die Befragten aus skandinavischen Ländern. „Letzteres ist darauf zurückzuführen, dass Forstökonomie in Finnland zum Beispiel ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist und der Staat entsprechend in diesen Sektor investiert. Deswegen sind dort die wissenschaftliche Forschung und Lehre auch weiter gediehen als bei uns“, sagt Kleinschmit. Im Gegenzug seien die Konsumentinnen und Konsumenten in den meisten Ländern recht unbedarft. Auch für einen Großteil der Deutschen ist Bioökonomie kein bekanntes Konzept. „Stattdessen kommt hierzulande der Impuls für eine Entwicklung in Richtung Bioökonomie aus der Politik und aus dem Bereich Forschung und Entwicklung, etwa der Chemiebranche.“

Erste Zwischenergebnisse hat das Team bereits in verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht und vier Grafiken erstellt, die über länderspezifische Unterschiede informieren. Zum Projektabschluss soll Ende 2020 ein Sonderheft in Kooperation mit dem schwedischen Magazin „Ambio – A Journal of the Human Environment“ veröffentlicht werden, ebenso sind weitere wissenschaftliche Artikel geplant.

Onlinekurse und Comics

Darüber hinaus findet das Thema auch in der Lehre Anklang: Im Sommersemester veranstaltete die Universität Freiburg den ersten Massive Open Online Course zu forstbasierter Bioökonomie, den Kleinschmits Mitarbeiter Dr. Alex Giurca federführend vorangebracht hat. Der videobasierte Onlinekurs erklärte in mehreren Episoden, wie dieses Wirtschaftskonzept entstanden ist, welche Ansätze in unterschiedlichen Ländern verfolgt werden und was diese für den Bioökonomiesektor bedeuten. Auch Interviews mit Expertinnen und Experten sowie interaktive Diskussionen über den aktuellen Forschungsstand waren Teil des Kurses.

Unabhängig vom PerForm-Projekt entwickeln Wissenschaftler der UNR-Fakultät fachbereichsübergreifend immer wieder neue Ideen, um das vielschichtige Thema Bioökonomie verständlich zu vermitteln. Dazu zählt auch der Comic über „Die Abenteuer von Alex & Biomann“, den Giurca und Dr. Markus Herbener, Assistent an der Professur für Wald- und Forstgeschichte, geschrieben haben.

Blick auf andere Länder

In den kommenden fünf bis zehn Jahren möchte Daniela Kleinschmit ihre Arbeit noch internationaler ausrichten und die Entstehung sowie die Gestaltungsmöglichkeiten von Bioökonomiestrategien außereuropäischer Länder analysieren. „Für ein umfassenderes Bild müssten zudem weitere Akteure wie Forst- und Umweltverbände befragt und Bioökonomiestrategien sektorübergreifend betrachtet werden“, erklärt die Forscherin, die auch die Politik zu diesem Thema berät. Wichtig sei, dass alle Beteiligten voneinander lernen würden.

Kristin Schwarz

 

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