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Dividende der Solidarität

Karl Justus Bernhard Neumärker hat in Freiburg eine internationale Konferenz zu den Möglichkeiten eines Bedingungslosen Grundeinkommens ausgerichtet

Freiburg, 02.11.2018

Dividende der Solidarität

Fotos: jarma und ProMotion/beide Fotolia

Seit gut zehn Jahren wird das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) in Deutschland in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert. In der Wissenschaft läuft die Debatte schon deutlich länger und intensiver. Eine ihrer wichtigen Stimmen ist Prof. Dr. Karl Justus Bernhard Neumärker. Als Leiter der Abteilung für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie der Universität Freiburg hat er Mitte Oktober 2018 gemeinsam mit der Basic Income Research Group und dem Frankreich-Zentrum Forscherinnen und Forscher aus ganz Europa zu einer Konferenz über die Möglichkeiten der Ausgestaltung eines EU-weiten BGE eingeladen. Dietrich Roeschmann hat mit ihm über die Voraussetzungen, Schwierigkeiten und Chancen eines solchen Projekts gesprochen.


Jeder EU-Bürger erhält pauschal ein monatliches Einkommen in Höhe von 200 Euro ausgezahlt – so das Konzept des belgischen Philosophen Philippe Van Parijs für eine Euro-Dividende. Fotos: jarma und ProMotion/beide Fotolia

Herr Neumärker, das BGE stößt in der Bevölkerung und im wissenschaftlichen Diskurs gleichermaßen auf großes Interesse. Warum ist die Politik da deutlich zurückhaltender?

Karl Justus Bernhard Neumärker: Ganz einfach: Weil Politikerinnen und Politiker sowie viele Interessengruppen, die vom gegenwärtigen System profitieren, mit gutem Grund befürchten müssen, dadurch ein Stück ihrer Macht zu verlieren. Das gilt für Unternehmen und Gewerkschaften gleichermaßen. Vielen Politikern ist das BGE dagegen oft nicht geheuer, weil es ja tatsächlich ein ziemlich radikales Konzept ist: Eine pauschalisierte Bezahlung an jede und jeden – in Deutschland werden derzeit 1.000 Euro diskutiert –, finanziert durch ein möglichst einfaches Steuersystem. Eine andere mögliche Quelle wäre die Besteuerung von automatisierter Arbeit, die ja die menschliche Arbeitskraft zunehmend ersetzt. Doch das würde bedeuten, dass viele Stellschrauben für die eigene Wählerklientel dann einfach wegfallen, die ja wichtige Parameter sind, mit denen Politiker ihre Interessengruppen binden. 

Viele Länder sind in der Diskussion eines BGE weiter als Deutschland. In Finnland geht derzeit eine Pilotstudie in die Schlussphase, die allerdings jetzt schon als gescheitert gilt. Warum?

Das Projekt, an dem 2.000 Menschen teilnahmen, war ursprünglich auf den Vergleich eines partiellen und eines totalen BGE ausgerichtet. Doch die finnische Regierung hatte ein anderes Interesse: Sie wollte mit dem partiellen BGE ein Mittel gegen die hohe Sockelarbeitslosigkeit im Land testen. 560 Euro im Monat – ohne Bedarfsprüfung ausgezahlt – sollten die arbeitslosen Probandinnen und Probanden dazu bringen, sich einen Job zu suchen. Das hat aus vielen Gründen nicht funktioniert.

Gibt es andere Pilotprojekte, die erfolgreicher waren?

In der Gesamtheit seiner Auswirkungen wurde das BGE noch nie getestet. Bislang standen wie in Finnland nur einzelne Aspekte im Fokus, oder der Grundeinkommensbetrag pro Kopf war – wie etwa im Fall des Alaska Permanent Fund – einfach zu niedrig.


Karl Justus Bernhard Neumärker möchte die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens in der trinationalen Region am Oberrhein testen. Foto: Patrick Seeger

Der Erfolg eines BGE wäre also reine Spekulation?

Nein. Belastbare Ergebnisse einer realen Feldstudie wären zwar wichtig. Andererseits arbeiten Forscher wie Dr. Malcolm Torry von der London School of Economics oder Dr. Maximilian Sommer von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt schon seit langem an Mikrosimulationen zur Finanzierung des BGE beziehungsweise zu den zu erwartenden Effekten auf Arbeitsangebot, Armut und Ungleichheit. Man sollte aber auch eines nicht vergessen: Die wichtigste Arbeitsmarktreform der vergangenen Jahrzehnte – Hartz IV – wurde im Vorfeld nicht getestet. Dabei hätte man in einem Langzeit-Feldversuch wahrscheinlich beobachten können, wie die Arbeitgeber anfangen, Lohndumping zu betreiben, sodass die Einführung eines Mindestlohns unausweichlich werden würde, um Hartz IV sozial abzusichern. Vor diesem Hintergrund ist es zwar richtig, aber durchaus auch kurios, dass die Befürworterinnen und Befürworter eines BGE nun ausgerechnet von der Politik aufgefordert werden, solche Feldversuche durchzuführen, um ihre Annahmen zu bestätigen.

