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Für drei Euro in die Lagunenstadt

Um durch Tourismus entstandenen Schäden beizukommen, will Venedig ein Eintrittsgeld erheben

Freiburg, 13.06.2019

Bei Sonnenuntergang über die Rialtobrücke schlendern, die bunten Karnevalsmasken aus der Nähe betrachten oder den Gondolieri bei einem Cappuccino lauschen: Venedig ist ein beliebtes Reiseziel. Allerdings hat der ausufernde Tourismus trotz hoher Geldeinnahmen auch seine Schattenseiten. Dazu gehören hohe Müllberge und Instandsetzungskosten. Die Stadt an der Adria hat sich etwas einfallen lassen: Tagestouristinnen und -touristen sollen voraussichtlich ab September 2019 Eintritt zahlen. Könnte eine Taxe die Reiselust drosseln?

Massen vor dem Markusdom: „Venedig ertrinkt quasi im Touristenstrom“, sagt Marketingexperte Dieter Tscheulin. Foto: Rangzen/stock.adobe.com

Für Übernachtungsgäste ist das häufig diskutierte Eintrittsgeld keine neue Erfindung: Vielerorts wird schon lange eine „Ortstaxe“ auf Hotelpreise aufgeschlagen. Neu ist, dass nun auch Tagestouristen in Venedig ein Entgelt zwischen drei und zehn Euro bezahlen sollen. „Venedig ertrinkt quasi im Touristenstrom“, sagt Marketingexperte Prof. Dr. Dieter Tscheulin von der Universität Freiburg: „Die Besucherinnen und Besucher bringen zwar Geld in die Stadt, hinterlassen aber auch viel Müll und machen einiges kaputt, das wieder instand gesetzt werden muss.“ Zudem gebe es in Venedig zahlreiche Tagestouristen, die ihre Verpflegung selbst mitbrächten, weil Übernachtung und Essen in der Lagunenstadt teuer seien.

Schaden fürs Ökosystem

Ein ähnliches Problem sieht Tscheulin bei den Kreuzfahrtschiffen, die in Venedig Halt machen. „Auf diesen Schiffen gibt es Vollpension, das bedeutet, dass zwar auf einen Schlag mehrere tausend Besucher auf den Markusplatz strömen, sich diesen anschauen, zum Essen und Schlafen aber wieder zurück auf ihr Schiff gehen.“ Das sei den Venezianerinnen und Venezianern ein Dorn im Auge. Beschlossen wurde deshalb bereits, dass große Kreuzfahrtschiffe nicht mehr im historischen Zentrum der Stadt anlegen dürfen. „Neben der begrenzten Aufnahmekapazität der Stadt sind weitere Argumente, dass die immer größer werdenden Kreuzfahrtschiffe das Ökosystem der Lagune zerstören und die Stabilität der Häuser gefährden“, erklärt Tscheulin.

Kein „Snobeffekt“ zu befürchten

Der Ansturm auf Venedig werde trotz Eintritt bestehen bleiben, ist sich Tscheulin sicher. „Unattraktiv wird eine Stadt erst, wenn das Eintrittsgeld so hoch ist, dass viele dadurch ausgeschlossen werden.“ In der Fachsprache wird das „Snobeffekt“ genannt, sagt der Ökonom: „Ein Produkt wird attraktiver, nur weil es teurer ist.“ Bei einem Eintrittsgeld von drei bis zehn Euro treffe das aber nicht zu – eher bei einem Tageseintritt von 50 bis 100 Euro.

Technisch sei die Umsetzung des Vorhabens nicht ganz einfach. „Wegezölle dürften schwierig sein und hinterlassen einen negativen Eindruck.“ Eleganter sei es, die Ticketpreise für die Wasserbusse, die so genannten Vaporetti, zu erhöhen. Dubrovnik in Kroatien mache das geschickt. Die Stadt nehme ein Eintrittsgeld von umgerechnet etwa 13 Euro für die Stadtmauer. Um keine Wegezollbarrieren einzuführen, sei die Dubrovnik-Methode besonders interessant, berichtet Tscheulin: „Sie empfiehlt sich, wenn es eine herausragende Attraktion gibt, die jeder Besucher erleben will.“ Der Trend zum Eintrittsgeld ist in vielen europäischen Städten zu beobachten: „Amsterdam berechnet bei Kreuzfahrtpassagieren acht Euro. Und Edinburgh überlegt derzeit, umgerechnet knapp 2,30 Euro als Eintrittsgeld einzuführen.“

Modell für Deutschland?

In Deutschland gibt es nach Ansicht des Experten keine Stadt, für die ein ähnliches Entgelt sinnvoll sei. Tagestouristen brächten schon so viel Geld in Städte wie Freiburg, Heidelberg oder Berlin, und sei es nur in der Gastronomie. „Am ehesten vorstellbar wäre ein Eintrittsgeld für Orte mit vergleichbarem Insel-Charakter und ebenfalls hoher Attraktivität wie beispielsweise Sylt oder Helgoland.“

Judith Burggrabe