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Beflügelnde Gedanken

Der Psychologe Fritz Renner erforscht, wie die bildliche Vorstellungskraft Patienten mit Depressionen helfen könnte

Freiburg, 23.11.2018

Beflügelnde Gedanken

Foto: Westend61/Fotolia

Menschen mit Depressionen blicken häufig mit Sorge auf Ereignisse in der Zukunft. Sich diese bildlich vorzustellen könnte Patientinnen und Patienten jedoch helfen, wieder mehr Motivation und Vorfreude zu empfinden. Der Psychologe Dr. Fritz Renner von der Universität Freiburg wird mit einer Arbeitsgruppe untersuchen, wie die bildliche Vorstellungskraft sich auf das Verhalten von Depressiven auswirkt – und hat dafür jüngst einen mit 1,64 Millionen Euro dotierten Sofja Kovalevskaja-Preis der Alexander von Humboldt-Stiftung erhalten.


In einer Studie sollten sich Probanden künftige Ereignisse vornehmen – diejenigen, die sich das Treffen auch bildlich vorstellten, blickten ihm motivierter und mit mehr Vorfreude entgegen. Foto: Westend61/Fotolia

Wer depressiv ist, findet nur schwer aus seiner Niedergeschlagenheit wieder heraus, denn die Krankheit drückt nicht nur auf die Stimmung, sondern mindert auch den Antrieb. Rückzug statt Aktivität, Alleinsein statt Geselligkeit – das allerdings verstärkt nur die Symptome. Depressive stecken also fest. Einer, der nach praktikablen und empirisch fundierten Wegen sucht, diesen Menschen aus ihrem Dauertief herauszuhelfen, ist Dr. Fritz Renner vom Institut für Psychologie der Universität Freiburg.

Der 36-Jährige erforscht derzeit den Einfluss bildlicher Vorstellungen auf Depressionen. Dafür hat Renner, der bis vor Kurzem noch Postdoktorand an der Universität Cambridge in England war, jüngst den mit 1,64 Millionen Euro dotierten Sofja Kovalevskaja-Preis der Alexander von Humboldt-Stiftung erhalten – einen der höchstdotierten Wissenschaftspreise Deutschlands. Mit dem Geld wird Renner an seinem Institut eine Arbeitsgruppe aufbauen, um seine Forschungen weiterzutreiben.

Die Macht der Bilder

„Wir wissen, dass es Menschen mit Depression schwerfällt, sich positive Ereignisse in der Zukunft bildlich vorzustellen“, erklärt Renner. „Hinzu kommt, dass sich diesen Menschen auch häufig negative Bilder aus der Vergangenheit aufdrängen.“ Die Vorstellungskraft von Patienten könnte eventuell dazu beitragen, diesem Mechanismus entgegenzuwirken.

Renner berichtet, wie stark bildliche Vorstellungskraft auf die menschlichen Emotionen wirken kann: „Stellen wir uns etwas vor, und sei es nur ein Apfel, dann werden in unserem Gehirn ähnliche Areale aktiviert, wie wenn wir den Apfel tatsächlich vor Augen haben. Das bedeutet, dass die bildliche Vorstellung also ziemlich dicht an die echte Wahrnehmung herankommen kann.“ Neu sei dieses Wissen nicht. Die Neurowissenschaften hätten das längst belegt. Und auch der Nachweis, dass sich mithilfe der bildlichen Vorstellungskraft Stimmungen beeinflussen lassen, sei bereits erbracht. Neu an Renners Forschung ist allerdings, dass sie auf eine Verhaltensänderung des Patienten abzielt. Und eben nicht nur auf die Emotion.


Stellen sich Menschen beispielsweise einen Apfel vor, dann werden in ihrem Gehirn ähnliche Areale aktiviert, wie wenn sie den Apfel tatsächlich vor Augen haben. Foto: Jasmine Raybon/Unsplash

 Mehr Motivation und Vorfreude

Bereits in England hat Renner dazu erste Untersuchungen gemacht: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Vorstudie, allesamt gesund, sollten sich aus einer Liste mit Aktivitäten sechs aussuchen, die sie im Verlauf der nächsten Woche ausführen wollten. Gelistet waren dort ausschließlich Alltagsaktivitäten wie zum Beispiel sich endlich mal wieder am Nachmittag mit einer Freundin auf einen Kaffee zu treffen oder vor dem Schlafengehen ein gutes Buch zu lesen. Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Nur in einer der beiden sollten die Personen die von ihnen fix eingeplanten Aktivitäten zusätzlich visualisieren, also sich immer wieder vorstellen, wie es ist, wenn sie mit ihrer Freundin beim Kaffee zusammensitzen und sich unterhalten. Was dabei an positiven Gefühlen hochkam, wurde mithilfe von Fragen gemessen und dokumentiert. Und tatsächlich: „Im Vergleich mit der Kontrollgruppe, die ihre Aktivität nur einplante, sich diese aber nicht mithilfe von Übungen bildlich vorstellte, konnte bei diesen Teilnehmern mehr Vorfreude, mehr Motivation gemessen werden“, berichtet Renner.

Diese Ergebnisse weisen in die Richtung, in die Renner auch künftig gehen will. Man wolle grundlegend klären, wie sich die bildliche Vorstellungskraft auf das Emotionserleben und die Verhaltensaktivierung auswirke – sowohl bei depressiven als auch bei gesunden Menschen. Entsprechend vielseitig soll nachgehakt werden, denn der Freiburger Forscher will sich nicht länger auf die Selbsteinschätzung seiner Probanden verlassen: Geplant sei ein Methodenpaket, um sich dem Thema rundum zu nähern.

Mithilfe psychophysiologischer Tests, zum Beispiel zu Hautleitfähigkeit und Herzfrequenz, und Eyetracking-Aufzeichnungen hofft Renner, mehr über die Emotionsverabeitung und Motivationsprozesse seiner Probandinnen und Probanden herauszufinden. Außerdem sei eine Studie mit Magnetresonanztomografen geplant, mittels derer er auf neuronaler Ebene untersuchen will, wie bildliche Vorstellungskraft die Motivation und Belohnungserwartung der Probanden beeinflussen kann. Flankierend dazu sollen die Stimmung und Motivation der Studienteilnehmer auch außerhalb des Labors, also in ihrer natürlichen Umgebung im Alltag, mit elektronischen Tagebüchern, den „Ecological Momentary Assessments“, erfasst werden.

Renner zufolge sei die klinische Anwendung das Ziel, auf das er hinarbeitet. Dafür müsse man aber erst einmal verstehen, wie die bildliche Vorstellung Stimmungen und Motivationen beeinflusse und wie Imaginationsübungen zum Einsatz kommen könnten, um Menschen mit Depressionen wieder Lust auf Aktion zu machen.

Stephanie Streif