Auf der Konferenz in Freiburg wurden Ideen eines grenzüberschreitenden BGE für Europa diskutiert. Wie könnte das aussehen?

Vor einigen Jahren hat der belgische Philosoph Prof. Dr. Philippe Van Parijs das Konzept einer Euro-Dividende entwickelt. Die Idee, die er auch in Freiburg vorstellte, ist folgende: Jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger erhalten pauschal ein monatliches Einkommen in Höhe von 200 Euro ausgezahlt.

Von 200 Euro kann niemand leben.

Nein, die Euro-Dividende ist kein Existenz sicherndes Grundeinkommen, sondern eine Art bedingungslose Rente, die jedem die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Europa ermöglichen und genau dadurch integrativ wirken soll. Wenn den Bürgern viel abverlangt wird, darf man ihnen nicht das Gefühl geben, dafür nichts zurückzubekommen außer Nachteile durch Euro und EU. Die Euro-Dividende will hier ansetzen – als eine Art Integrationsrente mit stabilisierender Wirkung: „Weil du bei diesem wichtigen Projekt dabei bist und wir uns auf dich verlassen können, bekommst du monatlich 200 Euro”. So ließe sich das Erstarken beziehungsweise Wiedererstarken europäischer Solidarität anregen.

Wer würde das finanzieren?

Dazu gibt es derzeit unterschiedliche Überlegungen. Denkbar wäre, die Euro-Dividende aus einem Fonds zu zahlen, der durch Integrationsgewinne erwirtschaftet wird. Philippe van Parijs befürwortet einen in allen Ländern gleichmäßigen Aufschlag auf die Konsumbesteuerung. Eine Alternative wäre die EU-weite Einführung einer entsprechend berechneten, einheitlichen Finanztransaktionssteuer.  


Plenum des Deutschen Bundestags: Die Politik zeigt sich zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen bislang zurückhaltend – denn mit dessen Einführung würden Politiker wichtige Stellschrauben zur Bindung ihrer Interessengruppen verlieren, sagt Karl Justus Bernhard Neumärker. Foto: Deutscher Bundestag / Thomas Trutschel/photothek.net

Wer hätte einen Anspruch auf die Euro-Dividende?

Das müsste verbindlich geregelt sein: Wer ist Bürger der EU? Sind es alle Menschen mit EU-Pass? Alle Menschen, die in der EU Steuern zahlen? Alle Menschen, die in der EU ihren Wohnsitz haben?  

Eine Studie der Universität Hamburg über die Einführung des BGE in Einwanderungsgesellschaften empfiehlt, Zugehörigkeit zu staffeln. Mit jedem Jahr, das ein Mensch im Geltungsbereich des BGE lebe, erwerbe er sich einen zehnprozentigen Anteil des vollen BGE. Denkbar?

Ja, sehr gut sogar. Und genau das ist es, was mich an der gegenwärtigen Diskussion über das BGE so fasziniert. Wir führen eine ungemein fruchtbare Debatte, in der es für strittige Fragen immer wieder neue, konstruktive Vorschläge gibt.

Sie selbst bereiten derzeit ein Pilotprojekt für ein grenzüberschreitendes BGE vor, das einem anderen Konzept als der Euro-Dividende folgt. Was hat es damit auf sich?

Ich würde gerne die Einführung eines BGE in der trinationalen Region am Oberrhein testen. Wir sind gerade dabei, die benötigten Vernetzungen und Mittel dafür zu sichten. Wichtig wäre herauszufinden, auf welche Weise ein BGE sich an die unterschiedlichen Sozialsysteme in Deutschland, Frankreich und der Schweiz anpassen könnte, wie es innerhalb und außerhalb der EU funktionieren würde und ob es regional möglich wäre, das BGE tatsächlich durch die Streichung klassischer Sozialleistungen zu finanzieren. Man könnte zudem herausfinden, welche Höhe des BGE sinnvoll wäre und welche Auswirkungen es auf den Alltag, das Verhalten und das Zeitempfinden der Menschen hätte – von Arbeitslosen und Beschäftigten, von Personen in den Städten und im ländlichen Raum.

Website der Basic Income Research Group der Universität Freiburg

Artikel im Forschungsmagazin uni’wissen 01/2017