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Ein Volk unter Verdacht

Das Coronavirus sorgt für Anfeindungen gegenüber Asiaten – welche Bilder von China schafft dabei die Berichterstattung?

Freiburg, 07.02.2020

Sie werden gemieden, beleidigt und berichten sogar von körperlichen Übergriffen: Weltweit melden sich Asiatinnen und Asiaten unter dem Schlagwort „Ich bin kein Virus“ in den sozialen Medien zu Wort. Sie kritisieren, dass man sie kollektiv für die Verbreitung des Coronavirus verantwortlich mache. Welche Bilder von China produzieren dabei Zeitungen, Magazine und TV-Sendungen? Darüber hat Mathias Heybrock mit der Juniorprofessorin Dr. Lena Henningsen vom Institut für Sinologie der Universität Freiburg gesprochen.


„Ich bin kein Virus“: Unter diesem Schlagwort wehren sich Chinesen gegen die Wiederbelebung alter Ressentiments. Foto: thanakorn/stock.adobe.com

Frau Henningsen, nach den ersten Corona-Erkrankungen in Europa häufen sich jetzt Berichte darüber, dass die Angst vor dem Virus zu Anfeindungen gegenüber Chinesinnen und Chinesen führe.

Lena Henningsen: Und nicht nur gegenüber Chinesen, gegenüber Asiaten allgemein. Ich finde das richtig beschämend. Wie immer, wenn von einzelnen Fällen auf eine ganze Bevölkerungsgruppe geschlossen und sie kollektiv zur Verantwortung gezogen wird. Das erinnert mich durchaus an die Debatte um die Geflüchteten. Jetzt werden Asia-Läden gemieden, schon beim Anblick eines Chinesen schützt man sich mit einem Schal. Kürzlich wurde eine junge Chinesin in Berlin sogar verprügelt. Das ist nicht nur irrational. Das ist offen rassistisch.

Woher kommt die Angst?

Gute Frage, denn in Deutschland geht es allen Patientinnen und Patienten gut, die sich infiziert haben. Das sind milde Verläufe, da ist niemand ernsthaft bedroht. Trotzdem heißt es jetzt: „Die gelbe Gefahr“. Da aktualisieren sich uralte Ressentiments, Ängste und daraus resultierende Wut. Teilweise schieben da auch Medien mit an. Zum Glück nicht alle. Ein Titelbild des „Spiegel“ fand ich interessant.

Welches denn?

Auf dem Titelbild steht: „Made in China – wie die Globalisierung zur tödlichen Gefahr wird“. Auf dem Foto ist ein Mann in Schutzanzug und mit Atemmaske zu sehen; er starrt auf ein Smartphone. Ich finde, das zielt in die richtige Richtung. Wir machen mit China furchtbar gern Geschäfte, lieben die Waren von dort. Der Virus aber, der in diesem Warenwirtschaftssystem dann eventuell auch mit auf Reisen geht, wird verteufelt – und mit ihm die gesamte Bevölkerung.

Ist Ihnen noch ein Medienbeitrag positiv aufgefallen?

Eine Karikatur in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ – das ist die, die die damals durch die Mohamed-Karikaturen bekannt wurde. Der Zeichner malte die rote chinesische Flagge – auf der anstelle der fünf gelben Sterne fünf Coronaviren sind.

Das wurde recht kontrovers diskutiert.

Richtig. Der chinesische Botschafter in Dänemark forderte eine Entschuldigung, wegen Beleidigung des chinesischen Volks. Man mag die Karikatur gelungen finden oder nicht, aber es liegt nun mal in der Natur dieses Genres, Dinge zuzuspitzen. Ich denke, der Karikaturist wollte mit dem Symbol der Nationalflagge auf einen Staat hinweisen, der aufgrund seiner intransparenten Informationspolitik die regionale, nationale und globale Verbreitung des Virus begünstigt hat. Aus chinesischer Sicht ist so eine Zeichnung aber eine Diffamierung eines nationalen Symbols. Die fünf Sterne stehen für die Einheit des chinesischen Volks unter der Führung der kommunistischen Partei – oder aber auch für die fünf größten Bevölkerungsgruppen des Landes. Ich glaube allerdings, der Karikaturist zielt nicht auf das Volk, sondern auf eine Diktatur, die auf Transparenz wenig wert legt.


Lena Henningsen kritisiert die mangelnde Transparenz der chinesischen Regierung – sie hätte die Bevölkerung schneller und besser über das Coronavirus informieren müssen. Foto: Thomas Kunz

Was hätte in der Informationspolitik besser laufen können?
Acht chinesische Ärzte warnten sehr früh vor dem Virus – denen wurde aber von oben der Mund verboten. Anstatt schnell zu reagieren, hat die Regierung gegenüber der eigenen Bevölkerung – und gegenüber der Welt – die Informationen lange zurückgehalten. Maßnahmen wie die harsche Quarantäne in Wuhan sind in meinen Augen auch ein bisschen Symbolpolitik. Dabei hätte die Regierung in diesem Fall die Chance gehabt, mal ganz anders zu reagieren.

Wie denn?

Dank ihres Überwachungsapparats weiß die Regierung bestens über die Bevölkerung Bescheid. Wäre das nicht eine Gelegenheit gewesen, der ganzen Welt zu zeigen, dass dieses hoch umstrittene System auch etwas Gutes bewirken kann? Beim ersten Verdacht gleich reagieren, Personen aus dem Umfeld identifizieren – und sie dann bitten, sich in einem Krankenhaus durchchecken zu lassen. Dann hätte man punktuell und zügig reagiert anstatt mit der verspäteten Abriegelung einer Stadt, in der elf Millionen Menschen wohnen.

Haben Sie Kontakte nach Wuhan?

Nein, aber auch aus anderen Städten in China höre ich von Einschränkungen, und die Angst ist groß. Die Universitäten sind weiterhin geschlossen. Konferenzen sind abgesagt. Oder der Unterricht findet via Internet statt, damit die Studierenden daheim bleiben können. Das geht natürlich nur dank der exzellenten Ausstattung der chinesischen Universitäten – bei uns ist ja in manchen Unterrichtsräumen schon ein Overhead-Projektor Hochtechnologie.

Kennen Sie jemanden, der sich infiziert hat?

Ebenfalls nein, aber eine chinesische Mitarbeiterin unseres Instituts war während des Neujahrsfests bei ihrer Familie. Zurück in Freiburg, hat sie sich dann sofort freiwillig in Quarantäne begeben. Sie ging nicht einmal für Lebensmitteleinkäufe raus.

Wie geht es ihr?

Es geht ihr gut. Sie zeigt keine Symptome. Wir foppen sie ein bisschen, nennen sie unsere „Modell-Heldin“. Aber wir bewundern natürlich ihr verantwortungsbewusstes Handeln. Wenn man so eine vorbildliche Kollegin hat, ist es umso erschütternder zu hören und zu lesen, wie jetzt bei uns die Kollektivangst gegen Chinesen geschürt wird.